Es ist 6:00 Uhr morgens. Eine unchristliche Zeit! Wir haben einen furchtbar langen Fahrtag vor uns, als wir unser Zeug packen und den Morgentau von den Sitzbänken wischen. Während wir unsere Packrollen festzurren, raucht die Wirtin am Balkon eine Zigarette und wünscht uns winkend eine gute Fahrt! Eine dreiviertel Stunde später rollen wir vom Platz, so leise es die 750ccm zulassen.
Heute gibt es deutsche Autobahn! Hoffentlich wird die Gegend später im Erzgebirge ein wenig hübscher, denn einen öden Fahrtag hat Didi zum Geburtstag nicht verdient! Wir sind wild entschlossen, abends eine kleine Feier zu veranstalten, als wir uns auf die BAB24 einfädeln.
Um 7:30 Uhr die erste Raststation. Schwungvoll nehmen wir bei "Tank & Rast Walsleben" die Ausfahrt. Frühstück! Nach einer unfreundlichen Diskussion mit einem LKW-Fahrer um einen Stellplatz hocken wir im frühen Sonnenschein bei einem blassen, kalten Schnitzelsemmerl. Es schmeckt nicht und der Kaffee ist bitter, trotzdem trifft die Aufschrift am Pappbecher unsere Stimmung nicht. Noch nicht!
Wir verlieren nicht viel Zeit und hetzen weiter Richtung Berlin. Wir haben vereinbart, die Hauptstadt westlich zu umfahren und halten Ausschau nach dem BAB-Kreuz Havelland. Der Verkehr wird stärker, vor allem LKWs nutzen den letzten Tag vor dem Wochenende. Es ist einfach mühsam, auch wenn wir mit unseren neuen Transalps auf den rabiaten deutschen Autobahnen "bei den Großen" mitspielen und den ein oder anderen Überholvorgang wagen. (Für uns eine coole Erfahrung. Früher ließen wir das mit 53 PS besser bleiben...)
130 km später haben wir Berlin umrundet. Meine Güte, die Geschwindigkeitsbeschränkung ging uns auf die Nerven! 100 km/h auf einer so gut ausgebauten Autobahn?! Die Deutschen verweigern auf viel schlechteren Abschnitten jede Beschränkung der "Freien Fahrt für Freie Bürger"! Kurz vor dem Potsdamer Kreuz halten wir kurz an und strecken unsere Rücken durch. Es ist anstrengend und es macht keinen Spaß, stellen wir genervt fest. Die Gegend ist uninteressant. Außerdem ist uns heiß. Es hat mitterweile 30°C.
Nur wenige Meter nach unserer Pause biegen wir auf die BAB9 ab. Der Verkehr Richtung Leibnitz wird immer mehr und wir fahren äußerst konzentriert, wenn auch zügig. Stooooopp!!! Du meine Güte!!! Fast hätten wir beide die Warnblinklichter der Autos vor uns übersehen. Hart steppen wir einige Gänge herunter und schalten ebenfalls das Notsignal ein. Für unsere Hintermänner. (Unsere neuen Transalps haben so ein cooles Warnlicht und erstmals sind wir ehrlich froh darüber...)
Was ist da vorne los?! Wir stellen uns in die Rasten und fahren knapp am Bankett, um etwas zu erkennen. Aber wir sehen nur dicken, fetten Stau, so weit das Auge reicht. Verdammt, wir haben keine Zeit für sowas! Wir schauen uns durchs Visier an und entscheiden wortlos: Bloß ´raus hier! Wir schlängeln uns zwischen den stehenden Autos durch und verlassen die BAB9 beim Schkeuditzer Kreuz.
Ob das eine gute Idee war, werden wir nie erfahren. Wir müssen südlich von Leibnitz und stauen nun in Richtung Halle. Die komplett falsche Richtung! Die mörderische Baustelle um die Großstadt hat offenbar auch alle Hinweisschilder mit sich gerafft. Wir fahren nur mehr nach Gefühl. Nach einem äußerst schlechten Gefühl, wie wir ernüchtert feststellen, als wir bei einer versifften Tankstelle am Rande von Merseburg einen eiskalten Energy-Drink kippen.
