Heute machen wir einen Tag Pause! Wenn ihr nur am Motorradfahren interessiert seid, dann müsst ihr auf morgen warten!
"Den Weihnachtsmann-Rummel erspare ich mir!" "Nö, sowas brauch ich echt nicht." "Wer will, der soll das halt machen..." "Für mich ist das nichts!" "Wir haben es dort nicht ausgehalten, das ist ja ein reiner Touri-Nepp."
Ja, das Weihnachtsmanndorf in Rovaniemi! Ein von Motorradreiseabenteurern offenbar streng gemiedener und süffisant verlachter Ort. Vielleicht sind nur Motorradreisende cool, die touristische Kitschorgien meiden? Nur jene, die ihre von harten Wochen in der Pampas verschmutzte Enduro-Kluft auf einsamen und menschenleeren Dirt Roads präsentieren? (Der Nordkapp-Globus ist offensichtlich eine Ausnahme - der geht immer!)
Wir waren jedoch neugierig! Was kann dieser Ort, der jedes Jahr 500.000 Touristen aus aller Welt anzieht?
Jokertag! Endlich mal ausschlafen! Also fast, denn viel zu früh kreischt der Handywecker den Alarm fürs Frühstück. Um 8:30 schälen wir uns aus der weihnachtlichen Bettwäsche, werfen einen skeptischen Blick auf die Elchgeweihe überm Bett (sind die aus Plastik?) und machen uns mit Bordmitteln ausgehfein. Das hier ist auch der Grund, warum wir selten breakfast included buchen, denn so ein Frühtermin stört unsere Kreise.
Angelika lüpft die schweren, dunklen Vorhänge auf die Seite und wird von strahlendem Sonnenschein geblendet. Blitzblauer Himmel erwartet uns im Weihnachtsdorf! Wir schreiten nur ein paar Meter über den weitläufigen Platz bis zum "Christmas House Restaurant", das wir von unserer Hütte aus gut im Blickfeld haben.
Jetzt aber schnell, denn das Frühstücksbuffet endet um 10:00! Wir finden einen guten Platz an einem der langen Tische, an deren Kopfende ein fulminantes Buffet aufgebaut ist. Nur wenige Menschen balancieren überfüllte Tellerchen zu ihren Tischen, von süßlichen Klängen des "Kling Glöckchen, klingelingeling" begleitet.
Wir können uns zwischen den Köstlichkeiten nicht entscheiden und häufen wahllos alles auf unsere Teller, was wir in Griffweite haben. Und während Didi die Beute zum Tisch trägt, steht Angelika schon an der vollautomatischen Waffelmaschine und lässt duftenden Flüssigteig auf die geriffelte Platte tropfen. Was für ein Fest!
Während dem dritten und vierten (oder war es schon der fünfte?) Gang betrachten wir die Umgebung. Übermannshohe Christbäume in jeder Ecke, jede Menge dümmlich grinsender Rudolphs, Glitzer und Lametta im Sonnenschein und eine ganze Horde adipöse Weihnachtsmänner als Deko. Völlig überdreht und bescheuert, dieses Weihnachtsdorf! Aber wir mögen solchen Unsinn!
Eine ganze Schar lieblicher Elfenmädchen mit fantasievoll geflochtenem Blondhaar hilft hier als Servierpersonal aus. Wir mag es sein, an so einem Ort zu arbeiten? Wie hält man 365 Tage/Jahr Weihrauchduft und "Stille Nacht" aus? Wird man da zum Emo-Kiddie oder sorgt nach Feierabend mit Death Metal für Ausgleich?
Diese Fragen beschäftigen uns, als wir am späten Vormittag zu unserer Hütte zurück latschen. Wir sind so müde. 10 Tage waren wir auf Achse und es waren aufregende Tage mit wenig Schlaf! Während Didi sich nochmals in seiner Weihnachtsbettwäsche vergräbt und sofort einschläft, erledigt Angelika die auf jeder Tour anfallende Büroarbeit:
Wir halten die Tradition aufrecht, von großen Motorradreisen hübsche Postkarten an die Lieben zuhause zu schreiben! Was ist schon ein nachlässig mit dem Handy geknipstes und binnen Sekunden an die gesamte Kontaktliste versendetes Foto gegen eine handgeschriebene Karte, die man zuvor sorgsam ausgewählt und mit Briefmarke versehen hat?
Es dauert ein wenig, bis sie alle Liebsten mit einem Gedanken beschenkt und herzlichen Worten bedacht und Adressen gekritzelt hat. Als sie fertig ist, schläft Didi immer noch tief und fest. Also macht sie sich alleine auf, um mal nach dem enormen Souvenir-Shop zu sehen, der ans Frühstücksrestaurant angeschlossen ist.
