Es ist 8:00 Uhr und draußen ist es so düster wie unsere Stimmung. Wir kauen an einem kleinen Frühstück und wälzen Reisegedanken.
Manchmal weiß man nicht, ob man sie in einen Reisebericht schreiben soll und ob man dann gehauen wird! Wir haben uns für Ehrlichkeit entschieden und Haue halten wir aus: Wir fahren auf Motorradreise nicht gerne durch die Schweiz.
Die Schweiz ist halb so groß wie Österreich, hat aber gleich viele Einwohner. Nur 7,5% der Schweiz sind besiedelt (also halb soviel wie in Österreich)! Damit ist die absurde Verkehrsdichte erklärt. Die sind mindestens doppelt so viele auf den Straßen wie bei uns!
Gegenüber Motorradfahrern fahren die oft richtig skrupel- und rücksichtslos, anders als in vielen anderen Ländern.
Internet/Telefonie ist für uns unfassbar teuer, weil EU-Roaming nicht gilt.
Es gibt keine Tages-, Wochen- oder Monatsvignetten, sondern nur Jahresvignetten. Will man nur einen Kilometer auf die Autobahn, kostet das pro Motorrad 45 EUR. Das ist einfach nur dreist!
Die Preise in der Schweiz sind richtig hoch. Das würde uns als Norwegen-Fans nicht mal stören, wenn nicht ... siehe oben.
Es gibt aber einen sehr guten Grund, warum wir hier sind und noch zwei Tage in der Schweiz herumfahren werden. Didis Lieblingsonkel ist vor 70 Jahren hierher ausgewandert und wir besuchen den lebenslustigen Greis bei jeder Gelegenheit. Also auf nach Zürich!
Um 9:30 Uhr verlassen wir unsere grandiose Unterkunft und zirkeln die Transalps den steilen Weg hinunter ins Rhone-Tal. Langsam wird es wärmer und die Sonne bricht durch dunstige Wolken.
Nach einem kurzen Blick auf die spektakuläre "Gomser Hängebrücke" fädeln wir uns auf die SS19 ein. Die Rotten, wie die Rhone hier heißt, sprudelt knapp unter der Straße dahin.
Wir passieren hübsche Dörfer mit uralten Holzhäusern bis zum Örtchen Oberwald. Stopp! Was ist denn hier?! Wir trauen unseren Augen nicht, als wir die Auto-Verladung rechts sehen. Ein Autoreisezug unter dem Furkapass? Das machen wir! Pässe sind wir genug gefahren, die sind schon fad. Aber dieses Abenteuer wollen wir uns nicht entgehen lassen! Schnell checken wir zwei Tickets á 20 EUR.
Es ist 11:00 Uhr, als uns der Bahnarbeiter zur Auffahrt auf die Zugplattform bittet. Wie wir es aus unserer Tauernschleuse gut kennen, halten wir perfekt mittig auf dem Stahlwaggon. Aber was ist das jetzt?! Der Typ kommandiert in unverständlichem Schwyzerdütsch und wir wissen nicht, was er will! Wie bitte?! Will er ernsthaft, dass wir IN DEN WAGGON paddeln?!
Wir können es nicht glauben und Angelika stellt sich dementsprechend verwirrt an. Bediensteter flucht und schiebt, Angelika schwitzt und paddelt. Rückwärts bekommen wir die Transalps in den Waggon. Ohne "Hilfe" des Amtsorgans wäre es wohl einfacher gewesen! Die Schiebetüre ist so eng, dass wir einmal mehr dankbar dafür sind, erstmals ohne Seitenkoffer zu reisen.
Als beide Transalps gemütlich mitten im Waggon stehen, knallt der Mann in Arbeitskleidung zufrieden die Türe zu. Die Zigarette klebt unbeeindruckt in seinem Mundwinkel. Wir schauen uns ratlos an und können ein Grinsen kaum unterdrücken, als wir neben unseren Motorrädern auf den Sitzbänken Platz nehmen. Das ist mal etwas Anderes!