Halle, Merseburg? Die möglicherweise vorhandenen Schönheiten dieser Städte bleiben uns verborgen, als wir durch vernachlässigte Viertel, die Wohnflecken vom Leben Benachteiligter und durch Industriegebiete stauen. Die Autobahn zu umfahren, diese Idee hatten andere auch. Nur kennen die sich vermutlich alle besser aus als wir! Erstmals in unserer 20jährigen Reisegeschichte erwägen wir ernsthaft, uns ein Navi anzuschaffen. Für genau diese besch...euerten Situationen!
Unerträgliche 40 km später erreichen wir die BAB72 und das Kreuz Leibnitz-Süd. Wir haben es geschafft! Jetzt gehts endlich nach Plan weiter. Wir haben einige Zeit verloren und beeilen uns weiter Richtung Chemnitz. Die nächste zu umfahrende Großstadt heute!
Doch die sinnlose Herumkurverei hat uns geschafft. Leider ist hier weit und breit und schon seit vielen Kilometern keine Raststation. Wir nehmen spontan die nächste Ausfahrt auf der Suche nach Kaffee. Der kleine, heruntergekommene Ort heißt Roda und hier gibt es nichts und auch kein Café. Wir halten vor einem verfallenen Haus, das - nach seinem verblichenen Schriftzug zu schließen - in seinen besten Zeiten ein Laden für Haushaltswaren war. Wir nippen an den Resten unserer mitgebrachten Getränke und essen ein paar Kekse, bis der Bewohner des Hauses heraustritt und uns misstrauisch mustert. Haben wir uns den Osten Deutschlands so vorgestellt? Keine Ahnung.
Es ist deprimierend und wir könnten etwas Aufheiterung brauchen! Doch nicht hier und jetzt. Fahren wir weiter? Etwas später stauen wir über Sachsens größtes Infrastrukturprojekt, das ausgerechnet an unserer Autobahn stattfinden muss. Einspurig geht es dahin und wir sehen links und rechts enorme Erdverschiebungen. Wenn dieser Autobahnbau nach 20 Jahren endlich mal fertig wird, wird sich die Landschaft hier massiv verändert haben! Unsere Karte ist bereits jetzt nicht mehr aktuell.
Dass wir bei einer Abzweigung dann auch noch 10 km Richtung Dresden fahren, obwohl wir dort nicht hinwollten, fällt bei dieser blödsinnigen Autobahnfahrerei nicht mehr ins Gewicht. Wir stauen rund um Chemnitz und - man glaubt es kaum - Chemnitz ist nirgends angeschrieben. Kein einziges Schild.
Was ist mit euch los?! Kommt hier keiner auf die Idee, dass auch Nicht-Ortskundige eure Straßen benutzen müssen?! Das kann buchstäblich jedes von uns besuchte Land in Europa besser, auch wenn in Italien manchmal nur ein handgeschriebener Zettel an einer Lärmschutzwand hängt! Unser Frust entlädt sich in wüsten Flüchen in den Helm, die außer uns selbst niemand hört.
Kann man sich unsere Erleichterung vorstellen, als wir uns bei Stollberg-West von der BAB72 verdrücken? Wir quetschen uns zwischen stauenden Autos durch und sind weg. Nur wenige Meter später halten wir bei einer kleinen Tankstelle. Wir sind schon 400 km gefahren und keiner davon war lustig. Wir sind erledigt und versuchen uns, mit einem eiskalten Energy-Drink zu motivieren. Wir schauen hinüber aufs Schloß Hoheneck. Hübsch. Ach, lass uns weiterfahren.
Keine Ahnung, was wir uns vom Erzgebirge erhofft haben, aber es ist nett hier! Wir kurven winzige Wege Richtung Süden und eine wunderbare schmale Höhenstraße entlang. Das Hügelland hier ist von einem Gebirge zwar weit entfernt, aber wir haben ab und zu einen schönen Ausblick auf das Land ringsum, kleine Dörfer und bunte Siedlungen. "Unsere Straßen sind genau so kaputt, wie unsere ReGIERung!" steht in wütenden Lettern am Straßenrand geschrieben. Ersteres können wir bestätigen, letzteres müssen die Leute hier beurteilen.
