Strahlender Sonnenschein scheint in unser hübsches Zimmer, als wir schnell unsere Morgentoilette machen und ein wenig aufgeregt eine selbst angerührte Tasse Kaffee schlürfen. Der Wecker hat schon um 7:30 geläutet, damit wir nicht zu spät kommen. Wir haben es eilig, denn auf uns wartet ein lang ersehnter Höhepunkt!
Was für eine Freude! Wir dürfen die Motorräder bis Mittag in der hoteleigenen Tiefgarage stehen lassen! Das ist wirklich praktisch! Unser Zeug stopfen wir in einen Winkel bei der Rezeption und schon eilen wir los. Wir müssen nur die Straße überqueren und schon stehen wir vor dem güldenen Portal. Das Schloss Fontainebleau begrüßt uns mit sonnigen 17°C unter einem azurblauen Himmel!
Punkt 9:30 öffnet sich das große Tor und wir werden eingelassen. Wegen der Maskenpflicht zupfen wir schnell unsere Halstücher über die Nasenspitze, bevor wir aufgeregt unsere Online-Tickets vorzeigen. Mit uns betreten noch weitere vier Besucher das Schloss. Wir werden uns in den 1.500 Räumen wohl nicht auf die Füße treten...
INFOBOX
König Franz I. hatte gerade sein letztes Schloß an der Loire fertiggestellt, als er sich 1528 Fontainebleau zuwandte und das mittelalterliche Gebäude mit Hilfe aus Italien zu einem feudalen Jagdschloß umbaute. Der erste absolutistische Herrscher war ein großer Gönner der Künste und Architektur und finanzielle Grenzen waren etwas für die anderen!
Ganz besonders drückte der Sonnenkönig Ludwig XIV. dem Haus seinen Stempel auf. Der liebende Vater und Opa (dem mangels überlebender Nachkommen sein Urenkel nachfolgte!) war gerne hier, fern der Etikette von Versailles. Der nicht für mönchische Genügsamkeit und Anspruchslosigkeit bekannte Bourbone verbrachte bis zu seinem Tod 1715 jeden Herbst in Fontainebleau. Frankreich war während seiner 72jährigen Regentschaft zum mächtigsten Staat und kulturellen Zentrum Europas und Französisch zur Weltsprache geworden.
Während der Revolution wurde das Schloss verwüstet und stand einige Jahre leer. Es schien nicht opportun, in solchem Prunk und Luxus zu leben. Napoleon sah das lockerer und zog 1804 mit seiner geliebten Gattin Josephine und deren Kindern in Fontainebleau ein. In nur 19 Tagen (!) ließ er die 1.500 Räume neu möblieren und dekorieren. Damit das dankbare Volk weiß, wen es vor sich hat, baute er ins ehemalige Schlafzimmer des Sonnenkönigs Ludwig XIV. seinen Thron- und Regierungssaal. Der ehemals kleine Soldat aus Korsika wollte so an erbmonarchische Tradition nicht nur anschließen, nein, er wollte sie übertreffen!
Über zwei Stunden schlendern wir von einem opulenten Saal zum nächsten und kommen aus dem Staunen nicht heraus. Es ist einfach un-fass-barer Luxus, den wir hier sehen! Was für ein sagenhafter Prunk! Was für eine pompöse Verschwendung! Italienisch-französische Renaissance und Barock in Reinstkultur. Fassungslos nehmen wir die unzähligen Details wahr.
Flüsternd vor Erstaunen betrachten wir goldene Möbel, Wände, Deko und Ausstattung aus dem französischen Absolutismus. In Marie-Antoinettes Schlafzimmer ist vor lauter schwerem Golddekor das Bett kaum zu erkennen! Sowas haben wir noch nie gesehen! Wie eine winzige Gartenhütte scheint dagegen das österreichische Schloss Schönbrunn.
