Vormittags bei der CircleK-Tankstelle Nordkjosbotn, sonnig, 12°C. Auf der Suche nach dem furchtbaren metallischen Geräusch rütteln wir kurz an einigen verdächtigen Teilen von Angelikas Transalp. In Schottland 2013 entdeckten wir so einen winzigen Defekt, den wir vor Ort reparieren konnten aber heute können wir rein gar nichts finden und wir haben jetzt auch keine Zeit für sowas.
Schnell checken wir auf der Karte unsere Route: Wir haben 240 km geschafft und somit noch nicht einmal die Hälfte. Aber wir liegen gut in der Zeit und fühlen uns auch noch ziemlich fit und gut gelaunt. (Auch wenn das Filmchen, das die vergessene Helmkamera von dieser Pause filmt, eine andere Sprache spricht, aber das erzählen wir einfach niemandem.)
Im strahlenden Sonnenschein schauen wir hinauf auf die steile Flanke des 1.400 m hohen "Store Russetind". Was für eine dramatische Gegend! Nordkjosbotn ist ein hübscher Fleck! Die kleine aufstrebende Stadt hat alles, was man braucht. Ein kleines geschäftiges Zentrum in dieser einsamen Gegend!
Als wir auf der E6 weiterfahren freuen wir uns über die Straßenschilder zu bekannten Orten in Finnland, das hier nur 20 km entfernt ist. Wir erinnern uns an die Strecke, die wir vor kurzem fuhren. Wir sehen auch einen kleinen Wegweiser, der auf einen sensationellen Ort hindeutet, an dem wir uns 2017 so wohlgefühlt haben.
Es ist schön, so manches Bekanntes wiederzusehen! Wir sind hier in der Nähe von Tromsø. Mit diesen Gedanken cruisen wir im Sonnenschein auf der E6 durchs hübsche Hügelland Richtung Bardufoss. Die E6 schlängelt sich kurvenreich über grüne Wiesen, oft auch nur als Single Track. Es ist schön hier!
Dass wir uns Bardufoss nähern, erkennen wir am zunehmenden Verkehr. Es ist das Militär, das hier heute mit seinen martialisch wirkenden Fahrzeugen die Gegend unsicher macht! Es muss hier wohl eine größere Übung stattfinden? Seit 2017 wissen wir vom großen Zivil- und Militärflughafen hier, bei dem nahezu alle Berufstätigen dieser Gegend arbeiten.
Wir sehen auch die bekannten Schilder wieder, die auf Kriegsdenkmäler am "General Fleischers vei - Battle of Narvik 1940" hinweisen. 2017 war es hier kalt und unwirtlich, jetzt ist es sonnig und mit 12°C auch ziemlich warm! Wie anders Norwegen bei Schönwetter wirkt! Geradezu lieblich!
Unmittelbar nach dem Ortsende bremsen wir die Transalps hart herunter. Fast hätten wir den kleinen Kreisverkehr übersehen! Wir verlassen jetzt die E6 und wechseln auf den schmalen Fv86. Sofort geht es in aussagekräftigen Kurven bergauf und nach nur wenigen Metern sind wir hoch über dem Tal des Barduelva.
Angelika lenkt umgehend auf einen Schotterparkplatz und hält an. Erstens ist das metallische Klackern ihrer Transalp unerträglich und zweitens ist der Blick über das Tal, das von der Landebahn des Flughafens dominiert wird, sensationell!
Während Didi die Aussicht genießt, düst Angelika ein paar Mal einige Kilometer hin und her und lauscht ihrer Transalp. Das Gepäck hat sie abgenommen. Woher kommt bloß dieses metallische Geräusch? Didi verdächtigt die Kette, aber die Transalp fährt sich gut, also machen wir uns keine Sorgen. Außerdem drängt die Zeit.
Die Straße nach Sørreisa schlängelt sich kurvenreich durch einsames Gebiet. Hohe Bäume haben längst die arktischen Krüppelbirken abgelöst und wir sehen links und rechts grünes Weideland. Ganz selten blitzt ein kleines Haus als roter Farbtupfer hinter den Wäldern hervor. Diese Gegend ist sanfthügelig und weitläufig und erinnert uns an zuhause. Es ist wunderbar, hier im Sonnenschein entlang zu cruisen!
