7:00 Uhr früh in Hannover. Der Handywecker reisst uns mit schrillem Klingeln aus dem Schlaf. Wenn man aufwacht heißt das, dass man auch geschlafen haben muss, stellt Angelika lakonisch fest und bezweifelt diese Tatsache zutiefst. Stundenlang wälzte sie sich auf der unbequemen Liege von einer Seite auf die andere und fand keinen Schlaf.
Das ist der Nachteil des Liegewagen-Privatabteils gegenüber einem Schlafwagenplatz! Man hat zwar sechs Plätze für sich und sehr viel Raum, aber das Bett ist trotz Aufbesserung durch unsere Trekology®-Kissen keines, das den Namen auch verdient!
In Hannover scheint die Sonne strahlend vom morgenblauen Himmel. Haben wir das jemals schon so gesehen? Bisher war dort immer nebelgraue und unattraktive Langeweile. Vielleicht erscheint uns bei unserer Reiselust und Vorfreude heute jede Gegend der Welt als einladend und lieblich? Was für eine schöne Stadt Hannover doch ist! So viele hübsche bunte Graffiti! Schnell alles zusammenpacken, wir sind gleich da!
Zwei Stunden später, während wir unser kleines Frühstück mampfen, das der nette Zugbegleiter hereingestellt hat, fahren wir in den spektakulären und 115 Jahre alten Hamburger Bahnhof ein. Hier ist Samstag morgens viel los! Müde Gesichter grüßen uns freundlich durchs Fenster. Ahnen sie, dass wir gerade unsere Reise beginnen? Vermutlich sehen sie es an unseren strahlenden Gesichtern.
Angelika zählt die Minuten, als wir die vielen Hamburger Stationen durchfahren und sie grüßt still hinüber zur Elbphilharmonie. Bei unserem letzten Kurztrip im Dezember 2019 haben wir dieses sensationelle Gebäude besucht und die Erinnerungen an diese kleine Winterreise sind noch frisch! Noch schnell vorbei an der unattraktiven Rückseite von diversen Kunstinstitutionen und Antiquariaten und hinüber über die Alsterbrücke mit ihrem Postkartenblick auf Hamburg! Schon hält der Zug um 9:05 überpünktlich in Hamburg-Altona. 25°C und Sonnenschein, wie ungewöhnlich für diese Stadt!
Der Vorteil, wenn man als erster in den Waggon eingefahren ist, man ist schnell draussen! Kaum ist die Rampe heruntergelassen, duckt sich Angelika tief zum Tank, reisst am Gas und bremst ambitioniert an der Kassa von "Press & Books". Wir kennen das schon: Hier fährt man mitten im Einkaufszentrum von Altona zwischen Einkaufenden und Neugierigen und Bahnarbeiter versuchen bemüht, einen Korridor zu sperren. Mehr Vorsicht! Langsamer und gesittet tuckern wir jetzt hinaus und halten sofort links an der Ausfahrt.
Meine Güte! Eine Welle Glücksgefühl überkommt uns. Endlich wieder hier sein! Reisen! Liebe Menschen treffen! Leben! Angelika hüpft von einem Bein auf das andere und treibt Didi zur Eile an, der mit stoischem Gesichtsausdruck geschickt ihren Sturzbügelbruch mit zwei kleinen Kabelbindern und Gaffa repariert. Die kleine Reparatur wird die ganze Reise halten, aber das können wir noch nicht wissen.
Jetzt fläzen wir gemütlich in einem der Korbsessel bei Köz Urfa, jenem guten türkischen Lokal, das durch zahlreiche Reiseberichte eine gewisse Bekanntheit erreicht hat. (In den Abendstunden ist es vollkommen aussichtlos, hier einen Platz zu ergattern!) Wir erfrischen uns mit einem Kübel Ayran und es gibt noch bitteren türkischen Tee zum Aufwachen. Es ist das beste Gefühl der Welt, hier zu sitzen und die ganze Reise vor sich zu haben und wir kosten jede Minute aus!
Punkt 11:00 düsen wir los. So wie immer nehmen wir die "Kieler Straße" (die tatsächlich nach Kiel führt) und fahren bei Hamburg-Stellingen auf die A7-Autobahn auf. Meine Güte, die Baustelle ist immer noch nicht fertig!? Wir tuckern im Stau durch einen langen und für uns neuen Tunnel und sind auch schon in Schleswig-Holstein. Jetzt aber Gas! Ohne links und rechts zu schauen, düsen wir gen Norden.
