Heute wird es warm! Wir messen 21°C und Sonnenschein, als wir nach einem guten Frühstück die Transalps satteln und vom Platz rollen. Es ist schon fast 12:00 aber wir haben es nicht eilig. Wir haben sogar unsere Motorräder ein bissl sauber gewischt, denn nach fast drei Wochen hatten sie doch auffällige Gebrauchsspuren am wunderschönen "Ross White"-Lack.
Weil unser Tagesziel nicht weit entfernt liegt, haben wir eine Menge Umwege geplant: Wir wollen ´raus aus den Touristenzentren und ein wenig Ruhe genießen! Deshalb nehmen wir gleich den schmalen Rv815 gen Norden.
Wir cruisen entlang von märchenhaften Aussichten immer den Vestfjord entlang. Links die felsigen Berge und rechts das Meer: Schöner kann ein Montag nicht beginnen!
Die Lofoten bestehen aus etwa 80 Inseln und wir wollen nach Gimsøya. Wir haben sogar einige winzige Sehenswürdigkeiten gefunden. Kleine Dinge, die wir dort ansehen wollen. Aber Hauptsache ungestört Motorradfahren!
Mal geht es eng an der Wasserlinie entlang, mal cruisen wir über Almen, die für uns ganz heimisch wirken, mal durch sumpfige Moorlandschaften mit hohen Bergketten am Horizont, alle über 700 Meter hoch.
An der schön geschwungenen Sundklakkstraumen-Brücke, die das Festland mit Gimsøya verbindet, treffen wir auf die Hauptstraße E10. Es braucht eine Zeit, bis wir uns über die Brücke in den Verkehr einfädeln können, Wohnmobile fahren quasi Stoßstange an Stoßstange Richtung Reine und Å.
Nur für Gimsøya interessiert sich niemand! Und so sind wir wieder ganz alleine unterwegs, als wir auf dem Rv861/862 die kleine Insel entlang fahren. Nur etwa 230 Einwohner teilen sich hier eine Fläche, die etwa 1/10 von Wien ausmacht! (Bei uns wären es 19.000 Leute auf so einem Fleck.) Wir rollen bedächtig weite Torfmoore entlang rund um die Insel, flaches Land so weit das Auge reicht.
Wir umrunden das Naturreservat im Westen der Insel. Als bergig ist es beschrieben und der höchste Gipfel ist tatsächlich 17 Meter hoch. Nein, halt! Schon lange fällt ein besonderer Berg ins Auge. Der haifischzahnartige Hoven sticht mit seinen fast 400 Höhenmetern hervor. Wie kommt denn der hierher? Ein einzelner steiler Felsen mitten im sumpfigen Marschland! Der Ausblick von da oben muss gewaltig sein!
Wir halten die Augen offen. Eine der wenigen Sehenswürdigkeiten auf Gimsøya ist das "Pøbel Butterfly House". Ein Lost Place, der in jedem Reiseführer auftaucht. Wir wollen das ansehen, denn "Pøbel" ist international fast ein wichtiger Künstler! Doch manches Interessante ist so unauffällig, dass man es schlicht übersieht. Und so braust Didi in gestrecktem Galopp daran vorbei.
Angelika hält kurz an und versucht, einen diskreten Standplatz zu finden. Doch es gibt nur eine einzige Parkbucht und die ist von einem fetten SUV deutscher Provenienz belegt. So macht sie vom Sattel aus einige Fotos und versucht, den Eindruck auf Zelluloid zu bannen. Schon ein verrückter Anblick, das mit Street Art geschmückte verfallende Haus in der paradiesischen Landschaft! Hineinzuklettern erübrigt sich mangels Parkplatz, leider! Vielleicht wäre es eh zu gefährlich gewesen?
Nur wenige Minuten später stehen wir in Hovsund. Unsere Karte verspricht ein Dörfchen (und wir uns einen Kaffee) aber hier ist nichts! Also nicht gar nichts, nur drei Häuser an einer Privatstraße zum winzigen Hafen. Weiter drüben noch mal fünf Häuschen, aber nach Café schaut keines aus. Angeblich ist hier ein uraltes Fischerdorf, aber wir können nichts entdecken, was darauf hinweist.
Ob wir für ein Foto da hinunter fahren dürfen? Das ganze wirkt so abweisend und der kleine Parkplatz am Ende vom Asphalt könnte ein Hinweis auf "Hier nicht weiterfahren!" sein. Doch ein kleines Schild klärt uns auf: Man darf. Aber nur leise, langsam, respektvoll und vor allem kurz! Seltsam, aber gut. Wir leisten dem Folge und tuckern Standgas den Schotterweg hinunter zur Wasserlinie.
