18. Tag: Die Stadt Ribe

Wir haben lange geschlafen und der Wecker hatte heute Pause. Heute haben wir frei! Die Motorräder bleiben stehen und wir machen einen Urlaubs- und Besichtigungstag in Dänemarks ältester Stadt! Als wir die Vorhänge zur Seite ziehen, empfängt uns strahlender Sonnenschein und wolkenloser Himmel bei 25°C. Sommerwetter!

Wir schlüpfen in etwas Bequemes, wobei Angelika fluchend herumhumpelt und sich letztlich doch für vernünftige Schuhe und gegen ihre hübschen Sandalen entscheidet. Alles andere wäre auf den alten Pflastersteinen Ribes auch ziemlich schwachsinnig. Wir rühren währenddessen einen schnellen Kaffee an. Fürs Frühstück suchen wir etwas Hübsches in der Altstadt!

Es ist schon 11:30, als wir uns wieder im "Postgaarden 1668" niederlassen. Da hat es uns gestern schon so gefallen! Ihr kennt das? Man soll nicht mit Hunger einkaufen gehen, das kann nur schiefgehen. Was soll man sagen, das Tischchen wird bei weitem zu klein, als die liebe Kellnerin zwei Smørrebrød, einen Burger und Kaffee bringt. Alleine die Smørrebrød reichen, um eine ausgehungerte vierköpfige Familie zu versorgen!

Wir bemerken, dass Angelikas Sessel zufällig auf einem schwarzen Stein steht, der in den Boden eingelassen ist. Wir lesen die Inschrift: "Hier lag bis 1843 Ribe Nørreport. Innerhalb seiner Grenzen galt das Ribener Recht". Wow! Hier war also das nördlichste Stadttor! Hier teilte sich die Ribe-Au in die nördliche Wikingerstadt und die südliche Mittelalterstadt.

Nach dem leckeren Frühstück latschen wir also los ins Mittelalter. Durch die beschauliche Fiskergade, an deren Ecke wir noch eine ansprechende Tüte Eis mitnehmen, balancieren wir über das ausgewaschene Kopfsteinpflaster an den pittoresken Häuschen des Fischerviertels vorbei. Sie wurden alle um 1580 errichtet, nachdem ihre Vorgänger dem großen Brand zum Opfer gefallen waren.

Wir müssen lachen, als wir zwei skurrile Besonderheiten entdecken! An einigen historischen Fenstern sind kurze Selfie-Sticks mit uralten Spiegeln montiert. Schamloser konnte man seine Nachbarn nicht beobachten, oder! Und vor manchen Häusern findet man sinnlos scheinende Steinstufen. Sinnlos? Das waren ehemalige Wirtshäuser! Wie hilfreich die waren, wenn einer nach feuchtfröhlichem Feiern stockbetrunken sein Pferd erklimmen musste!

Wir haben ein bestimmtes Ziel! Schon 2018 standen wir für eine kurze Pause am Fluß Ribe Å und wunderten uns über die reich geschmückte Säule an der Hafenkante, deren Spitze in der Sonne golden glänzt. Auch heute von unserem Zimmerfenster aus haben wir dieses Kunstwerk betrachtet. Also schauen wir mal, was das ist!

Schon stehen wir im alten Hafen von Ribe und schauen hinauf auf den massiven Holzpflock. Eine Sturmflutsäule! Fein säuberlich sind hier die Wasserstände verschiedener desaströser Sturmfluten verzeichnet, die Ribe über viele Jahrhunderte getroffen haben. Beeindruckt erkennen wir die oberste Markierung "1634" und lesen auf unserem Smartphone von der Katastrophe der "Großen Mandränke" (was für ein grauenvoller Name!), die damals in einer Herbstnacht abertausenden Menschen das Leben kostete. Nordsee = Mordsee! Ein Vergleich macht sicher: Die Häuschen in der Fiskergade sind auch heute allesamt niedriger als die Hochwassermarkierung in über 6 Metern Höhe!

Als Alpenländler wissen wir nicht viel über Sturmfluten und daher kommt das wunderschöne und winzige Lokal nebenbei gerade recht. Wir lassen uns auf der eleganten Sitzgarnitur des Sælhunden" nieder und die Stimmung hier auf uns wirken. Jetzt lesen wir bei leckerem Aperol Spritz ausgiebig über die Katastrophe im Oktober 1634 und andere Sturmfluten in der Region, die zB die Insel Pellworm hervorgebracht und Husum zur Hafenstadt gemacht haben. Und über mystische Orte wie Rungholt, dem Atlantis der Nordsee, das bis heute nicht gefunden wurde. Was für eine faszinierende Region!

