Als wir aufwachen, sind wir vollkommen erledigt. Zum Glück scheint jetzt die Sonne aufs Zelt und die Temperaturen klettern ins Zweistellige. Die Kälte in der Nacht, aber noch mehr die lärmenden Jugendlichen im Nachbarzelt haben uns geschafft. Haben die überhaupt jemals geschlafen?
Wir halten ja viel davon, Motoren behutsam warm laufen zu lassen. Auf Knopfdruck dröhnt Angelikas Transalp über den Platz. Als der erste junge Mann verstört aus seinem Zelt guckt, schalten wir zur Sicherheit die zweite Honda dazu. "Die Rache des Kanalarbeiters" nennt unsere Freundin Svenja Svendura das! Als die Lustigen aus dem Nebenzelt endlich alle aufgewacht und ins Freie gestolpert sind, sind wir abfahrtsbereit. Angelika grölt noch ein fröhliches "Bon jour!" hinüber und schon verlassen wir den Platz mit deutlich mehr Power, als notwendig gewesen wäre.
Wir brauchen dringend Kaffee und Frühstück! Das Café in Saint-Martin hat ausgerechnet am Sonntag geschlossen, so rollen wir einfach weiter und halten die Augen offen. Die D103 führt auf schmalen Kurven durch dichten Wald, ab und zu blitzt nackter Fels durch die Bäume. Wir sind im Zentrum des "Naturparks Vercors" und dementsprechend dünn besiedelt ist die Gegend. Aber da vorne ist ein größerer Ort!
Nur eine halbe Stunde nach der Abfahrt cruisen wir aufmerksam durch Chappelle-en-Vercors. Ein wunderhübscher Ort im Sonnenschein, ganz aus hellem Sandstein errichtet. Die Häuschen an der Hauptstraße haben bunte Fensterläden, jedes in einer anderen Farbe! Plötzlich erspähen wir rechts die kleine Bar-Tabac und - wie es sein muss - gegenüber eine "Boulangerie". Der Bäcker hat heute offen!
Infobox: Französische Sitten in der Bar-Tabac
In den kleinen Bar-Tabac gibt es üblicherweise nichts zu essen, ausser vielleicht Erdnüsse aus dem Automaten. Es gibt meist nur Kaffee, Hochprozentiges und eben Rauchwaren. Aber es ist vollkommen ok und auch erwünscht, sich beim meist in Sichtweite liegenden Bäcker seine Jause zu holen und dann einfach zu einem Getränk zu mampfen.
Es hat eine Zeit gedauert, aber mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, in einem Lokal auch Mitgebrachtes zu verspeisen!

Roten Sonnenschirmen am Straßenrand können wir selten widerstehen und so sitzen wir nur Augenblicke später bei Chriselle und bestellen reichlich Kaffee und Hotdogs! Es ist außergewöhnlich, in einer Bar-Tabac etwas Essbares zu bekommen, aber diese Hotdogs hier sind richtig lecker! Völlig unknusprig, ein scharfes Würstchen und alles ertränkt in Senf und Ketchup. Perfekter könnte unser Frühstück nicht sein!
Das ältliche Pärchen aus Deutschland ist heftig anderer Meinung und regt sich fürchterlich über alles auf. Die Kellerin verdreht die Augen und wir versuchen, mit ausgesuchter Nettigkeit das rüpelhafte Verhalten am Nebentisch zu kompensieren. Als die zwei wütend von dannen gestapft sind, ernten wir einen Gratis-Kaffee zum Abschluss! Danke schön!

Heute ist perfektes Motorradwetter! 15°C und Sonnenschein. Wir sind neugierig auf die weitere Strecke! In der Karte schaut die Straße wie eine aus dem Ruder gelaufene Kritzelei eines Grundschülers aus. Ein Pass liegt vor uns, wir sind schon gespannt! Die D518 ist eine schmale Straße, oft zu schmal für einen Mittelstreifen.
Umso schwieriger ist das Vorankommen. Große Horden von neonfarbenen Radfahrern sind mit uns unterwegs auf den Pass. Oft müssen wir stehenbleiben, weil noch mehr Sportler von irgendwelchen Nebenstraßen dazu stossen. Hier gilt: Radfahrer überholt man wie Autos! Kann man die Spur nicht vollständig wechseln, tuckert man mit nervenzerfetzender Langsamkeit hinterher.

In der ersten Kehre lösen unsere 92 PS das Problem. Gemütlich bollern wir nun bergauf. Die Bäume werden weniger, die Felsen am Straßenrand mehr. Eine entspannte Strecke, nichts lässt auf eine spektakuläre Passhöhe schließen.