Mitten in Sørreisa biegen wir scharf links auf den Fv84 ab. Hier haben wir gestern unser Quartier storniert, um einen ungeplanten Regenerationstag in der Hütte bei Burfjord zu genießen. Weswegen wir heute zwei Tagesetappen fahren müssen. Wir halten uns nicht auf und düsen weiter.
Wir brettern nun viel zu schnell durch ein engeres Tal. Der Fv84 ist meist einspurig und von hohen Bergen umrahmt. Es ist einsam hier und außer einer Luftforswarets-Station sehen wir keine Gebäude. Dass die "Royal Norwegian Airforce" hier eine Dienststelle hat, wundert uns einigermaßen!
Nach 40 km temporeicher Fahrt hätten wir die Abzweigung nach rechts fast übersehen! "Am Rutscher" biegen wir auf den Fv848 ein. Hier ist Harstad erstmals angeschrieben und wir schleifen die Motorräder in der nächsten Ausweiche zusammen. Wir haben das Gefühl, unter Zeitdruck zu stehen und wir beginnen zu rechnen.
Wir haben diese Route erst gestern abends zusammengestellt und eine Fähre entdeckt. Angelika hat sich umsichtig Screenshots der Fährverbindung aufs Smartphone geholt, also schauen wir mal.
Es ist jetzt 12:30 und in einer Stunde sollten wir am Fähranleger in Sørrollness sein. Wenn wir die Überfahrt verpassen, haben wir fast zwei Stunden Wartezeit, die uns auf den Lofoten fehlt! Wir haben eine Stunde und auf den nächsten 50 km sind noch Brücken und Tunnels... also los!
Während Angelika das immer lauter werdende metallische Geräusch ihrer Transalp ignoriert, brettern wir nun über die schmale Straße, die sich immer enger und immer kurvenreicher an den Hängen hoher Berge entlangschlängelt. Links tief unter uns glitzert der breite Salangenfjord in der Sonne.
Der Asphalt ist ziemlich hinüber und so holpern wir mit beherztem Zug am Gas dahin. Winzige Ortschaften kleben am Straßenrand, obwohl zwischen Berghang und Fjord kaum Platz dafür scheint. Eine wilde Fahrt! Wir sind nun 380 km gefahren und seit über sechs Stunden unterwegs. Langsam merken wir die Anstrengung, aber die aufregende Fahrt spült ausreichend Adrenalin ins System, so dass wir die Müdigkeit nicht spüren.
Plötzlich - nach einer Kuppe - stockt uns unvermittelt der Atem und wir halten an. Diese Brücke ist unheimlich! Da müssen wir drüber? Nahezu senkrecht bäumt sich die Straße vor uns auf! Die Perspektive lässt einen erstarren.
Wir machen Fotos und versuchen, uns an den Anblick zu gewöhnen. Die Fahrbahn hat etwas Organisches an sich. Dann tuckern wir vorsichtig über die Mjøsundbrücke, die gruselige 35 Meter hoch auf die Insel Andørja führt.
Wir haben gelesen, dass diese Insel die bergreichste Norwegens ist. Alle Gipfel auf Andørja überschreiten die 1000 m und dementsprechend alpin ist das Gelände. Der Rv848 führt an der Uferlinie oft steil bergauf und bergab die Insel entlang. 20% Steigung sind hier keine Seltenheit! Obwohl der Asphalt immer lückenhafter wird, geben wir weiterhin Gas und versuchen, aus den Augenwinkeln so viel wie möglich in uns aufzunehmen.
Da drüben sehen wir schon Rolla, die nächste Insel, die wir überqueren müssen. Wir machen uns auf eine weitere spektakuläre Brücke gefasst, als wir nach einer engen Serpentine unvorbereitet vor der finsteren Einfahrt eines Unterwassertunnels stehen: Der Ibestadtunnel führt unbeleuchtet, eng-einspurig, fast 4 km lang und 115 m unter dem Meer durch. Angelika wird übel.
Auch der Nordkapp-Tunnel ist ein Unterwassertunnel, aber als technisches Wunderwerk erweckt er doch Vertrauen. Die Röhre ist großzügig dimensioniert und gut beleuchtet! Aber dieses schwarze Loch hier?
Didi tröstet sie und will hilfreich vorausfahren. Aber Angelika fürchtet, abzufallen und diese Vorstellung ist grauenhaft. So rollt sie langsam in die Grotte, die hinüber auf Rolla führt. Standgas! Im Finsteren geht es sofort in einer scharfen Rechtskurve steil bergab. Der Boden ist rutschig und in dieser Höhle regnet es auch noch. Wieso regnet es unter dem Meer im Tunnel?! Woher kommt dieses Wasser? Nein, oder?
