19. Tag: Blois - Gien
Wir sind müde, als wir unser historisch-abgewohntes Zimmer räumen und mit dem wackeligen Lift ins Erdgeschoss fahren. Für heute haben wir noch keine besonderen Pläne, also lassen wir uns erst mal mit dem Frühstück Zeit. Im antiken Speisesaal besetzen wir einen guten Tisch und quetschen uns mit der bockigen Motorradkluft auf die historischen Sessel. Was für ein toller Saal!
Wir können uns an den Details kaum sattsehen, als uns das charmante Mädchen (in schwarzem Röckchen mit weißer Bluse!) nach unseren Wünschen fragt. Es gibt alles vom Buffet, nur dass wir coronabedingt nichts holen dürfen. Wir bekommen serviert! Wir finden das klasse und sie notiert sich unsere zahlreichen Wünsche, nachdem wir das Angebot inspiziert haben.
Bei der letzten Tasse Kaffee haben wir beschlossen, heute nur eine kleine Spazierfahrt zu machen. Gestern waren drei beachtliche Schlösser und das grandiose "Son et Lumiére". Das reicht erstmal! Lass es uns heute gemütlich angehen und einfach nur Motorradfahren...
Um 10.00 Uhr tuckern wir mit den Hondas aus der steilen Ausfahrt des Lagerraums. Es ist trüb und bewölkt bei 17°C. In Erinnerung der gestrigen Hitzeschlacht finden wir das richtig toll! Jetzt rollen wir gemessenen Tempos über die historische Steinbogenbrücke über die Loire und halten uns links, also östlich. Wir nehmen die D33, die kennen wir schon!
Eine halbe Stunde später rollen wir an Schloss Chambord vorbei, das uns gestern so begeistert hat. Wir sehen ein letztes Mal die unzähligen weißen Türmchen durch die Bäume leuchten, als wir langsam daran vorbeifahren. Die Straße führt nun durch niedrige aber dichte Wäldchen, manchmal einfach schnurgeradeaus. Wir hängen einfach unseren Gedanken nach, als es ganz fein zu nieseln beginnt. Nicht genug fürs Regengewand!
Wir wollen Orléans großräumig umfahren und wählen einen Weg südlich davon. Wir kommen durch einige ruhige Dörfchen wie Crouy-sur-Cosson, die so sauber sind, dass man vom Boden essen könnte. Heute am Mittwoch ist überhaupt kein Verkehr und es ist sehr ruhig hier! Uns gefällt die schmucke Bauweise dieser Gegend: die strahlendweissen und ebenerdigen Häuschen sind mit hübschen Details aus roten Backsteinen verziert. Wir finden das sehr geschmackvoll!
Wir haben heute als Motto "Gemütliche Spazierfahrt" ausgegeben, und deshalb werfen wir nach knapp zwei Stunden schon Anker. Wir sind in La-Ferté-Saint-Aubin und die Bar-Tabac da drüben schaut total nett aus! Immer wieder erstaunlich, welche Anziehungskraft kleine Plastikstühle und wackelige Tischchen am Straßenrand auf uns ausüben! Didi eilt in das winzige Lokal und bestellt zwei große Kaffee. Mehr wollen wir jetzt nicht.
Der freundliche Mann serviert nur Augenblicke später und er präsentiert und - nach einem Blick auf unser Honda-Nummernschild - stolz seinen metallenen Schlüsselanhänger. "I ❤ AUSTRIA" steht in grellbunten Lettern auf dem Schild, das außerdem noch die Alpen, den Stephansdom, einen Lipizzaner und Mozart zeigt. Oh, ein Fan! Mit Händen und Füßen wedelt er uns die Begeisterung für unser Land und wir müssen wegen seines Enthusiasmus lachen. Was für ein netter Mann!
Wir sitzen eine Zeitlang hier und beobachten, wie Menschen angeregt miteinander plaudern, ellenlange Baguettes kaufen, hitzig Zeitungsartikel diskutieren, auf der Straße stehend miteinander Wein trinken und Katzen an der Leine spazieren führen. Hier raucht man noch filterlose Gitanes und neben dem Tabakgeruch liegt ein Hauch Belmondo, Sartre und Serge Gainsbourg in der Luft. Ein ganz normaler Mittag, mitten in Frankreich...