Die 13 Kilometer lange Fahrt unter dem Furkapass dauert etwa 20 Minuten. Uns taugt das extrem und bei der Endstation Realp zirkeln wir die Transalps schon ganz routiniert durch die schmale Türe auf den Bahnsteig der Matterhorn-Gotthard-Bahn. Um uns wieder zu ordnen, rollen wir nur über den Parkplatz und halten an.
Der bunt geschmückte "Töff-Treff Stella D´oro" gegenüber erregt unser Interesse! Ein schaumiger Cappuccino geht immer und der Blick auf den Furka ist wunderschön! Am Fuße des Furkapasses wahrlich ein perfekter Ort für einen Bikertreff! Das weiß auch Michel, der freundlich lächelnd 5.- pro Kaffee einkassiert.
Ein wenig später cruisen wir das Hospental entlang. Wir sehen am Straßenrand das kleinste Dorf der Schweiz! In Zumdorf lebt nur eine Familie in den uralten Steinhäusern. Ein Vater und seine zwei Söhne versuchen, das Ding am Laufen zu halten. Und es geht bergauf mit dem Tourismus!
Denn da vorne ist Andermatt! Im jetzt schon einem der bekanntesten Orte in der Schweiz tut man alles, um eine "Prime Alpine Destination" zu erschaffen. Ein ägyptischer Milliadär und Investor hat großflächig militärische Gründe aufgekauft und schafft nun als Tourismusentwickler ein Ressort nach dem anderen, unter begeistertem Beifall der Andermatter.
Wir kurven durch verstörend große Baustellen und suchen unseren Weg zwischen Tesla-Ladestationen und Boutiquenhotels. Der Verkehr nimmt noch zu, als wir auf der R2 den Ort verlassen. Wir sind so abgelenkt von LKWs, Bussen und Wohnmobilen, dass wir glatt die spektakuläre "Teufelsbrücke" übersehen. So ein Mist!
Ganz ohne Hilfe des Teufels tuckern wir langsam und aufmerksam durch die dramatische Schöllener Schlucht, die an Enge und Steilheit kaum zu übertreffen ist. Die Straße ist direkt in die Felswände gefräst! Wild rauscht die Reuss unter uns durch, als wir ein paar brachiale Kehren bergab bewältigen. Die meisten sind mit Lawinenschutzgallerien überbaut. Lawinen sind die größte Gefahr in dieser Region und haben schon hunderte Tote gefordert!
Sehr langsam weitet sich die Schlucht und wir haben prächtige Aussicht auf den kilometerlangen Stau, der sich vor dem Gotthardtunnel an der Autobahn gebildet hat. Etwa 17.000 Autos täglich wollen den längsten Straßentunnel der Alpen nutzen. Wir teilen uns das enge Felsental mit der Autobahn und einer Bahnlinie, die aus Platzgründen oft über- und nebeneinander geführt werden.
In der sommerlichen Hitze von 32°C fahren wir nun gen Norden. Die R2 "Gotthardstraße" wird immer breiter und gleicht bald einer Schnellstraße durch das weite Tal. Firmengelände, viele Dörfer ohne Besonderheiten und brutal viel Verkehr zeichnet diese Region aus. Wir suchen vergeblich einen schönen Schattenplatz für eine Pause.
Schon erreichen wir das südliche Ende des Vierwaldstätter Sees. Eine Pause am See wäre toll! Aber keine Chance. Im dichten Samstagverkehr stauen wir das Seeufer entlang. Rechts hohe Felswände, links unter uns der blitzblaue See, der im Sonnenschein glitzert.
Kein Imbiss, kein Parkplatz, kein WC am Straßenrand! Wir fluchen in unsere Helme. Die einzigen Rastplätze am Seeufer sind von unserer Fahrtrichtung unerreichbar! Da, endlich! Kurz vor Brunnen eine klitzekleine Ausweiche auf unserer Straßenseite. Wir werfen Anker hinter einem LKW, dessen Fahrer schlafend in seinem Cockpit hockt.
Der Platz ist komplett vermüllt. Außerdem riecht es streng, es "brunzelt"! Uns wundert es nicht. Macht halt mehr kostenfreie Parkplätze mit Mistkübeln und WCs an eure Durchzugsstraßen! Wir halten unsere Pause denkbar kurz, zumal ohne Unterbrechung LKWs an uns vorbei donnern. Das nachfolgende Auto aus Deutschland ist sichtbar froh über unsere Abfahrt, denn er schnappt sich umgehend den Platz, kaum dass wir den 1. Gang eingelegt haben.