Etwas später findet sie Didi zwischen Bergen von flauschiger Wollware mit stilisierten Rentieren und aufgestickten Weihnachtswichteln. Über den Köpfen der zahlreichen Einkäufer flimmern in Dauerschleife einige Bildschirme, die um Anmeldung bei verschiedenen Aktionen, Safaris, und Naturabenteuer werben. Das ist nichts für uns. Unsere Abenteuer haben je 53PS und je zwei Zylinder und warten hinter unserer Hütte auf uns!
Angelika trägt zufrieden ein Sackerl mit essbaren Souvenirs zur Kassa, bei denen Rentierfleisch in Dosen eine große Rolle spielt. Komm, jetzt schauen wir uns im Dorf einmal um!
Wir überqueren den Arctic Circle, der hier den weitläufigen Hauptplatz quert und betreten unter den Klängen von "Rudolph, the rednosed reindeer" die Dachterrasse des Loft Café. Bei leckerem Kuchen und Kaffee lesen wir in der Karte, was es hier alles gibt: Da drüben ist die Lachsräucherei, mehrere monumentale Souvenirgeschäfte und der Wegweiser in Metropolen in alle Welt. Warum neben Moskau, New York und Rom statt der österreichischen Hauptstadt das winzige St. Johann/Tirol angeführt ist, bleibt ein Rätsel. Es sind übrigens 2.448 km bis dorthin.
In strahlendem Sonnenschein betreten wir dann pietätvoll das offizielle Büro des Weihnachtsmannes. Wir haben zu ihm keine besondere Beziehung, denn bei uns zuhause kommt am 24.12. das von Martin Luther erfundene Christkind! Was im katholischen Österreich seltsam genug ist. Wie auch immer, Herr Joulupukki muss ein wichtiger Mann sein! Manche werden wegen ihm sogar verhaftet.
Einige süße Elfenmädchen halten seine Bürosachen in Ordnung, denn der dicke Typ muss doch täglich 400 km weit in die Arbeit fahren. Santa Claus wohnt nämlich am nördlich liegenden Ohrenberg! Vor einer schweren Holztüre hängt ein Schild: "Santa Claus will be back at 3 pm". Nun gut! Wir haben sowieso keinen Termin gebucht!
Nachdem wir den Post-Elfen im "Santa Claus Post-Office" unsere Karten abgegeben haben, um den besonderen Stempel zu erhalten, stiefeln wir interessiert über das enorme Areal. Hier gibt es verschiedene Adventure-Parks mit klingenden Namen wie "Wild Nordic Finland", einen "Arctic Snowmobile Park", Rentier-Parks und noch viel mehr Einschlägiges.
Ganz hinten am Rande der Attraktionen gibt es den "Elfen-Bauernhof", da schauen wir mal hin! Doch leider hat er schon geschlossen und die Rentiere im Gehege begeben sich schon zur Ruhe. Hier kann man einen Spaziergang mit "Ren an der Leine" buchen. Ganz so wie bei uns zuhause die Alpaka- und Lamawanderungen, nur dass die nicht 55.-/Stunde kosten. Und das ist nur der Sommerpreis...
Als wir an zugesperrten, pittoresken Hütten verschiedener Funktion vorbei wieder zum Hauptplatz gelangen, fällt uns eines auf. Hier ist sommers wirklich nichts los! Alle Aktivitäten und Attraktionen, die man hier um richtig teuer Geld buchen kann, sind auf den Winter ausgerichtet. Nun gut, der dauert hier auch bedeutend länger als die warme Jahreszeit!
Es ist kalt geworden, als wir müde zu unserer Hütte zurück latschen. Doch halt! Was ist das?! Was hat es mit der "Roosevelt Cabin" da drüben auf sich? Dieser winzigen Hütte aus grob gehauenen Holzstämmen? Wir treten leise ein und schauen uns um. Wow! Hier begann vor 70 Jahren der Tourismus in dieser winzigen Stadt in Lappland, in Rovaniemi! Hier lesen wir von der berührenden Geschichte des Beginns des Weihnachtsmanndorfs!
Infobox
1944 war Rovaniemi dem Erdboden gleichgemacht. Die "Strategie der verbrannten Erde" der deutschen Wehrmacht hatte alle Zivilbevölkerung vertrieben und die Stadt bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Der Wiederaufbau war fast unmöglich, es fehlte an Nahrung, Versorgung und Baumaterial, hier heroben in Lappland. Und weil die Stadt als allererste Stadt Fördermittel von der späteren UNICEF bekam und Eleanor Roosevelt die Seele dieser Organisation war, wollte sie nach Rovaniemi reisen und den Polarkreis überschreiten.