Der Tunnel ist so eng, dass wir im funzeligen Licht der Transalps unwillkürlich Schultern und Kopf einziehen, um nicht an den nackten Felsen zu schrammen. Alle paar hundert Meter mimt eine versiffte Deckenlampe Beleuchtung. Jetzt ist wirklich Schluss mit lustig. Vernünftigerweise fährt man hier Schritttempo, aber dann dauert diese Fahrt in der Geisterbahn etwa eine Stunde!
Dieser Gedanke ist so unerträglich, dass Angelika mitten in dem finsteren Loch die Angst die Vorsicht besiegen lässt und Gas gibt. Die Transalp brüllt auf und mit lautem metallischen Klackern flüchtet sie nach draußen. Wir sind auf Rolla!
Die Sonne blendet schmerzhaft, als sie sich mit einem unflätigen Wutausbruch abreagiert und die Panik verscheucht. Didi muss lachen, aber so richtig wohl hat er sich da drinnen auch nicht gefühlt. Ja spinnen denn die Norweger? Das soll die Hauptzufahrt zu einer bekannten Fähre auf die Lofoten sein?!
Die paar Kilometer zum Fähranleger schauen wir kaum noch links und rechts. Die Straße ist in einem abartigen Zustand und wir freuen uns erneut über die guten Reifenprofile "Made in Germany", die auch über richtig miese Pisten unbeeindruckt dahinsegeln. Angelika hat nur mehr das Schlagen von Metall auf Metall im Ohr. Das geht so nicht weiter! Nervtötend!
Punkt 13:30 entern wir die Wartespur zur Fähre, die uns auf den Lofot bringt. Geschafft! Wir haben erstmals Zeit, uns Angelikas Motorrad zu widmen. Instinktiv nimmt Didi die Kette genauer in Augenschein, denn die blitzt verdächtig in der Sonne. Du meine Güte, die ist völlig erledigt! Die Glieder sind völlig blankgeschliffen und die Kette hängt durch wie nasse Socken an der Wäscheleine! Wann ist denn das passiert? Ohne Vorzeichen?
Nur Minuten später legt die Fähre an. Motorräder an Deck parken, hinauf ins Café eilen, Ticket sowie Kaffee und Hotdogs besorgen und einen Sitzplatz suchen. Das alles ist längst Routine. Kurz darauf haben wir einen schönen Fensterplatz, mampfen die Hotdogs und googlen nach nahegelegenen Werkstätten. Jetzt kommen wir zur Ruhe.
Die Sonne gleißt vom Himmel und wir schwitzen bei 15°C in unsere Merinowäsche. Was für ein Premiumwetter! Wir schauen hinaus auf das glitzernde Wasser, die schneebedeckten Gipfel und freuen uns auf einen weiteren Reisehöhepunkt: die Lofoten!
Während der 45 Minuten langen Überfahrt drückt zum ersten Mal die Müdigkeit. Nach über 400 zum Teil schwierigen Kilometern, acht Stunden am Motorrad und Temperaturen zwischen -3°C und 15°C tun die Wärme und das monotone Geräusch des Dieselmotors ihr Übriges und wir schließen kurz die Augen. Nur ganz kurz...
Als Bewegung in die Sache kommt, wachen wir auf. Schnell stürzen wir den letzten Schluck vom kalt gewordenen Kaffee hinunter und eilen zu den Motorrädern. Die Laderampe hebt sich bereits und kurz darauf bollern wir an Land und betreten in Stangnes lofotischen Boden. Angelikas Transalp klingt mittlerweile mitleidserregend.
Noch bevor wir unser Zeug für die Weiterfahrt geordnet haben, entdeckt Didi am Hafengelände eine stattliche Yamaha-Werkstatt. Die haben hier mehr Boote und Schneemobile und weniger Motorräder, aber 24er-Nuss ist 24er-Nuss! Wir halten vor dem geöffneten Tor und ohne Zögern borgt uns der nette Typ das fehlende Teil zum Kettenspannen. Mit wenigen Handgriffen und mit Bordwerkzeug erledigt Didi diesen kleinen Routineeingriff. Die Kette hat noch genug Spazi, also kein Problem!
