Was war das für ein Frühling, was für ein Sommer! "Corona" hat unser aller Leben und auch unsere Reiseplanung bestimmt! Seit vielen Monaten beschäftigten wir uns mit den Möglichkeiten, den Unmöglichkeiten, Unsicherheiten, den Für und Wider, den gesetzlichen Ge- und Verboten im In- und im Ausland. Wir standen im intensiven Austausch mit vielen anderen, die nicht wussten, wie und ob sie ihre Tour machen können.
Im Mai erreichte die Pandemie ihren (ersten?) Höhepunkt und wir hatten im Büro Urlaubssperre. Wir mussten zuhause bleiben. Wir planten und buchten unsere Tour also optimistisch auf September um. Dank der Kulanz von Ticketagenturen und der ÖBB schafften wir diese Änderungen ohne großen finanziellen Verlust.
Und dann kam der August. Die Pandemie schien abzuflauen und wir waren voller Hoffnung. Die Tage vor der Abreise beschäftigten wir uns mit den gesetzlichen Verhältnissen in Österreich, Deutschland und Frankreich. Meine Güte, wie kompliziert! Wie schränkt Österreich die Ausreise ein? Wie beschränken die anderen eine Einreise? Wie kommen wir schnell und billig zu einem PCR-Test, sollten wir nach der Rückkehr einen benötigen? Es fiel uns nicht leicht, Vorfreude zu entwickeln. Und dann kam endlich der Abreisetag: Samstag, der 29. August.
Gestern war ein heißer Tag! Wir hatten schon frei, polierten unsere Transalps und packten unser Zeug zusammen. Dank unserer jahrelang bewährten Packlisten (die Jahr für Jahr kürzer werden) ging das schnell. Am frühen Nachmittag hopsten wir aus der Tiefgarage und ab ging es Richtung Linz. Bei 33°C und Sonnenschein hielten wir kurz bei Louis in St. Pölten. Wir holten noch neue Ohrstöpsel, kühlende Unterwäsche und ein gutes Helmschloss, so dass wir bei Bedarf unsere schönen neuen Helme am Bike lassen können.
Bei einem Benzingespräch mit einem netten Pärchen empfahlen uns die erfahrenen Frankreichreisenden einige Orte, die wir unbedingt anfahren sollten. Und sie baten, unserer Freundin Svenja Grüße auszurichten und eine gute Reise zu wünschen. Unglaublich, wo wir überall schon Bewunderer der "Godmother of Endurowandern" (©Eggi) getroffen haben! In Linz angekommen machten wir uns noch einen gemütlichen Abend auf unserer Terrasse. Was für ein schöner Sommerabend! Morgen geht es los!
Als wir heute Samstags gut gelaunt die Vorhänge zur Seite ziehen, schauen wir uns entsetzt an. Wer hat den Sommer kaputt gemacht? Dunkelgraue Wolken hängen tief über Linz, es schaut jeden Moment nach Regen aus. Die Transalps sind tropfnass und mit 17°C ist es nicht allzu warm. Seufzend legen wir das Motorradzeug an und winden uns vorsichtshalber auch gleich in die Regenkombis.
Nach einer schnellen Tasse Kaffee erwecken wir um 8.30 Uhr die Hondas zum Leben. Wie schon die letzten 15 Jahre bollern sie ohne Verzögerung zuverlässig in den frühen Morgen. Die Wolken halten noch dicht, als wir über die Westautobahn A1 und die Innkreisautobahn A25/A8 Linz verlassen. Nach nur 50 km fahren wir im strömenden Regen. Die hügelig-grüne Landschaft des Innviertels verschwindet im trüben Niesel, auch als wir die hübsche B148 Richtung Braunau entlangrollen.
Nach 125 km haben wir vorerst genug und wollen ins Trockene. Wir schieben ein wenig Frust, als wir wenige Meter vor der deutschen Grenze an einer so großen wie unattraktiven Tankstelle halten. Als erstes füllen wir die Tanks randvoll mit 95er Bleifrei. Unsere Laune bessert sich aber erst, als wir am "Trucker´s Corner" ein dick belegtes Leberkässemmerl mit einer Jumbo-Tasse Kaffee hinunterspülen und noch ein Stück leckeren Topfenkuchen nachlegen. Unser erstes Urlaubsfrühstück hat seinen Namen verdient!
Dann heißt es, alles dichtmachen, Helm auf, Angelika stopft ihren Zopf unter die Regenkombi und weiter geht es! Den Grenzübertritt über die Inn-Brücke nach Deutschland haben wir im Regen nicht wahrgenommen, als wir schon auf der B94 bei Ampfing und Dorfen vorbeifahren. Ab und zu wird der Regen dünner und wir schöpfen Hoffnung auf trockenes Wetter. Aber wir werden immer wieder enttäuscht.
Es geht durch kleine Wäldchen und kleine Hügel auf und ab und uns gefällt die abwechslungsreiche Strecke! Die Bierstadt Erding kennen wir aus der TV-Werbung und wir hoffen, dort nach 100 km eine schöne Pause machen zu können. Doch wie so oft hält die Phantasie der Realität nicht stand und wir umrunden die altbayrische Herzogstadt durch ein Gebiet, dessen hervorstechendstes Merkmal schlammige Baustellen sind. Hier eine Pause? Nein, wir wedeln uns das Zeichen fürs Weiterfahren und halten stur Kurs gen Westen.
Es regnet ohne Unterlass, als wir uns in Moosinning unter das viel zu schmal dimensionierte Dach einer winzigen Tankstelle flüchten. Um eine Ausrede zu haben, hier ein wenig ausrasten zu können, kaufen wir zwei Limonaden und Kekse für die Seele. Kaffee gibt es hier leider nicht. Wir sind ein wenig unsicher, denn ab jetzt gilt es, den Großraum München zu umrunden. Unsere Karte hat erstens keinen guten Maßstab und zweitens steckt sie unter dem Regenschutz im Tankrucksack. Schwierig!