Die spektakulären Räume von Napoleon beeindrucken uns sehr! Während unserer Motorradtour 2008 besuchten wir sein Geburtshaus in Ajaccio/Korsika und nun stehen wir hier in den überwältigenden Räumen seiner totalen Machtentfaltung und in seiner Privatwohnung.
Nicht nur seine persönlichen Sachen wie Kleidung, Geschirr, Kosmetikkoffer und Kinderspielzeug für seinen Sohn sind zu sehen. Auch sein extravagant-glamouröser Thronsaal und das Zimmer, in dem der selbstgekrönte Kaiser 1814 seine Abdankung unterschrieb und sich von seinen Soldaten vorerst Richtung Elba verabschiedete.
Als wir das Gebäude um die Mittagszeit verlassen, sind wir von der Grenzenlosigkeit der französischen Könige des Absolutismus völlig erledigt. Später werden wir lesen, dass die Einrichtung von Schloß Fontainebleau die opulenteste Frankreichs ist. Als wir durch den Park zu unseren Motorrädern wandern, können wir noch nicht wissen, dass die Schlossanlage nichts ist gegen jene, die wir in etwa zwei Wochen besichtigen werden...
Gestern abend haben wir unweit vom Hotel ein winziges Café entdeckt, dorthin stiefeln wir jetzt auf ein kleines Frühstück. Wir schwitzen in unsere Motorradsachen denn während unserer Besichtigung ist es draußen warm geworden! Im strahlendsten Sonnenschein mampfen wir jetzt buttrige Croissants, die wir mit einem gnadenlos starken Kaffee hinunterspülen.
Jetzt sind wir abfahrtsbereit! Wir springen auf unsere Hondas und verlassen die schöne Stadt mit dem tollen Nachtleben und durchqueren unmittelbar nach dem Ortschild den "Forêt de Fontainebleau". Dichte, dunkle Eichen- und Kiefernwälder bilden das frühere Jagdrevier vergnügungssüchtiger Könige und wir freuen uns jetzt über den Schatten. Mittlerweile hat es 25°C und uns ist heiß!
Wir wussten noch nicht, dass wir hier durch eines von Westeuropas größten Waldgebiete fahren und an den sagenhaften Sandsteinformationen das "Bouldern" erfunden wurde. Ein moderner Sport? Au contraire! Hier im Wald erkletterten bereits 1890 die ersten Abenteurer ohne Seil und Gurt die Felsen! Deshalb werden die Schwierigkeitsgrade heute nach der "Fontainebleau-Skala" (Fb-Skala) gemessen.
Die "Route de Fontainebleau" D837 führt geradewegs nach Westen. Bald haben wir die Wälder hinter uns gelassen und cruisen mit den erlaubten 80km/h gemütlich über die weite Ebene (>> Clip). Wir sehen gigantische Traktoren, die dichte Staubwolken über die gelbvertrockneten Felder ziehen. Es ist windstill, staubig und heiß. Wie schon in den letzten Tagen kreisen zahlreiche Raubvögel über unseren Köpfen und hoffen auf unaufmerksame Beute auf den abgeernteten Getreidefeldern.
Wir hängen unseren Gedanken an die kolossalen Eindrücke von heute Vormittag nach, während wir alleine unsere einsamen Bahnen ziehen. Das Département Yvelines ist eine ruhige Gegend! Wir sind 1,5 Stunden unterwegs, als wir in "Ablis" Pause machen. Der kleine Ort ist die erste größere Häuseransammlung und wir hoffen auf einen Kaffee! Doch das verlassene Nest schläft in der Mittagshitze, als wir im dürftigen Schatten an der uralten Kirche halten. Hier ist alles verschlossen.
Wir müssen uns neu orientieren! Unsere Karte hat einen völlig ungeeigneten Maßstab für die winzigen Wege und wir können die D910 nicht finden! Uns scheint, hier fanden enorme Straßenbauaktivitäten statt und die Gegend entspricht nicht mehr dem, was "Freytag & Berndt" damals notiert hatten. Wir probieren jetzt einfach nach Gefühl! Verschwitzt klettern wir auf die Transalps und los gehts.