Mit zwei wieder ruhig dahintuckernden Transalps gehts nun endlich weiter. Noch 170 km bis zum Ziel. Es ist 15:30, als wir auf den Rv83 Richtung Süden einbiegen. Hier herrscht viel Verkehr und wir wälzen uns in langsamer Kolonne gen Süden die Küste entlang. Die Insel Hinnøya ist eine der einwohnerstärksten Inseln Norwegens! Die Gegend am Ufer des Tjeldsund ist dicht besiedelt und ziemlich unspektakulär.
Wir lassen die Transalps einfach dahinlaufen und versuchen, unsere Energie einzuteilen. Nach 20 km machen wir eine kurze Pause. Linker Hand nimmt die stark geschwungene Tjeldsund-Brücke unseren Blick gefangen. Wir sind oben am Berghang und schauen direkt auf die Brücke hinunter. Was für ein Anblick! Die elegante Hängebrücke wirkt wie filigranes Drahtwerk und glänzt in der Sonne.
Etwa 40 km später biegen wir scharf rechts ab und es geht hinauf in die Berge. Der schmale Rv85 nennt sich auch E10. Der Autobahncharakter zeigt sich nur in zahlreichen LKWs, die ohne Rücksicht auf Verluste das Recht des Stärkeren in Anspruch nehmen.
Die Strecke schlängelt sich hoch hinauf und wir durchqueren weitläufige Almen und fast schaut es aus wie bei uns zuhause! Wir wundern uns, denn wir haben doch die touristischen Ansichten der Lofoten vor Augen! Auch einen über 6 km langen Tunnel im Sørdal hätten wir hier nicht erwartet.
Da vorne rechts entdecken wir eine kleine Parkmöglichkeit und lassen die Transalps ausrollen. Hier ist es wunderschön! Hinter uns die Gipfel der hohen Berge und vor uns erahnen wir das Meer. Wir trinken ein paar Schluck aus der Thermoskanne. Sonniges Premiumwetter bei 15°C! Aber der blaueste Himmel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir mittlerweile ziemlich müde sind.
Wir haben 530 km hinter uns. Eine Distanz, die in diesem Land wirklich, wirklich lang ist. Wir genießen schweigsam die Umgebung, bevor wir auf die Motorräder klettern und die letzten 60 km in Angriff nehmen.
Die Gegend wird schlagartig spektakulärer! Die Straße windet sich zwischen Felsen und kleinen Seen über die Insel und gibt immer wieder Blicke aufs offene Meer frei, wo sich winzige Inseln bis zum Horizont den Platz teilen. Oh ja! So haben wir uns die Lofoten vorgestellt! Ist schön, wenn sich Klischees bestätigen.
Wir cruisen auf der einspurigen E10 durch eine atemberaubende Landschaft! Etwa 20 km vor Svolvær machen wir noch eine kurze Pause. Es ist einfach so unfassbar schön hier! Die Sonne spiegelt sich im dunkelblauen Wasser und - schau! - dieser Berg, der in bunten Farben schillert! Wir dehnen die Pause aus, wir sind ziemlich erledigt.
Noch ein paar Kurven und schon passieren wir das beeindruckende Massiv des Svolværgeita und lassen die Transalps am Schotterparkplatz unseres Quartiers am Fuße der Felswand ausrollen. Es ist 19:00. Wir haben diesen Fahrtag nach 13,5 Stunden am Motorrad geschafft und alles ist gut gegangen! Auch wenn wir die letzten Kurven - zugegeben! - nicht mehr sauber gefahren sind...
Heute sind wir zu erledigt für Wasserkochen, Travellunch, Geschirr abwaschen oder irgendeine Tätigkeit. Lieber latschen wir im mittlerweile kalten Wind noch zur CircleK-Tankstelle, die wir von unserem Fenster aus hinter dem Fischereihafen gesehen haben. Schweigend mampfen wir einen völlig unknusprigen Fisch-Burger und handgeschnitzte Pommes. Einen Jahresbecher voll gratis Kakao nehmen wir mit ins Zimmer, für ein erstes Frühstück morgen.
Jetzt erst entdecken wir die hübsche Dachterrasse unseres Hauses! Was für ein großartiges Plätzchen! Nach ein paar Blicken über den Hafen gehen wir umgehend schlafen. Wir sind wirklich froh, dass morgen kein Wecker läutet und die Motorräder stehen bleiben! Gute Nacht, Lofoten!
Tageskilometer 590 km
Morgen ist Pause, wir bleiben in Svolvær: >>klick
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