Kaum haben wir die Motoren ausgeknipst, latscht auch schon eine kleine Frau im Bademantel auf uns zu. Wir sind hier nicht erwünscht! Bevor wir hier anhalten, müssen wir den Hafenbesitzer um Erlaubnis fragen, er wohnt da drüben. Häh?! Na gut, ob er zuhause ist? Nein, ist er nicht, beharrt sie und stemmt ihre Hände energisch in die Hüfte.
Uns geht das alles auf die Nerven und wir versprechen, gleich wieder weg zu sein. Nur ein paar Fotos! Sie beobachtet uns misstrauisch, als wir schnell alles fotografieren, was es gibt. Viel ist es eh nicht, nur der kleine Leuchtturm da drüben gefällt uns. Wir sollten über den Pier rüber wandern! Zu seinen Füßen soll ein Wal-Skelett ruhen. Aber dann wird die Frau noch ungehaltener...
Ohne weitere Verzögerung schleichen wir uns wieder. Ein seltsamer Ort, dieses Hovsund mit seinem verrosteten Hafen. Kann man sich eigentlich ersparen, stellen wir fest, als wir aus dem Einflussbereich des Wachhundes im Bademantel verschwunden sind.
Wir rollen langsam auf dem Rv862 weiter, die Straße ist längst nur mehr einspurig. Schau, ein Campingplatz, aber der ist äußerst schwach besucht. Offenbar suchen Touristen doch mehrheitlich die großen Sehenswürdigkeiten und Berühmtheiten. An diesem schönen weißen Sandstrand im Nirgendwo will niemand wohnen?
Auch der Golfplatz ein paar Meter weiter ist nicht überfüllt. Wir halten an und machen Fotos. Einen so schönen Golfplatz hätten wir hier nicht erwartet! (Eigentlich haben wir hier gar keinen Golfplatz erwartet.) Das perfekte Grün und die sanften Hügel an der Wasserlinie laden zum Spielen ein! Pitcht man seinen Ball jedoch out of bounds, kann man ihn bestenfalls aus dem Nordmeer hochtauchen, bevor er nach Spitzbergen schwimmt.
Das Land hier im Norden von Gimsøya ist so flach, dass wir sie schon lange im Blickfeld haben: Die weiße Holzkirche, das einzige Gotteshaus der Insel! Schon holpern wir den kleinen Pfad zum Parkplatz und steigen ab.
Hier ist es wunderschön! 150 Jahre lang steht die Kirche hier exponiert und einsam am Strand, allen Stürmen und Fluten ausgesetzt. Man hat sie mit schweren Stahlseilen gegen den Einsturz abgesichert. Leider ist sie geschlossen.
Das reiche Erbe einer Gläubigen sichert den Erhalt der Kirche und dementsprechend perfekt ist sie erhalten. Wir schauen uns um. Der kleine Friedhof rund um das Gebäude wirkt wie aus der Zeit gefallen. Wir lesen die Grabsteine, einige sind über hundert Jahre alt. Dann stiefeln wir über das felsige Ufer bis zum Wasser. Bei Flut reicht das Nordmeer wohl bis zum Friedhofstor!
Wir spazieren ein wenig herum, genießen die außergewöhnliche Stille. Außer dem Glucksen des Meeres ist hier kein Ton zu hören.
Irgendwann reißen wir uns los und fahren weiter. Wir haben genug von dieser Insel gesehen und wollen nun zur Unterkunft. Die ist nämlich an einem für uns ganz besonderen Ort. Los gehts! Bald taucht vor uns die mächtige Gimsøystraumen Brücke auf. Mit über 800 Metern verbindet sie die Insel mit dem Festland und wie viele norwegische Brücken wirkt sie auf den ersten Blick unheimlich: Geschwungen, steil, hoch, irgendwie organisch. Bei Sturm will man da nicht ´rüber fahren!
Doch heute ist ein strahlend sonniger und windstiller Tag, es könnte schöner nicht sein. Rauf auf die Brücke und wir sind auf der Hauptstraße E10, die Touristenroute quer über den Lofot. Der Verkehr hält sich in Grenzen und wir fahren zügig rund um das Massiv des Glomtinden. Zahlreiche Wanderer latschen die Straße entlang, auf dem Weg zum Gipfel in 400 m Höhe. Ob diese Tour leicht oder schwer ist, ist sich das Netz nicht einig...
