Wir sitzen am schönsten Ort der Welt in unserem wunderbaren Apartment am Balkon und gucken hinunter auf den Hafen. Langsam erwacht das 500-Einwohner-Städtchen zum Leben, während wir Marmeladebrötchen zum Kaffee knabbern. Der blaue Himmel, das azurblaue Wasser des Nordmeers und über allem die strahlende Sonne, die den felsigen Festvågtinden da drüben dramatisch in Szene setzt.
Dennoch sind wir ein bissl gedrückter Stimmung. Angelika hat so schlecht geschlafen, die schmerzende rechte Schulter ließ keine gute Schlafposition zu. Wild entschlossen, die nahende Katastrophe zu ignorieren, wirft sie zwei Schmerztabletten ein. Eine inbrünstige Huldigung an den Gott der Pharmazie! Dennoch zurrt lieber Didi mit hilfreichen Händen ihre rote Packrolle auf die Transalp.
Um 10:30 rollen wir den kleinen Schotterabhang vom Parkplatz auf die Straße. Ein letztes "Tschüss" zu unserem Wohnhaus und zu den Segelbooten an der Mole, über die wir den Ort verlassen. Es war wunderschön hier!
Wir haben es nicht eilig, als wir Henningsvær über die zwei ampelgeregelten Brücken verlassen. Schon kommen uns die ersten Wohnmobile entgegen. Heute ist Dienstag aber an diesem Ort macht der Tourismus keine Pause. Es wäre spannend, winters während der Kabeljausaison hier zu sein. Es gibt beim "Lofotfiske" immer noch fünf Anlandungen täglich. Vor 70 Jahren waren es noch 69 und Henningsvær war um 10.000 Einwohner größer...
Nur wenige Minuten und eine kurze Fahrt über hübsche Almwiesen später sind wir in Kabelvåg angekommen. Der Verkehr auf der Hauptstraße E10 wurde mit jedem Kilometer näher an der Hauptstadt stärker.
Über Kabelvåg wissen wir nicht viel. Nur eine gewisse Judith pflückt hier ihre frischen Birkenschösslinge, die sie zu Gewürzsalz für die Stockfisch-Gerichte auf den Hurtigruten verarbeitet. So stand es 2017 auf der Speisekarte!
Das Lofoten Aquarium ist gut ausgeschildert und nur wenige Meter später stehen die Motorräder gemütlich am großen Schotterparkplatz, während wir uns umsehen. Es ist wunderschön in der kleinen Bucht! Das blitzblaue Meer und die dunkelrot gestrichenen Holzhäuser. Im wuchtigen alten Bauernhaus da drüben ist ein Volkskundemuseum untergebracht, aber heute interessiert uns das "Lofotakvariet" mehr.
Der Eintritt kostet etwa 20.-/pP und schon wandern wir durch das kleine Gebäude. Es ist 12:00? Schnell, wir dürfen die Robbenfütterung nicht verpassen! Wir beeilen uns über die phantasievolle Stiegenkonstruktion hinauf zum Becken. Es ist immer wieder schön, die possierlichen Tiere zu beobachten, wie sie ihrer Betreuerin vertrauen, ja sogar kleine Tricks zum Besten geben. Das junge Mädchen in Gummistiefel gestaltet das Schauspiel interessant und sehr sympathisch.
Dann bittet sie uns zum Schwimmbecken der zwei Fischotter, die über Umwege aus privaten Händen hier gelandet sind. Sie wurden irgendwo am Land als Babys gerettet und von Hand aufgezogen. Das merkt man auch! Es ist entzückend, wie die geschickten Tierchen Futter aus der Hand fressen und um die Aufmerksamkeit der Wärterin kämpfen!
Nach einer kleinen Jause mit Blick auf die Bucht von Kabelvåg stiefeln wir an zahlreichen Becken mit furchteinflössend und unheimlich aussehenden Meeresbewohnern vorbei ins Kino, im obersten Stock. Der nette Typ startet den Film und ab der ersten Minute starren wir gebannt auf die Leinwand.
Das Fischerleben auf den Lofoten, heute und vor 100 Jahren! Und was hat es eigentlich mit dem Winterkabeljau auf sich, der jährlich millionenfach zum Laichen auf die Lofoten kommt und hier aus dem Wasser gezogen wird. Wir sehen in Bild und Ton die gesamte Härte des historischen Fischerlebens in Eis und Schnee, denn die Saison ist im Hochwinter. Unglaubliche Bilder von Männern in kleinen Holzbooten, die das Letzte aus sich herausholen, in einer Umgebung, die feindlicher nicht sein könnte!
Wie fühlt es sich wohl an, stundenlang im Sekundentakt mit bloßen Händen 50 kg schwere Fische aus dem Eiswasser zu ziehen und abends am Ufer unter einem umgekippten Holzboot zu schlafen, mit Segeln zugedeckt? Im Winter? Kaum vorstellbar.