Wir schalten unseren imaginären Retro-Filter (in Sepia!) vor unserem inneren Auge aus und klettern wieder auf die Hondas. Die D921 führt nun in gemächlichen Kurven übers flache Land. Wir fahren oft durch kleine Wäldchen, die immer wieder den Blick auf weitläufige Felder, Weideflächen und - immer öfter - Pferdekoppeln freigeben. Die Loire ist mittlerweile weit links von uns, schon längst aus unserem Blickfeld verschwunden.
Es ist an der D14 eine unspektakuläre Gegend, fast langweilig. Trotzdem grinsen wir breit in unsere Helme, als wir plötzlich durch WIEN fahren! Wien im Tal? Woher hat dieses winzige Dorf diesen spektakulären Namen? Die Kirche, an der wir vorbeituckern, ist wunderschön, aber ob das als Begründung reicht?
Es dauert nicht lange, da fahren wir mitten durch Sully-sur-Loire. Was für eine hübsche kleine Stadt und der strahlende Sonnenschein tut sein übriges. Nanu? 32°C? Kaum sind wir aus der waldreichen Gegend raus, bollern wir wieder durch die brütenden Hitze Mittelfrankreichs. Wir suchen unseren Weg und verfahren uns etwas. Was für ein Glück! Nur deshalb stranden wir plötzlich neben dem beeindruckenden Schloss Sully am Loire-Ufer.
Dieses mittelalterliche Schloss ist viel älter und daher schmuckloser als seine phänomenalen Geschwister am Loire-Ufer, aber nicht minder erhaben! Die trutzigen Mauern stehen im hellgrünen Wasser und die Bezeichnung "Wehrburg" wäre für das militärische Äußere viel treffender. Wir beobachten das bunte Treiben rund um den blumengeschmückten Wassergraben, während wir ein paar Schluck aus der Thermoskanne schlürfen.
Mit Hilfe unserer Karte und Googlemaps finden wir auf die schmale D951, die in breitem Abstand an der Loire entlang führt. Eine ruhige und idyllische Gegend! Fast ohne Kurven bollern wir entspannt zwischen Maisfeldern und Kuhweiden dahin. Kleine Wäldchen und Buschwerk bringen ein wenig Abwechslung. Aber was ist das da links? Wieso steigen hinter dem Wald dichte Wolken vom Boden auf?
Als wir näher kommen, erkennen wir massive Kühltürme eines Kraftwerks, die enorme Mengen Wasserdampf in den wolkenlosen Himmel blasen. Erst später werden wir googeln, dass hier das imposante Atomkraftwerk Dampierre steht. In Frankreich gibt es noch 19 solche Standorte mit dreimal sovielen Reaktoren, doch für uns Österreicher ist es immer wieder ein ungewohnter und - ja! - auch spektakulärer Anblick!
Es sind nur mehr wenige Minuten bis zu unserem Tagesziel, deshalb verlassen wir die D951 und kurven in Saint-Gondon spontan Richtung Loire. Vielleicht können wir am Ufer noch eine kurze Pause machen? Doch es gibt keine Zufahrt zum Fluss, deshalb halten wir mitten im Ort. Hier hat die Bevölkerung mit ihrem "Déversoir Du Moulin D'en Bas" eine richtige Oase geschaffen! Am Rand des historischen Ortskerns ist ein winziges Erholungsgebiet! Bunte Pflanzen, verwinkelte Ecken und mittendurch sprudelt ein kleiner Bach. Hier bleiben wir!
Wir machen es uns auf einer kleinen Holzbank am Ufer gemütlich, naschen ein paar Kekse und leeren unsere Getränkevorräte. Der Mühlenüberlauf ist ein idyllischer Fleck in diesem charmanten Dorf! Nur ab uns zu brummt ein lautes Insekt vorbei, sonst ist nur das leise Plätschern des Bachs zu hören. Schließlich dösen wir in der Hitze ein wenig ein.