In der Stadt herrschte helle Aufregung! Die Lady soll in zwei Wochen da sein?! In diesem Sumpfgebiet? Da, wo rein gar nichts für einen hohen Besuch vorbereitet ist?! Man krempelte die Ärmel hoch, ein Finne schenkte ein kleines Grundstück her, man zog hektisch ein paar Bäume aus dem Fluss und in zwei Wochen Doppelschichten war die kleine Holzhütte im Nirgendwo errichtet. Die Türen baute man ein, als Eleanor gerade am Flughafen gelandet war!
Der Besuch am 11. Juni 1950 war ein voller Erfolg! Frau Roosevelt war begeistert, trank Kaffee und versendete die erste Karte aus dem späteren Weihnachtsmannbüro, übrigens an ihren guten Freund Harry S. Truman! Nach diesem Ereignis kamen immer mehr Menschen in dieses entlegene Sumpfgebiet am Rande der Stadt und bald wurde die Legende vom Weihnachtsmann hierher verlegt.
Heute ist dieser Ort die Top 1 - Attraktion des finnischen Tourismus! Und in der alten Holzhütte aus roh gezimmerten Baumstämmen liegt ein Gästebuch mit klingenden Namen wie Lyndon B. Johnson, Leonid Breschnew, Josip Broz Tito, Mohammad Reza Pahlavi, Golda Meir und anderen.
Wir sind ein wenig nachdenklich geworden. Die Auswirkungen der Kriegsgräuel auf Lappland und die Finnmark sind uns auf allen Skandinavientouren so drastisch begegnet. Hier war es also nicht anders und an diesem winzigen Ort wird man daran erinnert.
Die kleine Lachsräucherei daneben hat schon zugesperrt! Wir haben die Sperrstunde verpasst! Nur kurz ärgern wir uns, latschen dann aber weiter Richtung Zuhause. Noch mehr ärgern werden wir uns allerdings später, als wir lesen, dass der Flammlachs als das beste Essen Rovaniemis gilt! In diesem winzigen, samischen Tipi? Der "Liekki Lohta" hat es bei tripadvisor auf Platz 1 geschafft!
Wir haben vor dem Abendessen noch etwas zu erledigen! Heute vormittags fiel uns übler Geruch auf, der direkt aus Angelikas Seitenkoffer zu kommen schien. Mal schauen, was da passiert ist! Wir werfen den Inhalt des Koffers aufs Bett und der Übeltäter ist schnell ausgemacht:
Der Hüttenschlafsack müffelt wie eine ganze Schimmelkolonie! Um Himmels Willen? Wie ist das passiert? Morgen brauchen wir den Schlafsack zum ersten Mal! Gottseidank können wir das Problem fixen, indem wir das dünne Microfaser einfach unter der Dusche mit einem Tropfen Haarshampoo waschen und in unserer Sauna zum Trocknen auflegen. Die Sauna schalten wir auf angenehme Temperatur, wir wollen später eh noch hinein.
Aber zuerst wandern wir hinüber zur großen Tankstelle auf der anderen Straßenseite. Wir wollen heute nicht nochmal von Elfen bedient werden und "Oh Tannenbaum" zum Rentiersteak. Die "Shell Napapiiri" ist eine jener großzügig dimensionierten Shops mit Gartenbauabteilung, Spielhölle und Restaurant. Um 3,50 pro Stück mampfen wir zum Abendessen einige Hotdogs. Die Guten! Die mit der weißen Sauce und Röstzwiebel! Auch ein hübsches Bier darf sein, es kostet hier nur wohlfeile 6.-
Wir sind pappsatt, als wir uns nach einem Spaziergang zwischen den 120 Hütten des "Santa Claus Holiday Village" in unser kleines Zuhause zurückziehen, uns mit Filmen und Fotos beschäftigen und den sonnigen Tag in der Sauna ausklingen lassen. Heute brauchen wir erstmals die schweren Verdunkelungsvorhänge, als wir um 0:30 schlafen gehen. In etwa zwei Stunden beginnt der längste Polartag des Jahres und die Sonne scheint unverändert vom blitzblauen Himmel.
Aber warum saßen so auffällig viele junge Finnen im soldatischen Flecktarn mit uns beim Essen?
Morgen fahren wir weiter! >> klick
PS.: Ein Fazit? Wir wollten einfach einen Tag ausspannen, gut essen, in der Sonne sitzen und saunieren. Dafür war es dort perfekt! Zahlt sich ein ganzer Tag dort aus? Eigentlich nicht. Wenn man neugierig ist, hat man auch in 1-2 Stunden alles gesehen...