Wir stauen fröhlich weiter den See entlang. In Brunnen kreuzen wir einen kleinen Platz voller Gastgärten, in denen nicht mal ein Stehplatz frei sein dürfte! Schulter an Schulter drängen sich Menschen im bunten Sommer-Outfit. Zahlreiche chromblitzende Motorräder stehen an der Wasserkante. Nein, hier finden wir keinen gemütlichen Imbiss!
Nur wenig später kurven wir die schmale R2b am Nordufer des Vierwaldstätter Sees entlang. Eine kurvige Straße entlang des Ufers, rechts hohe Felswände. Wir sehen die ersten prunkvollen Hotels, für die diese Region berühmt ist. Und natürlich Bootsverleihe, Segelschulen und kostenpflichtige Badeplätze.
Es ist so starker Verkehr, dass wir in Gersau fast nicht geschafft hätten, stehen zu bleiben! Wir sind einfach ansatzlos auf den Gehsteig gehüpft. Schau das rotgestrichene Lokal da am Ufer! Wir schwitzen gewaltig, als wir die Transalps geschwind über die Straße paddeln und neben dem "Seegarten" parken. Darf man da? Egal!
Es ist ein Glücksfall! Im viel zu warmen Motorradzeug hocken wir auf der winzigen Terrasse über dem Wasser und warten, bis der elektronische Puck zu summen anfängt. In diesem einfachen Gasthaus ist Selbstbedienung und die Preise sind (für die Schweiz!) gut erträglich. Wir zahlen 36.- für zwei Toasts und zwei Cola. Es ist wirklich heiß geworden.
Während wir einen fetten Toast Hawaii aus der gußeisernen Pfanne kratzen, kommt ein kleines Kreuzfahrtschiff vorbei und lässt da vorne Leute aussteigen. Das Schiff fährt kreuz und quer über den See. Bei dem Verkehr wohl die schnellste Möglichkeit, ans andere Ufer zu gelangen!
Wir haben noch 80 km zu fahren, wir sollten weiter! Seufzend machen wir uns auf den Weg. Aber es wartet eine tolle Strecke auf uns! Wir versuchen, den Kolonnenverkehr zu ignorieren, während wir abwechselnd auf den See und auf feudale Hotelburgen unter Palmen blicken, die uns besonders in Vitznau auffallen.
Hier ist es ein bissl wie an der Amalfiküste an einem Feiertag im Sommer! Das mediterrane Flair erinnert uns manchmal an diese Fahrt 2016.
Schon verlassen wir den See mit seinem Nobeltourismus und cruisen Richtung Zürich. Wir haben uns für unauffällige Sträßchen entschieden in der Hoffnung, dass weniger Verkehr herrscht. Diese Rechnung geht auch auf! Dennoch machen wir nach 50 km in Mersenschwand noch eine kurze Pause. Wir sind müde von der Hitze und dem Verkehrsstress und der schattige Gastgarten von "Huwyler" schaut zu einladend aus!
Der breit lächelnde Kellner empfiehlt uns eine Kleinigkeit zum Kaffee. Der Schoko-Brownie mit Fior di Latte - Eis ist eine Sensation! Der Preis allerdings auch. Das war klar, denn der Schnitzelindex in diesem einfachen Dorfwirtshaus liegt bei sagenhaften 28.-! In Wien würde man den Wirt dafür steinigen, sogar wenn es Kalbsschnitzel wäre!
Wir stecken die Rechnung über 45.- lachend weg. Gut wars trotzdem! Und es war die richtige Stärkung für die letzte Fahrstunde über Dietikon nach Zürich, in die Verkehrshölle, das Epizentrum der Verkehrsüberlastung in der Schweiz. Wir werden unser Ziel bei Didis Familie um etwa 18:30 Uhr erreichen und morgen einen Tag mit ihnen verbringen!
Tageskilometer: 175 km
Hier gehts bis nach Wien: >> klick