Wir haben schon leckere Marmeladebrote gebastelt und mit gutem Kaffee hinuntergespült, als wir die Hütte nachlässig aufkehren und unser Zeug in die Motorradkoffer stopfen. Die Sonne scheint über dem glitzerblauen Limfjord und es hat schon 22°C! Ein wunderbar warmer Tag kündigt sich an. Um 10:30 drücken wir auf den Startknopf unserer Hondas, die ohne Verzögerung in die Morgenfrische bollern.
Wir nehmen die R11 bis Koldby. Das flache Land ist unaufgeregt dänisch und wir cruisen über endlose Weideflächen und durch winzige Dörfer, in denen sich Backsteinhäuser mit weiß gekalkten Gebäuden den Platz teilen. In Koldby wechseln wir auf die schmale R527. Die Gegend ändert sich nicht, aber uns fallen die vielen wunderbar gepflegten Pferde auf, die man hier offenbar gerne hält.
Was ist das nur, dass man immer spürt, wenn man sich dem Meer nähert? Die Landschaft bekommt vielleicht eine andere Charakteristik? Ändert sich das Licht? Auf jeden Fall wissen wir, dass wir bald in Agger an der Nordsee sein werden! Wir haben uns dieses Ziel ausgesucht, weil wir von tollen Robbenstränden gelesen haben! Schon so oft waren wir dort, wo es Robben geben soll, aber noch nie haben wir welche gesehen! In Schottland, Norwegen, Finnland und Dänemark nur Rentiere, Elche und Polarfüchse, aber nie Robben!
Wir fahren eilig durch eine fast absurd gepflegte Anlage von Ferienhäuschen, die einen wunderbaren schwarz-weißen Kontrast zu dem dichten Grün des Strandhafers bilden. Und schon kurven wir ohne Verzögerung auf einen kleinen Parkplatz mit Zugang zum Strand. Schnell werden wir die Jacken los, denn wir schwitzen mittlerweile bei 28°C in unser Motorradzeugs.
Wir hecheln über den lockeren gelben Sand auf den schmalen Deich Richtung Strand, wo wir die Robben vermuten. Aber wieder nichts! Auch hier gibt es keine Robben am Robbenstrand! Wir beobachten eine Zeitlang die dunkelblaue Nordsee und die weitläufige Küstenlinie, die mit einem strengen Motorradfahrverbot gekennzeichnet ist. Mit dem Motorradfahren am Strand ist es in Dänemark wie mit dem Nacktbaden. Ist es nicht ausdrücklich verboten, dann ist es erlaubt! Dieser Spaß ist aber für andere.
Wir latschen wieder hinunter zum Parkplatz und checken uns bei dem kleinen Kiosk "Vesterhavshytten" ein riesiges Eis. Es gibt in Dänemark so viele Variationen von Tüten-Eis und "Toppings", dass uns die Auswahl schwerfällt! Während andere Gäste enorme Portionen Grillfleisch vertilgen, suchen wir einen Schattenplatz, um unsere süße Leckerei zu vernichten, denn es ist wirklich heiß hier. Ein perfekter Sommertag am Agger-Strand!
Während wir entspannt in die Gegend gucken, fällt Angelika die Fähre des Tages ein: "Du, ich schau mal, wann eigentlich die Fähre nach Thyborøn ablegt, ok?" Sie wischt auf ihrem Smartphone herum und springt plötzlich auf. Los! Wir müssen sofort los! Die Fähre geht in 10 Minuten! Wenn wir die nicht schaffen, warten wir dort eine Stunde in der Hitze!
Wir hechten auf die Hondas, werfen uns nachlässig die Jacken über und geben Gas. Es sind genau 10 km bis zum Fähranleger in Agger Tange, das schaffen wir! Ohne Rücksicht auf Verluste reissen wir am Gas und fliegen geradezu über den schnurgeraden Damm, der den Limfjord von der Nordsee trennt. Erst später werden wir lesen, dass diese Nehrung ein berühmtes Vogelschutz- und Naturschutzgebiet ist. Wir sehen die Besonderheiten dieser Straße nur aus vom Wind tränenden Augenwinkeln, so schnell sind wir unterwegs.