Plötzlich sind wir oben auf 1.250m angelangt. Ein Ski-Hotel, ein Parkplatz, eine Baustelle für ein weiteres "Alpen-Resort". Wir sind enttäuscht. Das war´s schon? Sportlich biegen wir in den Tunnel, der einen Richtungspfeil nach "Die" trägt.
Ach du Schreck! Noch ganz geblendet vom grellen Sonnenlicht am Tunnelausgang hätten wir den Securitymann fast über den Haufen gefahren, der uns mit strengem Gesichtsausdruck und erhobener Hand zum Anhalten zwingt. Was ist denn passiert? Wir verstehen von seinen Anweisungen kein Wort. Schilder deuten auf irgendeinen Wettkampf hin: Läufer und Radfahrer. Er gestikuliert eindringlich, wir mögen langsam, sehr langsam fahren und uns rechts halten. Machen wir!

Wir trauen unseren Augen nicht. Die Landschaft ist vollkommen anders als auf der Nordrampe! Schroffe, weiße Felsen leuchten im Sonnenschein, eine Schlucht liegt unter uns. Gänsegeier kreisen langsam über unseren Köpfen. Der "Col de Rousset" steht den bekannten französischen Pässen um nichts nach!

Wir lassen die Transalps gemächlich talwärts rollen. Manche Radfahrer winken uns und wir winken zurück. Die Läufer, die den Berg heraufkeuchen, nehmen von nichts mehr Notiz. Da ist ein Aussichtsplatz! In einer Kehre hat man ein wenig Felsen weggesprengt und einen kleinen Parkplatz geschaffen. Ein Motorradfahrer steht schon da und guckt nachdenklich in den Abgrund.

Wir gesellen uns dazu und betrachten die beeindruckende Gegend. Da unten ist schon die Provence! Als die Radfahrer auf der Strecke weniger werden, brechen wir wieder auf. Die Straße windet sich in schönem Zickzack durch die Wälder ins Tal.


Acht Haarnadelkurven später sind wir unten angelangt und cruisen entspannt die schöne Route de la Clairette de Die entlang. Offenbar eine Weinstraße, denn die Weingüter und Verkostungsmöglichkeiten sind überall angeschrieben. Wir brauchen mal eine Kaffeepause, doch im winzigen Bergdorf Chamaloc war der einzige Gastgarten mit Motorradfahrern vollbesetzt.
Um 12:00 Uhr sind wir in Die und schlürfen in einer kleinen aber freundlichen Straßenpizzeria schaumige Cappuccini, als wir das Internet anwerfen, um über die kleine Gemeinde zu lesen. Hier würde sich ein längerer Aufenthalt wohl auszahlen! Die Stadtmauern sind noch von den Galliern erbaut! Außerdem ist der Kaffee mit 3.- fürs große Häferl hier tatsächlich spottbillig.
Wir beschließen, die nächsten 100 km in einem Stück zu fahren. Die D93 lädt zu zügiger Fahrweise ein! Wir bleiben auf der Weinstraße und sehen unzählige Weingüter, kleine Bauernhöfe und winzige Läden, die "Produits de terroire" anbieten. Wir lassen die Transalps durch dichte Wälder und über weitläufige Weideflächen dahinlaufen. Manchmal wird es kurvig und ganz manchmal ist die Straße von hohen Felsen eingerahmt.

Der Col de Cabre kommt überraschend! Plötzlich geht es durch eine waldig-wilde Landschaft in Kehren bergauf doch die Straße ist so gut ausgebaut, dass wir unsere Transalps - trotz zahlreicher Warnschilder für Motorradfahrer - nicht zügeln müssen. Ob wir oben am Pass noch eine Pause machen könnten? Wir sind schon müde geworden denn die letzte Nacht war doch anstrengender als gedacht.
Die Passhöhe ist wenig aufregend und wir bleiben nur kurz stehen. Ein Straßenschild, ein lateinischer Meilenstein und ein ziemlich in die Jahre gekommenes Wirtshaus, das leider zugesperrt hat. Aber schau da drüben! Wir stehen genau an der Grenze zum Bezirk der "Hautes Alpes"! Wir verlassen die Auvergne um genau 13:00.

Die nächsten 50 km sind vor allem durch Vorfreude geprägt. Die Strecke übers weite Land und durch zahlreiche kleine und größere Siedlungen ist unspektakulär aber in der Ferne sind bereits schneebedeckte Berge und Felsmassive zu erkennen. Der "Nationalpark Écrins" beherbergt einige Gipfel um die 4.000 m und viele Gletscher!
In der 40.000-Seelen-Gemeinde Gap schalten wir unser Navi ein. "Seit wann fahrt ihr mit Navi?!" fragt ihr? Nun, wir haben heuer zum ersten Mal beschlossen, uns gewisse Dinge wie Stadtdurchfahrten und Quartiersuchen einfacher zu machen und nicht mehr nur unserem Gefühl zu vertrauen. Angelika hat eine hübsche Handy-Halterung am Lenker und Googlemaps zeigt uns den kürzesten Weg aus dem Straßenwirrwarr. Sonst brauchen wir kein Navi, sondern zeichnen unsere Route immer noch lieber in die Karte.
Wir verlassen das Städtchen auf der D900B und cruisen nur Minuten später durch ein wildromantisches Tal ohne nennenswerte Besiedlung. Es geht in geschmeidigen Kurven die Durance entlang, ein Fluss, der an vielen Stellen wirtschaftlich genutzt wird. Es geht über viele kleine Brücken und oft scharfkantige Felsen entlang. Das Tal ist geprägt von weiten Obstplantagen, die Bäume tragen schwarze Netze zum Schutz gegen Hagel.