Hinter uns die mittelalterliche Altstadt, vor uns der ruhige Fluß, der heute nur mehr ein ruhender Kanal ist, in dem ein paar kleine Boote schaukeln. Nichts hier lässt auf die ehemalige Wichtigkeit Ribes schließen! In unserer Phantasie lassen wir den größten Hafen Dänemarks wiederauferstehen und sehen große Frachtschiffe internationaler Verbindungen, die bis England, Holland und Mitteldeutschland reichten! 

Spätens jetzt hat uns die 1.300 Jahre lange Vergangenheit Ribes gepackt. Wir schlendern über die uralte Hauptstraße mit den Namen "Nieder-, Mittel- und Oberdamm" zum Dom am Hauptplatz. Im 13. Jhdt. wurde dieser Damm errichtet, um die Stadt trocken zu halten! Ribe ist an allen Ecken vom Wasser durchströmt und wir stehen staunend am gigantischen historischen Wassermühlenrad, das sich mitten in der Fußgängerzone mit brausendem Lärm die Wucht des Wassers Nutze macht. 1960 hat man hier noch Mehl gemahlen!

Beim schmucken ältesten Hotel Dänemarks bleiben wir stehen und gucken auf die Kirche. Der Dom steht in einer gigantischen Grube! Er liegt bedeutend tiefer als der Rest des mittelalterlichen Platzes! (Tatsächlich wuchs das Bodenniveau der Stadt ständig, weil man im Mittelalter die neuen Häuser laufend auf Brand- und Bauruinen ihrer Vorgänger baute. Der Dom steht auf Originalhöhe, sinkt aber auch langsam in den weichen Untergrund!)

Wir lesen, dass der vierkantige hohe Turm, der die Skyline von Ribe prägt, gar kein Kirchturm ist. Er wurde als Bürgerturm erst später dazugebaut und zwar für die Montage der Sturmglocke von Ribe. Heute ist ganz oben eine Aussichtsplattform. Ausserdem finden wir auffällig, aus wievielen Baustilen das bemerkenswerte Gebäude zusammengestückelt ist. Zuviele Brände und Einstürze haben ständige Neubauten erfordert. Ein außergewöhnliches Gotteshaus. Wir stiefeln neugierig hinein.

Wir besuchen jede wichtige Kirche auf Reisen, denn es sagt viel über die Kultur und die Menschen einer Region aus, wie sie ihr (damals wohl) wichtigstes Gebäude errichteten. Was war ihnen wichtig? Was war ihnen sogar heilig? Nun, hier bleiben wir etwas ratlos zurück, so modern und kühl ist der erste Eindruck.

So beeindruckend der älteste Dom Dänemarks von außen wirkt, so einfach, schmucklos und ohne Besonderheiten erscheint er uns im Innenraum. Nur das Grab von König Cristoffer I. und seine Geschichte finden wir spannend! Der unbeliebte Herrscher ist hier begraben, nachdem er vom Abendmahlwein vergiftet in Ribe gestorben war. Seine Grabplatte wurde achtlos in eine Ecke gelegt.

Schon dessen Thronbesteigung war von üblen Geschichten begleitet. Als Christoffers Vater starb, erklomm dessen Bruder Abel den Thron. Beide Königssöhne Erik und Christoffer sahen sich jedoch als rechtmäßige Thronerben. Dann ging es in der Familie rund! Zuerst wurde Erik von Onkel Abel ermordet, der dann selbst einen gewaltsamen Tod fand. (Abel spukt seit seinem Tod in der Schlei in den Sümpfen von Gottorf umher!)

Nach dem Tod von Onkel und Bruder wurde Christoffer 1252 dänischer König. Erzbischof Jakob verachtete Christoffer vom ersten Tag an und provozierte, wo er nur konnte. So stellte der superreiche Kirchenmann offiziell das Kirchenrecht über die weltliche Justiz und anerkannte Christoffer sowieso nie als rechtmäßigen Herrscher.