Nirgends verfährt man sich so schön wie hier! Wir durchqueren aufmerksam winzige Dörfer aus archaischem grauen Stein, ab und zu steht ein Chateau an der Straße, das schon bessere Zeiten sah und wir tuckern gespannt an uralten Steinmauern entlang (>> Clip). Die Siedlungen tragen klingende Namen wie "Le Gué de Bleury" und "Saint-Symphorien". Irgendwann erreichen wir "Epernon" und finden uns wieder zurecht.
Nach einigen Kilometern über die staubige Ebene erreichen wir endlich Maintenon! Auf der mittlerweile verzweifelten Suche nach Kaffee und Erfrischung kurven wir entschlossen mitten in die uralte Kleinstadt. Vorsichtig zangeln wir jetzt unsere Hondas durch enge Gässchen und folgen dabei dankbar den Schildern mit der Aufschrift "TOUTES DIRECTION". Wenn es in alle Richtungen geht, wird das für uns schon passen!
Plötzlich wirft Angelika Anker und deutet auf einen öffentlichen und überdachten Parkplatz neben einem - endlich! - kleinen Café! Wir wuchten die Transalps unter das blumengeschmückte hölzerne Dach, ignorieren eventuelle Gebührenpflichten und stiefeln zu den kleinen Tischen, die vor dem Pub "Le Blue Bird" im Schatten stehen. Glücklich winden wir uns aus den verschwitzen Jacken und bestellen noch im Stehen zwei große Eisportionen, Mineralwasser und kleine starke Kaffees, schwarz ohne Zucker.
Meine Güte, es ist schön hier! Da vorne sehen wir die barocke Kirche "Saint Pierre" aus dem 17. Jhdt. und auf dem kleinen Platz ist das bunte Dorfleben in vollem Gang! Während wir zufrieden das leckere Eis löffeln, studieren wir unsere Karte, bis wir einen guten Weg zu unserer Unterkunft entdeckt haben. Es ist nicht mehr weit und wir brauchen noch Abendessen! Wir wollen heute mal etwas Deftiges, zumal unsere Gastgeber einen guten Gartengrill haben!
Als wir Maintenon verlassen, erkennen wir an der linken Seite das gewaltige Wasserschloss aus dem 15. Jhdt, bekannt durch seine sagenumwobene Eigentümerin, die vor allem für den Sonnenkönig Ludwig XIV. eine große Rolle spielte.
INFOBOX
Die so hübsche wie intelligente Francoise war 16, als sie aus Mitgefühl einen körperlich versehrten aber berühmten Dichter heiratete, der sie nicht nur aus ihrem Aschenbrödel-Leben holte, sondern sie in die höfische Gesellschaft einführte. Er war viel älter als sie und sie war bereits mit 24 verwitwet und in Geldnot. Über verschiedene Jobs lernte sie eine Mätresse Ludwigs XIV. und später auch ihn selbst kennen.
Der König schätzte ihre Klugheit und Bildung und bald war sie Erzieherin seiner zahlreichen unehelichen Kinder. Die Arbeit war gut bezahlt und sie konnte das Schloss Maintenon erwerben und hieß fortan "Madame de Maintenon". Das Vertrauensverhältnis des Königs wuchs stetig und eine tiefe Freundschaft entwickelte sich, auch weil Francoise beide Damen, die Geliebte des Königs und seine Ehefrau, achtete und ihnen - zumindest offiziell - nicht in die Quere kam. Außerdem liebte sie seine Kinder und das war dem Familienmenschen Ludwig äußerst wichtig.