Plötzlich wirft Angelika Anker und bleibt abrupt unter einem großen Schild stehen: "Bonne Route - Gute Fahrt" wünscht man uns doch ... von fünf Pässen sind zwei gesperrt: Ausgerechnet der Col de la Bonette ist "FERMÈ"? Den wollten wir morgen überqueren, deswegen sind wir doch da! So ein Mist! Wir schauen uns kurz ratlos an. Eine Routenänderung besprechen wir später, nach dem Abendessen.
Die Straße steigt nun stetig an und die Vegetation wird dürftiger, als wir an einer massiven Staumauer vorbeirollen. Die Durance endet an dieser Mauer und dahinter der Stausee in einem Türkisblau, das seinesgleichen sucht! Wir quetschen uns am "Pont de vue" zwischen den Felsen schnell an die Leitschiene, um ein paar Fotos zu machen. Der Lac de Serre-Ponçon liegt unter uns. Was für ein toller Ausblick!

Als wir die kurvenreiche Aussichtsstraße weitercruisen, werden wir müde. Es hat mittlerweile 27°C und das sind immerhin 23 mehr als heute Nacht. Wir schwitzen und halten die Augen nach einem kleinen Lokal offen, als wir uns durchs fast unberührte Ubaye-Tal beeilen. Wir sind in einer halben Stunde in der Unterkunft, wir haben noch Zeit für eine Kaffeepause davor! Hoffnungsvoll bremsen wir am Parkplatz des "Relais du Lac", das mit roten Sonnenschirmen und zahlreichen Motorrädern davor ganz ansprechend aussieht. Ach, wären wir doch weitergefahren...

Hier kommt italienisches Chaos und französische Überheblichkeit zusammen. Hier erfüllen sich beide Klischees auf unangenehm gleichzeitige Art. Es dauert ewig, bis man uns zur Kenntnis nimmt, bis wir erfahren, dass es nichts mehr zu essen gibt, bis wir einen Kaffee geordert haben. Die Croissants dazu holt Angelika dann persönlich aus dem dunklen Inneren des Lokals.
Nun, das Lokal ist das einzige in der Region, das sonntags offen hat und ist dementsprechend überfüllt. Immer mehr Motorradfahrer kommen an, die meisten aus dem nur 50 Straßenkilometer entfernten Italien. Und alle scheitern am unfreundlichen, ja geradezu widerlich unhöflichen Personal. Wir zahlen 8.- für Tonic Water und Croissants und verschwinden.
Jetzt haben wir es eilig. Schwarze Wolken ziehen über den Bergen auf und wir haben noch 30 km zur Unterkunft! Angelika will unbedingt trocken ankommen und keinesfalls für so eine kurze Strecke das Regengewand auspacken! Guter Plan eigentlich, wäre da nicht die Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h gewesen, dem engen Tal durchaus angemessen...
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Wir durchqueren Barcelonnette, das wir schon so gut kennen und um 16:35 rollen wir steil hinauf auf den Schotterparkplatz unserer Unterkunft, am Hang oberhalb von Jausiers. Wir sind ziemlich erledigt, als wir unser Zeug versorgen und uns frisch machen. Leider verschwindet die Sonne recht früh hinter den "Hautes Alpes" und auf der schönen Terrasse wird es zu kühl für einen Abend im Freien.
Eigentlich wollten wir zum Abendessen hinunter nach Jausiers gehen, aber das ist uns jetzt zu weit. Weißt du was? Wir essen einfach im Hotel! Das Hotelrestaurant "SUZUME" ist exquisit aber wir sind mit unseren einfachen Klamotten sicher gerne gesehen! Hier "verschmelzen in einer subtilen Fusion der Reichtum der Bergprodukte mit der Zartheit japanischer Aromen und schaffen ein einzigartiges Geschmackserlebnis."

Manchmal macht es einfach Spass, fein zu dinieren! Die handgefertigten Wurstwaren aus der Region, begleitet von Amazo-Gurken, die karamellisierte Lachsforellenrücken mit Miso, die perfekt ausbalancierten Pommes mit hausgemachter Kräuter-Mayo, der Thai-Gemüsereis aus dem Wok und "die exquisite Kombination aus karamellisiertem Crunch der Creme Brulee und der Zartheit von Matcha-Tee" schmecken ausgezeichnet. Und fragt nicht, wie edel das alles auf französisch klingt!
Es war ein tolles Abendessen, nur übertroffen von dem hervorragenden schweren Rotwein aus dem Burgund, von dem allerdings zwei kleine Gläschen auch gereicht hätten. Um die geänderte Route, weil der "Bonette" gesperrt ist, kümmern wir uns lieber morgen... Gute Nacht!
Tageskilometer: 215 km
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