Der Streit ging hin und her und endete nicht einmal mit dem Tod Christoffers durch vergifteten Abendmahlwein, den ein Amtskollege Jakobs ihm kredenzt hatte. Der Erzbischof kam frei und setzte seinen Kampf gegen das unrechtmäßige Königshaus noch jahrelang fort.

Nachdem wir über diesen Krimi gelesen haben, latschen wir ein paar Meter über den Hauptplatz zu einem Museum, dessen moderne Außengestaltung die mittelalterlichen Häuser Ribes noch besser zur Geltung bringt. Der Eintritt ist gratis und so stehen wir kurz später vor der Ruine des ältesten Backsteinhauses Dänemarks. Die Überreste des Speisesaals sind gut erkennbar. Ausserdem ist es bei solchen Dingen oft die Idee, die zählt!

Noch spannender finden wir allerdings die frühchristlichen Wikingergräber, die hier gezeigt werden. Man sieht nur einige Umrisse, aber unter Ribe liegt ein enormer Friedhof mit tausenden Gräbern aus dem 9. Jhdt. Dessen Ausdehnung reicht unter den Hauptplatz und weit darüber hinaus (und wird vermutlich deshalb nie ausgegraben werden)! Der römisch-katholische Missionar Ansgar hatte nach der Gründung des Bistums in Hamburg und der Kirche in Haithabu hier seinen (mäßig erfolgreichen) Missionsstützpunkt für ganz Skandinavien errichtet.

Als wir aus dem kleinen Museum treten, beschließen wir: Das war genug Kultur und Geschichte! Wenn da nicht noch das überall angepriesene Wikingermuseum wäre. Das heben wir uns fürs nächste Mal auf. Wir haben schon so viel von den Wikingern gesehen, seit wir in Dänemark sind! Aber wir haben noch Zeit bis zum Abendessen und spazieren einfach mal los.

Wir stiefeln über dekoratives Kopfsteinpflaster am "Alten Arrest" (hier kann man in den alten Zellen übernachten und wahnwitzig teuer essen!) und am "Alten Rathaus" vorbei, das 2007 nach über 500 Jahren als ältestes Rathaus Dänemarks seine Pforten schloss. (Heiraten kann man hier immer noch und das ist vor allem bei Deutschen auch sehr beliebt!)

Bei beiden Institutionen kann das wunderschöne Äußere jedoch nicht über die grausame Vergangenheit hinwegtäuschen: Ribe war im 16. und 17. Jhdt. gefürchtetes Zentrum der dänischen Hexenverfolgung mit all seinen widerlichen Exzessen.

Nun wandern wir die Dagmarsgade entlang. Obwohl Ribe von (vor allem) deutschen Touristen in Beschlag genommen ist, wird es nur wenige Meter nach der innersten Altstadt ruhig und romantisch. Das Gässchen ist menschenleer und wir kommen an einem verwunschenen Park vorbei, bis wir am Wikingermuseum stehen. Das - so wie fast alles in Dänemark - soeben um 17:00 seine Pforten schließt.

Das stört uns heute nicht! Stattdessen latschen wir gemütlich wieder Richtung Innenstadt. Wir nehmen den direkten Weg und stehen plötzlich in einer wunderbaren Parkanlage, die von gewundenen Bächen durchflossen wird. Auf Holzstegen spazieren wir nun durch dichtes Unterholz, über Teiche und Bäche, auf denen sich aberwitzig viele Enten mit Seerosen den Platz teilen. Was für ein friedliches, lauschiges Plätzchen für eine Pause, denn wir sind müde geworden...

Erst viel später finden wir dann zwei schöne Sitzplätze in einer Pizzeria mitten am Hauptplatz, neben den Mauern des Doms. Wir hätten nicht gedacht, dass wir an so einem Ort so günstiges Essen finden würden! Ok, die Pizzeria ist eine Ausnahme: Restaurants in Ribes Altstadt spielen preislich definitiv in der Oberklasse.

Wir freuen uns gerade über die leckeren Burger und gebackene Garnelen, während die Nachtwächter wieder ihre Runden drehen. Nicht nur in Ringkøbing, sondern auch hier singen sie ihre traditionellen Weisen, während sie eine Gruppe von interessierten Touristen durch die Stadt führen. Sollen wir uns schnell anschließen?! Letztendlich bleiben wir aber lieber noch bei einem zweiten Bier hier hocken.