Es ist 15.00 Uhr, als wir aufbrechen und die letzen Kilometer bis Gien hinter uns bringen. Warum ausgerechnet Gien? Nun, da gibt es in einem gewissen Reisebericht einen gut beleumundeten Campingplatz und den wollten wir besuchen. Wir hatten für Mai eine nette Hütte gebucht und bezahlt! Doch nur hier wurde unsere coronabedingte Storno-Orgie einfach ignoriert und uns kein Geld zurückerstattet oder einfach die Hütte auf September umgebucht. Mistkerle, mistige!
Dennoch wollten wir unsere Tour nicht ändern und die Sicht auf das Schloss am Flussufer ist phänomenal! Deshalb halten wir die Transalps jetzt vor einem kleinen Hotel neben dem Campingplatz, am Brückenkopf der - wievielten eigentlich? - historischen Steinbogenbrücke! Schnell das erste Foto knipsen, bevor wir die Hondas in den begrünten und schattigen Innenhof paddeln.
Der Empfang ist herzlich und das kleine Zimmer kann alles, was wir brauchen. Vor allem eine kalte Dusche! Meine Güte, es hat immer noch weit über 30°C. Wie kalt dachten wir eigentlich, dass es in Mittelfrankreich im September werden kann? Unsere zwei T-Shirts gehen dem Ende zu, während das Merinozeugs noch frisch duftend in den "Packing Cubes" liegt, die uns Panny von den Krad-Vagabunden vor Jahren zum platzsparenden Packen gezeigt hat...
Nachdem wir uns präsentabel gemacht haben, stiefeln wir los. Wir haben Hunger bekommen und da drüben finden wir sicher etwas Gutes! Die Loire scheint hier noch weniger Wasser zu führen als sonstwo und wir sehen einige Hausboote, die am Ufer vor sich hin tümpeln.
Gien ist eine hübsche Stadt, doch wir finden nur schwer ein Lokal. Für den ersten Hunger tun es auch ein paar heiße Quiches vom Take-Away, die wir neben dem unvermeidlichen historisierenden Karussell mampfen. Solche Ringelspiele sahen wir in einigen Städten Frankreichs!
Jetzt haben wir auch die Energie, mal auf die Burg hinaufzusteigen. Obwohl das Außenthermometer bei der Apotheke 38°C anzeigt, aber das hängt den ganzen Tag in der prallen Sonne und gilt nicht. Als wir auf dem obersten Treppenabsatz von Schloss Gien angekommen sind, erkennen wir die optische Täuschung: Sind wir die einzigen, die beim Blick auf Gien die Burg für viel größer hielten?
Tatsächlich sieht man zwei Gebäude, die Kirche steht nur etwas versetzt dahinter. Überhaupt ist das Schloss vom Ufer aus spektakulärer, als wenn man davor steht und uns begeistert die backsteinerne Dachlandschaft der Stadt weit mehr als das Schloss selbst. Zumal das farbenfroh rot-blau gemauerte Gebäude nach massiven Kriegsschäden so perfekt restauriert wurde, dass man meinen könnte, es war soeben erst die Gleichenfeier!
Später wandern wir ziellos durch die kleine Stadt, die zwar alt aussieht, aber doch erst vor 70 Jahren aufgebaut wurde. Gien hat es im Weltkrieg II schwer erwischt! Das lesen wir gerade, als wir eine einfache Brasserie finden, wo wir spontan zwei hübsche Plätze besetzen. Wir gönnen uns zur Pause ein gutes Bier und ein Glas Wein, bevor uns der Hunger weitertreibt.
Seltsam, dass wir hier so schwer ein kleines Restaurant finden! Alle Lokale sind entweder zu teuer oder haben keine gute Aussicht oder sind zu. Deshalb - und wegen der netten Wirtin - entscheiden wir uns für eine winzige Creperie mit Blick auf die Loire und neben dem künstlichen Wassernebel, der auf diesem Platz eine kühle Atmosphäre schaffen soll. Wir bestellen noch einmal "Bretonische Galettes". Wer weiß, wann und wo wir die wieder bekommen?!
Die Teigfladen wären alleine eine Reise nach Gien wert gewesen, so lecker waren die! Später hocken wir noch eine Zeit lang am Ufer der Loire und beobachten die untergehende Sonne über der alten Brücke. Gute Nacht, Loire!
Tageskilometer: 125 km
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Einfach mal nur spazierenfahren...
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