Es hat eine gewisse Tradition, auf halber Strecke bei der Raststation "Brokenlande" zu halten und durstig kalte Getränke zu bestellen. Erst hier werden wir die letzten Reste der Zugsmüdigkeit los. Ein kurzer Blick in Googlemaps zeigt uns vor Kiel eine Umleitung an der A215 "Blumenthal". Nun, das sorgt uns nicht! Dort sollten wir uns zurechtfinden.
Es geht besser als gedacht und wir erreichen auf direktem Weg um 13:30 unser entzückendes kleines Hotel in Kiel. Eine Baustelle genau davor und ein gewisses Fahrverbot konnten uns nicht beirren. Es ist von Vorteil, wenn man mit ausländischen KFZ-Kennzeichen mitleidserregend den Weg verliert. Man bekommt mit Glück sogar jede Menge Verständnis!
In Kiel scheint die Sonne bei 22°C, als wir die Transalps in eine praktische Garagenbox wuchten, in unser schönes Zimmer hechten, die Corona-App "luca" herunterladen, die notwendigste Körperpflege erledigen und uns Bequemkleidung anziehen. Unsere Begeisterung, wieder in dieser schönen Stadt zu sein, kennt kaum Grenzen, als wir am Rathaus vorbei Richtung Innenstadt eilen! Das letzte Mal waren wir im eiskalten Dezember 2019 da und jetzt wollen wir sie wieder im Hochsommer sehen.
Rund um das blitzblaue Wasser des Kleinen Kiel genießen unzählige Menschen den Samstagnachmittag und große Scharen von grauen Gänsen leisten ihnen Gesellschaft. Wir flanieren an den wunderschönen Backsteinbauten vorbei, die im Sonnenlicht herrlich rot leuchten. Während wir unsere Augen auf die gigantische Fähre StenaLine heften (hier werden Erinnerungen an unsere Reise nach Norwegen 2019 wach!) ergattern wir auf der Holstenstraße einen hübschen Platz in einem Café.
Hier ist viel los! Kauflustige Menschenmassen schieben sich durch die Einkaufsmeile und alle Gastgärten sind gut besucht. Wir haben noch Zeit bis zu unserer Abendeinladung, also bestellen wir gemütlich Kaffee und Getränke. Hier entdeckt Angelika den köstlichen Rhabarbersaft für sich, der sie noch oft auf dieser Reise begleiten wird. Unsere neue "luca-App" erledigt die Formalitäten für uns und unser "Gelber Impfpass" steckt griffbereit in der Tasche. Hier läuft alles problemlos und die Leute hier sind wie immer herzlich, freundlich und hilfsbereit.
Nun aber los! Svenja und Claudia erwarten uns um 17:00 und wir wollen keine Minute zu spät sein! Wir haben uns eineinhalb Jahre lang nicht gesehen - ein viel zu langer Zeitraum! Da lockt jedoch noch ein Würstelstand mit frischen Thüringer Bratwürsten. "Der Geist war willig aber das Fleisch war schwach". Wir werden einfach verschweigen, dass wir am Weg zu ihnen noch eine leckere Wurst gemampft haben.
Überpünktlich läuten wir bei Svenja und ohne Verzögerung öffnet sie schnell die Türe. Was für eine Freude! Wir umarmen uns als gälte es, sämtliche Begrüßungen der letzten eineinhalb Jahre nachzuholen! Wir haben einander wirklich vermisst und es gibt soviele Neuigkeiten zu erzählen und zu erfahren! Der Tisch ist hübsch eingedeckt und es gibt allerlei Leckereien aus dem hohen Norden, während wir Vier beinander sitzen und die Zeit zu schnell verrinnt.
Es ist sehr spät geworden, als wir langsam und ganz still in unser Hotel zurückbummeln. Was für ein wunderbares Treffen, was für eine außergewöhnliche und wertvolle Freundschaft, der auch diese f*cking Pandemie mit ihren Reise- und Kontaktverboten nichts anhaben konnte! Wir könnten glücklicher nicht sein, als wir uns in unserem Zimmer aufs Ohr legen und in den nächsten Reisetag hineinschlafen...
Tageskilometer: 97 km
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