Wir sind ziemlich erledigt, als wir über den alten Damm, der nun die Hauptstraße ist, zurück zu unserem Hostel wandern. Doch wir wollen den beeindruckenden Tag noch nicht beenden! Deshalb holen wir uns vom großen Supermarkt an der Ecke noch ein paar süße Bäckereien.

Wir haben schon gestern diese Strandkörbe a la Sylt entdeckt und noch nie sind wir in sowas gesessen! Aber heute liegen wir mit Kaffee und Kuchen in den halbbequemen Möbeln vor unserer Unterkunft und schauen über die "Kopfwiese" auf die Altstadt hinüber. An diesem Ufer der Ribe-Au war die ehemalige Hafeneinfahrt und der Platz, an dem man zur Abschreckung die abgeschlagenen Köpfe enthaupteter Piraten aufgespiesst hat.

Plötzlich brauen sich ober uns schwarze Wolken zusammen. Nein, nicht die vom Wetter! Es sind abertausende Vögel, die in tanzenden Schwärmen den Himmel verdunkeln und Richtung Nordsee fliegen. Was war das denn?! Wir werden erst viel später vom Phänomen der "Schwarzen Sonne" lesen, das im Marschland der Ribe-Au als einzigartiges Naturphänomen und als Touristenattraktion zu bestaunen ist...
Gute Nacht, Ribe!

Morgen fahren wir nach Mandø >>klick

Ribe ist wunderschön, oder?

Ribe - So schön.

Das Frühstück im Postgaarden 1668 ist ja der Hammer. Meine Güte. Das sieht tatsächlich umwerfend lecker aus.

Und was ihr alles über Ribe zu berichten wisst. Nichts davon wusste ich, dabei bin ich da schon als Kind mit Oma und Opa entlangspaziert. Auch deshalb liebe ich eure Reiseberichte so, man erfährt immer etwas Interessantes.

Aber eines weiß ich: Ribe ist wirklich wunderschön, und die Fotos, die ihr gebracht habt, zeigen das auch.

Und ihr habt Stare gesehen? Die schwarzen Wolken aus tausenden von Vögeln? Dafür ist Dänemark wohl berühmt und dann hattet ihr tatsächlich den richtigen Zeitpunkt erwischt.

Jetzt habt ihr das Fernweh geweckt. Und dazu das wunderschöne Wetter auf den Fotos. *seufz*

Weiterhin gute Reise, ihr Beiden.
Drück euch.
Svenja

Antw.:Ribe - So schön.

Ribe war wirklich klasse! Und die Stadt hat unsere Phantasie mächtig angekurbelt. :-) Manchmal kommt man dort den früheren Verhältnissen sehr nah, wie ich finde.
Danke für das liebe Kompliment für unsere Erzählungen! Das Angucken und Hineinfühlen in andere Zeiten und Lebenswelten via historischer Besichtigungen sind für uns 50% der Motorradreisen. So wie für andere das Campingleben. ;-)
Dass das Stare waren, haben wir erst zuhause recherchiert. Der Eindruck war aber wirklich außergewöhnlich!

Drück dich!
Geli

Antw.:Antw.:Ribe - So schön.

Hast du den Beitrag auf MareTV über Rømø, Fanø und Mandø gesehen? Hab ich gestern mit Claudia geguckt und fanden wir klasse.
Lieben Gruß
Svenja

Antw.:Antw.:Antw.:Ribe - So schön.

Mist, Link vergessen:
https://www.ardmediathek.de/video/maretv/die-daenischen-wattenmeerinseln-romo-fano-und-mando/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS8yNTg5ZjNkYy04N2ExLTQxNDEtYTE5MS1kMTBmMTI2Y2M4MTc/

Antw.:Antw.:Antw.:Ribe - So schön.

Ja klar haben wir! Wir saugen alles auf, was es über dieses fremde Land zu sehen gibt. :-) Und Fanø waren wir noch gar nicht. da war so ein Stau zur Fähre, der uns abgeschreckt hat.
Geli

Schwarze Sonne

Moin, Moin,
Die Dänen sieht man jedes Jahr wie auf einer Schnur gezogen auf dem Deich der Wiedau bei Aventoft stehen.. Zum Stare gucken. Fressbude inclusive, klar. Die Deutschen fahren dann zum Dänen gucken hin

Antw.:Schwarze Sonne

Wahahahahaaaa!!!

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zuletzt aktualisiert am 18.3.2024