Ihre Stellung bei Hofe war bald unklar, die aktuelle Geliebte wurde nervös (der Ehefrau war es egal) und die Diffamierungen nahmen zu. Francoise galt mit ihren 44 Jahren als alte Frau! Außerdem war sie in einem Gefängnis geboren worden! Und der schlechte Einfluss auf den König! Doch Ludwig XIV. hielt Francoise die Stange, machte mit seiner Mätresse Schluss und - als seine Königin gestorben war - heiratete sie in einer heimlichen Zeremonie. Die glückliche und diskrete Ehe dauerte 30 Jahre und der Sonnenkönig wich seiner klugen und frommen Frau bis zu seinem Tod nicht mehr von der Seite.
Wir werden langsam müde und haben für heute schon genug, als wir noch einige Kilometer auf der D26.1 westwärts cruisen. Bei einem Aldi, der praktisch am Weg lag, haben wir noch Abendessen gekauft. Nun freuen wir uns schon auf die Bratwürste, deftigen Mayonnaisesalat, Baguette und einige Leckereien, die wir in unser Gepäck gestopft haben.
Über winzige Güterwege ohne Namen finden wir um 17:00 unsere Unterkunft in "Marville le Bois" und werden sofort allerherzlichst begrüßt! Philippe öffnet schnell das große Gartentor seines Knusperhäuschens und wir dürfen die beiden Hondas neben die Terrasse stellen. Noch bevor wir unser hübsches Zimmer beziehen, zeigt er uns stolz sein Motorrad. Eine scharfkantige "Honda CBR Fireblade" steht fahrbereit in seiner Garage und sofort entspinnt sich ein herzliches Benzingespräch mit dem lieben Mann. Hondafahrer sind so!
Wir haben Hunger bekommen! Angelika inspiziert die kleine Küche und findet eine gute Pfanne und etwas Geschirr. Sehr gut! Während sie die leckeren Bratwürste brutzelt, trägt Didi unsere Leckereien zum großen Tisch auf der Terrasse. Wir essen fröhlich im Garten mit Blick auf die gepflegten Bäume und den vertrockneten Rasen. Es hat hier seit Wochen nicht geregnet! Philippe ist nicht nur begeisterter Motorradfahrer, ebenso erfolgreich züchtet er verschiedene Sorten Tomaten in seinem kleinen Glashaus, aus dem wir uns frei bedienen dürfen!
In der Abenddämmerung spazieren wir später durch den klitzekleinen Ort. Die 326 Einwohner scheinen früh schlafen zu gehen, denn die Fensterläden der kleinen Häuser sind - so wie auch die winzige Bäckerei - bereits dicht verrammelt. Es gibt keine Geschäfte und keine Gastronomie in diesem verlassenen Dorf. Auch das Rathaus wurde bereits vor Jahrzehnten zugesperrt. Nur einige wachsame Hunde bemerken uns und melden pflichtgemäß unsere Anwesenheit. Am Ortsende schauen wir lange über die einsamen Felder. Nur am Horizont leuchten schwach die Lichter des Nachbardorfs. Es ist still hier, absolute Ruhe.
Wir freuen uns, hier gelandet zu sein. Eigentlich war für heute abend ja Versailles geplant! Warum wir das Sensationsschloss ausgelassen haben? Nun 1. waren die Eindrücke aus Fontainebleau genug für mehrere Tage und 2. hat uns der Verkehr im Ballungsraum Paris abgeschreckt. Solche Besichtigungen machen als Städteflug mehr Spass als mit zwei vollgepackten Motorrädern! Und 3. wurde der Bezirk Île-de-France vor wenigen Tagen zum strengen Corona-Risikogebiet erklärt. Wir wollen eventuelle Schwierigkeiten mit unserem ausländischen Kennzeichen vermeiden.
Wir sind froh, hier in der ländlichen Stille gelandet zu sein. Marville, ein Dorf am Rande der Geschichte. Thronfolgen, Revolutionen, Regierungswechsel und Tagespolitik? Es wird geschrieben, dass an diesem Dorf die großen Umwälzungen der Weltgeschichte vorbeigegangen sind. So zufrieden, wie manche Menschen hier leben, scheint uns das - in diesen verrückten Zeiten - nicht die schlechteste Strategie...
Tageskilometer: 240 km
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