12:20! Geschafft! Die kleine Fähre tuckert gerade an den Anleger und die ersten Autos verlassen das Schiff, als Angelika hektisch ein Ticket aus dem Automaten zupft. Nur Augenblicke später sind wir auf der Fähre und überqueren den Thyborøn Kanal! Vor 160 Jahren hat eine Sturmflut diese Lücke ins Land gerissen und die Verbindung vom Fjord in die Nordsee geschaffen und nun trennt der gigantische Limfjord Dänemark in zwei Hälften. So lesen wir während der fünfzehnminütigen Überfahrt.
Thyborøn ist eine einsame, flach-öde Gegend. Wären nicht die vielen Autos von der Fähre, man könnte meinen, man fährt am Ende der Welt. Eigentlich mögen wir das, aber jetzt gerade brauchen wir dringend Zivilisation und zwar in Form einer Tankstelle! Meine Güte, wo tanken die Leute hier?! Was für ein Glück, dass nur fünf Kilometer später eine winzige Zapfsäule namens "INGO" steht und die funktioniert auch! Viel entspannter machen wir uns nun auf den Weg auf der R181 Richtung Süden (>> Clip).
Wir haben gestern abends im Reiseführer einen tollen Leuchtturm gefunden und den wollen wir nun besuchen. Deshalb verlassen wir schnell die Hauptstraße und suchen - immer ein Auge auf der Karte - über winzigste Güterwege und Single Tracks unseren Weg. Sanfthügelig geht es bergauf und bergab und wir durchqueren kleinste Dörfer wie Engbjerg und Strande, deren strahlendweiße Kirchen ungeschützt den Stürmen der Nordsee trotzen.
Im Dörfchen Ferring entdeckt Angelika ein entzückendes kleines Gallerie-Café "Det Gule Hus". Die kleinen Sessel und Tischchen im Sonnenschein üben eine dermaßen starke Anziehungskraft auf sie auf, dass Didi alleine die paar hundert Meter über den Schotterweg zum Leuchtturm Bovbjerg Fyr fährt. Er wird später von starkem Besucheraufkommen, vollbesetzten Parkplätzen und einem wunderschönen, strahlend-roten Leuchtturm berichten.
Inzwischen wühlt sich Angelika mit gezückter Kreditkarte durch die hübschen Kunstwerke aus buntem Glas, die zuhauf im Café ausgestellt sind. Hier erreicht die dänische Liebe zum Kunsthandwerk einen neuen Höhepunkt! Die stolze Künstlerin führt selbst das kleine Kaffeehaus und packt die erstandenen Schmuckwaren sorgfältig ein. Angelika ordert zum Geschmeide noch leckere Apfeltorte und Kaffee, als Didi vom Leuchtturm zurückkommt. Wir genießen im strahlenden Sonnenschein die ausgesprochen schöne Kaffeepause in diesem vergessenen Dorf im Nirgendwo!
Um 14:00 machen wir uns wieder auf den Weg. Über kleine Single Tracks finden wir über flaches Weideland den Weg nach Lomborg und wechseln auf die südwärts verlaufende Rv28. Wir haben ein Ziel! Irgendwo in diesen Wäldern muss der Bunker sein, den wir mit einer Freundin bereits virtuell bereist haben! Diese kleine Reise haben wir spontan geplant und natürlich haben wir Interessantes von anderen Motorradreisenden abgekupfert.
Bei dem längst vertrauten Schild "Bunkermuseum" biegen wir in den dichten Wald ein und holpern ein paar Meter bis zu einem kleinen Parkplatz. Verschwitzt klettern wir von den Hondas. Eine große Info-Tafel schildert die Ereignisse der Kriegsjahre und die Anlage des gigantischen Flughafens hier um die Ecke. Berührend auch die Geschichte des Flüchtlingslagers 1945-1948, als 5.000 Menschen aus Lemvig etwa 9.000 deutsche Flüchtlinge versorgten. Nach der Lektüre latschen wir einen verwachsenen Weg ins Dickicht. Wo soll da bitte ein Bunker sein? (>>Clip)
Das Unterholz wird immer dichter und als es schon fast kein Weiterkommen gibt, stehen wir plötzlich davor. Dunkel, unheimlich und wie ein Fremdkörper steht der verlassene Spitalsbunker von Lemvig mitten im sonnendurchfluteten Wald. Was für ein hässlicher und angsteinflößender Anblick! Dass der Bunker in Kriegsjahren gar nicht in Betrieb ging, ändert nichts an seiner bösen Ausstrahlung.