Wir sind schwer beeindruckt, als wir wieder ins strahlend sonnige Draußen stolpern. Man muss sowas mal gesehen haben, um die Lofoten richtig einzuschätzen. Es ist ganz und gar unromantisch, wie hart hier das Leben vor dem Tourismus noch war. Wie Menschen um ihre Existenz kämpfen mussten. Und wieviele dabei ihr Leben gelassen haben.
Wir sind in Gedanken versunken, als wir noch auf den hohen Felsen steigen, der hier als Aussichtstum dient. Was für ein Panoramablick! Als wir Kabelvåg und den Vestfjord von oben sehen, wird uns schlagartig bewusst, dass dieses Abenteuer in wenigen Stunden endet. In nur vier Stunden verlassen wir den Archipel...
Nach einem kurzen Kaffee machen wir uns auf den Weg. Es ist nur mehr ein Katzensprung nach Svolvær, der Hauptstadt des Lofoten. Wir kennen uns hier schon aus und so kurven wir auf direktem Weg zum Parkplatz am Hurtigrutenanleger.
Es ist genau 15:00, als wir die Transalps in die kleine Wartespur paddeln.
Ach, es ist so wunderbar, so ergreifend, wieder hier zu sein! Dieses Städtchen bedeutet uns etwas. Wir fühlen uns hier irgendwie schon zu Hause! Lass uns ein wenig herumspazieren, wir haben noch so viel Zeit! Zuerst ins Café am Hauptplatz, dem Torget. So will es das Gesetz!
Es hat für uns Tradition, auf der kleinen Terrasse bei Kringla zu sitzen, Torte zu essen und das Hafentreiben und die Leute zu beobachten. Hier herrscht geschäftiges Treiben, es ist die Hölle los. Touristen mit viel zuwenig Zeit für den Landgang eilen umher, suchen ihr Schiff, mieten martialisch aussehende Schnellboote für einen Trip übers Wasser und fotografieren wie verrückt alles, was vor die Linse hüpft. Vielen merkt man den Stress an, manche haben schlechte Laune.
Wir kennen das Städtchen schon gut und sind gelassen. Nach "Sukkessterte" und Kaffee latschen wir zur Mole und gucken in alle Geschäfte. Die meisten haben mit Outdoor zu tun! Seeadlersafaris, Bootsausflüge in den Trollfjord, Bergsteigen auf die Svolværgeita, hier kann man alles buchen.
Angelika ist mittlerweile ziemlich schmerzverzerrt und halbwegs beeinträchtigt. Ihr rechter Arm gibt langsam den Geist auf! Wir beschließen, jetzt schon Abendessen zu besorgen. Denn für das Dinner auf den Hurtigruten wird es nach dem Einschiffen schon zu spät sein. (Auch ein Vorteil, wenn man schon weiß, wie das läuft!) Kurz später hocken wir im Garten des "Nordis" an der Hafenecke und mampfen köstliche Pasta mit Huhn und Pilzen. Wir werden hier nicht enttäuscht!
Später spazieren wir zu unseren Motorrädern zurück und schauen hinaus aufs Meer. Schau! Die "Richard With" fährt gerade herein! Was für ein majestätischer Anblick, als das Hurtigrutenschiff in den Hafen einläuft. Viele bleiben stehen und fotografieren. Langsam schiebt sich der Koloss in den Hafen und legt ohne die geringste Erschütterung um Punkt 18:30 an. Wer jemals an den Schifffahrtskünsten norwegischer Kapitäne zweifelte, wird auf den Hurtigruten des Besseren belehrt!
Wir beobachten eine Zeit lang einen Hafenarbeiter, der riesige Ballen Fischernetz in den Frachtraum liefert. Noch während zahlreiche Touristen ins Freie strömen und sich auf ihren zweistündigen Landgang freuen, dürfen wir an Bord.
Mit großer Routine winkt man uns in den Bordaufzug, der uns - auf den Transalps sitzend - eine halbe Etage tiefer in den Frachtraum bringt.
Der nette Typ ist zuvorkommend wie alle Mitarbeiter auf diesen Schiffen und beginnt sofort, mit erkennbarer Routine unsere Motorräder festzuzurren.
Hier ist alles perfekt organisiert und - nachdem wir Kabine 340 bezogen haben - fläzen wir in den gemütlichen Sofasesseln auf Deck 7, in Sichtweite der "Multe"-Bäckerei. Bei 15°C lässt es sich windgeschützt auch am offenen Meer gut aushalten!
Um 20:30 schiebt sich das Schiff langsam aus den Hafen, Kurs Süd! In den nächsten Stunden werden wir einige unserer Stationen wiedersehen: Henningsvær, Stamsund und Bodø! Bis zum Schlafengehen werden wir uns hier mit norwegischen Leckereien und Getränken versorgen und die Mitternachtssonne beobachten.
Angelika will Didi nicht beunruhigen und hält es noch geheim, aber die Schmerzen in der rechten Schulter sind mittlerweile unerträglich geworden, der rechte Arm rebelliert. Wie soll das weitergehen, wenn man die "Gas-Hand" noch braucht?
Tageskilometer: 28 km
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