Es geht gemächlich bergauf und wir haben eine prächtige Aussicht auf Wälder und Wachtürme. Wir erkennen die Werbeschilder für ein Ski-Gebiet "Fichtelberg". Und ganz plötzlich stehen wir an der deutsch-tschechischen Grenze in Oberwiesenthal, der höchstgelegenen Stadt Deutschlands. (Wie wir nach der Reise verwundert nachlesen werden.) Hier ist nicht mehr als ein aufgelassenes Grenzhaus, Baustil späte 80er Jahre. Die dunkelbraun gestrichenen Holzlatten wirken abweisend und hier scheint schon lange keiner mehr Dienst zu tun.
Wir kurven durch dichten Wald ins Tal. Die erste Siedlung in diesem einsamen Gebiet ist Joachimsthal und wir staunen über aufgelassene Industrieanlagen. Das muss mal ein wichtiger Ort gewesen sein! Stillgelegte Bergwerke werben um Besucher, doch wir wollen einfach nur mehr in unsere Unterkunft. Erst zuhause werden wir über die spannende und grausame Geschichte der "Hölle von Joachimtsthal" lesen, in dem hunderttausende Zwangsarbeiter und Häftlinge zum Uran-Abbau für die Sowjetunion gezwungen worden waren. Man vermutet, die Hälfte von ihnen hat nicht überlebt...
Einen Katzensprung später stehen wir am Rand von Karlsbad. Diese Stadt ist schwer zu durchschauen und deshalb steckt Angelika jetzt erstmals ihre neuen Bluetooth-Kopfhörer unter den Helm. Wir haben zwar kein Navi an Bord, aber für die Unterkunftssuche nutzen wir gerne Googlemaps. Karlsbad besteht aus Ober- und Unterstadt und ist genau so ein schwieriger Fall. Die neue Technik funktioniert hervorragend und um 17:45 Uhr stehen wir vor unserer kleinen "Pension Sunshine".
Müde stiefeln wir in unser Zimmer, das geräumig und wunderschön eingerichtet ist. Jetzt nehmen wir erst mal ein duftendes Schaumbad in der Eckbadewanne und trinken einen Kaffee. Wir müssen doch endlich Didis Geburtstag feiern! Angelika hat schon zuhause ein interessantes Lokal entdeckt, nur wenige Meter vom Hotel entfernt.
Doch bevor wir losgehen, packt Didi noch das kleine Geschenk aus, das Svenja beim gestrigen Abschied unauffällig Angelika in die Hand gedrückt hat. Angelika hat es bis jetzt gut versteckt und nun freut sich Didi überschwenglich über die liebe und gedankenvolle Kleinigkeit unserer Freundin!
Die "Pizzeria Locale" wirbt mit ihrem Zertifikat, als eines von 200 Lokalen die original römische Pinsa anzubieten! Das Rezept ist etwa 2000 Jahre alt und zu dieser Zeit wurde diese Ur-Pizza sogar den Göttern als Opfer dargebracht. Wenn die Story nicht stimmt, ist sie zumindest gut erfunden! (Obwohl wir in Ercolano schon vom Vesuv verbrannte Teigfladen sahen und das war 79 n. Chr. Also wer weiß?)
Um 19:00 Uhr hocken wir im hübschen Gastgarten mit Blick auf die Oberstadt und feiern! Nach einem schönen Aperitif nimmt Angelika eine Pinsa Romana mit Fior di Latte und Büffel-Mozzarella, während Didi sich köstliche Entenbrust in Trüffel-Beerensauce gönnt. Der Wein steht den Spezialitäten um nichts nach und wir nehmen reichlich und nach der Aioli sind wir geradezu süchtig! Wir zahlen knapp 90.-, denn dieses Lokal ist für Einheimische sicher unglaublich teuer.
Unseren Abschlusskaffee wollen wir in der Unterstadt und wir latschen eine unfassbar steile Straße hinunter zum Fluss. (Memo: "Altstadt in Fußnähe" ist hier anstrengender, als es bei der Hotelbuchung klingt!) Karlsbad zählt zu den bedeutensten Kurstädten Europas und der Prunk und Pomp der großen Palais und Hotels zeugen vom ehemaligen aber auch ganz aktuellen Reichtum. Wir schlürfen noch einen Kaffee an der Flusspromenade, bevor wir todmüde und völlig erledigt den Felsen zurück zum Hotel steigen.
Es ist Mitternacht, als wir nach 18 Stunden und hunderten Kilometern Autobahnfahrt endlich schlafen gehen. Morgen sind wir schon zuhause...
Tageskilometer: 510 km
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