Wir stehen eine Zeit lang herum und lesen auch das Schild, das an den vergitterten Türen klebt: "Aus Sicherheitsgründen gesperrt!" Die Zeiten, in denen Neugierige hier in den feuchten Kellern herumspaziert sind, sind also vorbei. Und vielleicht ist das auch ganz gut so! Wer so ein düsteres Abenteuer sucht, ist nun in den Dolomiten besser aufgehoben...
Plötzlich haben wir genug für heute. Genug gesehen und erlebt. Es sind noch 50 km bis zu unserem heutigen Tagesziel! Die R28/16 führt schnurgerade in den Süden. Was heißt "schnurgerade"? Hätten unsere Transalps einen einwandfreien Geradeauslauf, könnten wir sogar freihändig fahren! Wir schauen kaum mehr links und rechts. Felder, Weiden, Kuh- und Pferdeherden. Das Übliche halt!
Um 16:30 erreichen wir den wunderschönen Hauptplatz von Ringkøbing! Wir wuchten die Hondas in den mit Blumenschmuck dekorierten Innenhof unseres Hotels und reissen uns das verschwitzte Zeug vom Leib, kaum dass wir das elegante Zimmer betreten haben. Unsere fließwasserlose Hütte der letzten Nacht macht nun eine aufwändigere Körperpflege notwendig und wir genießen jetzt die Kühle des alten Gebäudes.
Später bestellen wir bunte Drinks am Hauptplatz und bewundern das hübsche Ensemble. Ringkøbing ist gut besucht! Wir sind nun zwei Wochen in Dänemark und erstmals fallen uns die vielen Touristen auf. Ist es, weil wir plötzlich ihre Sprache verstehen? Uns wird bewusst, dass wir hier bereits in Tagesreise-Distanz zu Deutschland sind und die historische Hafenstadt wohl ein beliebtes Ausflugsziel ist.
Wir sind neugierig und spazieren quer durch die kleine Stadt zum Hafen. Was für ein bezaubernder Anblick, die kleinen roten Fischerhäuschen, die strahlend weißen Segelboote und das sommerliche Treiben am Ringkøbing Fjord!
Wir flanieren lange herum. Fast zu lange, denn als wir wieder am Hauptplatz stehen, haben alle Restaurants bereits geschlossen. Ach du meine Güte, die dänischen Öffnungszeiten! (Diesbezüglich sind wir in südlichen Ländern besser aufgehoben, denn da fängt der Abend erst um 21:00 an...)
Wir finden noch ein kleines Café neben dem Hotel und das erweist sich als absoluter Glücksfall! Das "Café Victoria" ist ein ausgewachsenes Restaurant mit einem geradezu pittoresken Innenhof und Gastgarten. Das Haus ist aus rohen Steinen erbaut, altes Interieur, Blumenschmuck und sensationelles Essen! Als die "Stjerneskud" und der Backfisch serviert werden, sind wir längst in Ringkøbing verliebt!
Unseren Gute-Nacht-Kaffee nehmen wir auf der Hotelterrasse ein, denn Victoria hat um 19:30 die Luken dicht gemacht. Während wir dem Möwengeschrei lauschen, kommt noch eine letzte Überraschung um die Ecke:
Zwei singende Nachtwächter in historischen Uniformen und mit schwerer Bewaffnung stapfen über den Hauptplatz. Im Schlepptau eine Gruppe Touristen, die den Wächterversen lauschen und über die dargebrachten Anekdoten kichern. Was für eine lustige Idee, diese über 700 Jahre alte Tradition so zu präsentieren!
Tageskilometer: 145 km
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