Tatsächlich schaffen wir es auf Anhieb, die Großstadt nördlich zu umfahren. Wir wählen die B471 als einfachen Weg und kommen gut über Garching und Dachau bis Fürstenfeldbruck. Hier herrscht unfassbar viel Verkehr, wir müssen wirklich aufpassen! Ausserdem regnet es in die Visiere unserer teuren Helme längst hinein und wir haben schlechte Sicht auf das Chaos. Als wir in Olching bei einer weitläufigen Tankstelle anlanden, sind wir ziemlich erledigt. Wir brauchen eine längere Pause im Trockenen.
Obwohl ein paar nette Leute mit uns plaudern wollen, sind wir wortkarg und muffelig. Was für ein mieser erster Reisetag! Alles ist kalt und nass und ungemütlich. Lustlos steigen wir nach einiger Zeit wieder auf die Hondas und nehmen die letzte Etappe in Angriff.
Die nächsten 50 km nach Landsberg am Lech sind unspektakulär. Das Nieseln ist längst in grauen Dauerregen übergegangen. Das Land wird platter und irgendwann fahren wir übers ebene Land. Da vorne ist das Ortsschild! Wir biegen ab und verlassen die B96. Wir sind überrascht, als es ohne Vorwarnung im Ort plötzlich steil bergab geht. Sehr steil! In dieser flachen Gegend?
INFOBOX
Die Alte Bergstraße war die einzige Straße Deutschlands mit Linksverkehr! Zur Verhinderung von Unfällen und zur Sicherheit der Fuhrleute in der engen Straße führte man Linksverkehr ein, so dass die Männer an den Außenseiten der Straße entlang liefen. Es war bei Strafe verboten, die Haustüren zu verschließen, damit sich Fuhrleute und Fußgänger vor den außer Kontrolle geratenen Pferdegespannen in die Häuser retten konnten. (Wikipedia)
Auf regennassem Kopfsteinplaster tuckern wir hinter der berüchtigten Justizvollzugsanstalt, die den Eindruck einer Burg hinterlässt, im Standgas die schmale Straße mit ihren 18% Gefälle bergab. An der steilsten und engsten Stelle halten wir um 16.30 Uhr genau vor unserer Unterkunft.
Nach dem herzlichen Empfang dauert es noch ein wenig, bis wir im Regen unsere Motorräder wenige Meter entfernt auf den Parkplatz eines Gasthauses gewuchtet und die notwendigsten Dinge ins Haus geholt haben. Wir schleppen unser Zeug ins Dachgeschoss und dann - endlich - können wir entspannen!
Während der Haartrockner mit viel Power Didis Motorradstiefel trocknet, nehmen wir eine heiße Dusche, kochen uns leckeres Travellunch und köpfen eine Flasche exzellenten Wein. Später spazieren wir durchs schmucke Tor des Schmalzturms auf den Hauptplatz. Was für ein schöner Ort!
Bei einem guten Kaffee betrachten wir die barocken Häuserzeilen, ein Gebäude bunter als das andere. Hier gäbe es unglaublich viel zu sehen! Während es finster wird, lesen wir im Café über die wechselvolle Geschichte dieser Stadt. Einige furchtbare Jahrzehnte des 20. Jhdt. waren durch einen besonderen Häftling in der Justizanstalt geprägt...
INFOBOX
Am 8. und 9. November 1923 putschte der NSDAP-Chef Adolf Hitler im Bürgerbräukeller zu München erfolglos gegen die deutsche Regierung und wurde am 1. April 1924 statt zum Tode, wegen seiner "ehrenhaften Gesinnnung" (man glaubt es kaum!) zu fünf Jahren Festungshaft in Landsberg verurteilt. Nur privilegierte Täter konnten diese Strafvollzugsform erhalten, zumal Hitler Ausländer*) war.
Nach einer äußerst komfortablen Zeit in der Justizvollzugsanstalt, während der er den ersten Teil seines Machwerks "Mein Kampf" verfasste, wurde er nach neun Monaten wegen guter Führung entlassen. Abschiebeversuche nach Österreich waren am Widerstand der österreichischen Behörden gescheitert. Die Zeit der Haft konnte er danach mythisch verklären und den entstandenen Kult für seinen späteren Aufstieg fatal nutzen.
*) Zur Haftzeit war Hitler noch Österreicher. Diese verhasste Staatsbürgerschaft legte er nach seiner Entlassung zurück. Sieben Jahre lang versuchte der Staatenlose dann mit den absurdesten Aktionen, Deutscher zu werden, was ihm letztendlich 1932 mit einer Pseudo-Beamtenstelle des Landes Braunschweig (jetzt: Niedersachsen) auch gelang...
Es ist kalt geworden und es nieselt noch immer, als wir zum Ufer des Lech schlendern. Wir trauen unseren Augen nicht, was wir da sehen! An der hübschen Uferpromenade mit vielen kleinen Lokalen schießt der breite Fluß über drei beleuchtete Staustufen, die ihn verlangsamen sollen. Der Anblick der funkelnden Wassermassen lässt uns nicht los und wir filmen und fotografieren wie verrückt (>>Clip)!
Dann allerdings sind wir richtig müde von diesem zermürbenden Fahrtag. Nach einem lustigen Gespräch und einem Abschlussgetränk mit dem österreichischen Wirt neben unserer Pension beenden wir den Tag. Hoffentlich bessert sich das Wetter bis morgen! Es regnet aber ohne Pause, als wir später das Licht ausmachen...
Tageskilometer ab Wien: 490 km
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