Als wir scharf rechts auf den schmalen Rv819 abbiegen, kennen wir uns plötzlich wieder aus. Die Erinnerung an 2019 ist noch wie neu und wir erkennen die Strecke noch! Da rechts ist der Rørvikstrand und er ist verdammt gut gebucht. Der kleine aber strahlend weiße Sandstrand mutet mit seinem türkisblauen Wasser fast karibisch an.
Obwohl auf den Parkplätzen und Haltebuchten Camping verboten ist (das machen die hier klüger als im "Goldenen Dreieck" bei Reine!), ist jeder noch so enge Platz am Rv819 besetzt. Nicht mal ein Fahrrad könnte man dazuquetschen, geschweige denn zwei Transalps. Wir lassen einfach die Kameras mitlaufen und hoffen auf gute Filmshots.
Die Straße nahe am Ufer wird felsiger, steiniger, enger, kurviger. Wir fahren unter hohen Felsen durch, deren Ableger sich in flachgeschliffenen Platten bis weit ins Meer verteilen. Eine fremdartige Umgebung! Wir genießen die Fahrt, obwohl zahlreiche Wohnmobile ohne Rücksicht auf Verluste an uns vorbei preschen. Sind die alle wahnsinnig geworden?! Wie kann man nur so deppert sein?!
Den ein oder anderen bösen Fluch später halten wir an der Brücke nach Henningsvær. Natürlich parken auch unter dem beeindruckenden Stockfischgestell ein paar Autos, so dass man kein schönes Foto machen kann. Wir nehmen es mittlerweile stoisch und abgestumpft zur Kenntnis. Henningsvær ist vermutlich nach Reine der zweite große Touristenhotspot auf den Lofoten.
Wir waren 2019 schon mal kurz da und wir haben uns damals heilig geschworen, wieder zu kommen. Heute geht also für uns ein ganz großer Wunsch in Erfüllung, der - nicht nur aber auch - wegen "Corona" aufgeschoben werden musste: Eine Nacht im "Venedig des Nordens"!
Wir kurven aufmerksam durch das uralte Fischerdorf. Wir kennen den Weg!
Nur noch über die Hafensperre und schon sind wir da: Tobiasbrygga, das noble Appartementhaus im alten Lagergebäude! Direkt an der Kaimauer! Es ist genau 15:30 Uhr.
Steil, Schotter, zu wenig Platz. Henningsvær ist Motorrad-Revier und nicht für Autos konzipiert! Mit den wegen den Packrollen schmalen Transalps schaffen wir es in eine Lücke. Nur Minuten später betreten wir unsere kleine Wohnung und sind sprachlos: Modern, prächtig, geräumig und der Balkon geht hinaus auf den geradezu hinreißend schönen Naturhafen!
Blitzschnell wechseln wir in bequemes Zeug und schon beeilen wir uns ins Café vor unserem Haus. Während einer kleinen Jause beobachten wir die Umgebung. Kann es irgendwo schöner sein als hier? Es hat schon längst 25°C und wir gehen kurzärmelig.
Im strahlenden Sonnenschein spazieren wir an mächtigen Stockfischgestellen hinüber zum berühmten Fußballstadion, das auf Drohnenfotos noch beeindruckender wirkt.
Wir klettern über Felsen so weit wir können aufs Meer hinaus!
Irgendjemand hat weit draußen eine Holzbank auf den Stein geschraubt und wir machen lange Pause und gucken hinaus aufs Meer und hinunter auf die Stadt. Was für ein Anblick!
Sobald die Touristenbusse weitergefahren sind, wird es ruhig in Henningsvær. Später stiefeln wir durch die Altstadt und finden ein unkompliziertes Abendessen bei einem Kiosk. Die Aussicht ist phänomenal!
"Fish and Chips" waren richtig lecker und auf der Terrasse unserer Unterkunft überreden wir die interesselose Kellnerin noch zu einem Dessert. Welche Laus ist denn der über die Leber gelaufen?
Wir lassen den Abend bei Kaffee auf unserem Balkon still ausklingen. Eine fast unwirkliche Stimmung im eigenartigen Licht der Mitternachtssonne. Lautlos kommen die Boote herein und werden an ihren Stellplätzen vertäut.
Was für ein perfekter Abend! So perfekt, dass Angelika gerne ignoriert, dass ihre rechte Schulter seit einigen Stunden ziemlich ´schmerzhaft rumspinnt. Tendenz schlimmer werdend...
Tageskilometer: 85 km
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