Boah, haben wir gut geschlafen! Als der Handywecker losplärrt, springen wir aus dem federweichen Bett und ziehen den Vorhang am Fenster auf die Seite. Die elektronische Lichtstimmung spielt einen farbenfrohen Sonnenaufgang am Promenadendeck. Schau! Es ist 8:30 und da unten hat das "Oriental Café" schon offen! Kein Wunder, die haben 23 Stunden geöffnet. Perfekt für einen ersten Kaffee!
Wir schalten das Kabinen-TV ein und bereuen sofort. Dichter, grauer Nebel über dem Oslofjord und ... sag, ist das Regen? Wir machen uns in Windeseile stadtfein, packen unser Zeug zusammen und eilen aufs Promenadendeck, um Frühstück zu holen. Bewaffnet mit Kaffee und "Rundstykker", also belegten Weckerl, entern wir das Freideck. Es schüttet in Strömen.
Betropetzt gucken wir ans Ufer. Dichte Wälder und das ein oder andere rote Häuschen sind zu erkennen. Doch der malerische und über 100 km lange Fjord säuft im Starkregen ab. Es hat nur 10°C, die sich bei querkommenden Regen nicht allzu warm anfühlen. Wir nippen am heißen Kaffee. Nur wenige Passagiere stehen mit uns heroben im Freien.
Plötzlich kommt Bewegung in die Sache. Zwei schnittige schwarze Schnellboote mit bedrohlichen Aufbauten nähern sich in rasender Geschwindigkeit der "Color Magic"! Wir erkennen Soldaten in schwarzem Tarnfleck, sehr martialische Ausrüstung. Die Boote sind jetzt so nah am Schiffsbauch, dass wir sie von unserem geschützten Platz nicht sehen können. Plötzlich schreit ein aufgebrachtes Dämchen: "Da kommen welche an Bord, nein, die sind schon heroben!"
Wir denken gelassen, dass schon alles seine Richtigkeit haben wird und nehmen einen Schluck Kaffee. Nach wenigen Minuten nehmen die Boote ihre Männer wieder auf. Sie schippern nun in Rufdistanz neben uns her und wir erkennen die militärische Ausrüstung. Nur Sekunden später reissen sie ihre Lenkung herum, Gischt spritzt hoch und mit einem waghalsigen Drift rasen sie wieder ans Ufer.
Wir schauen ihnen interessiert nach. Erst nach der Reise werden wir erfahren, dass das die ganz harten Jungs waren. Das Marinejägerkommando der Armee ist vergleichbar mit bekannten Einheiten wie der SAS oder den amerikanischen Navy SEALS, mit denen sie auch gemeinsam trainieren.
Es wird Zeit. Schauen wir mal, ob wir schon aufs Fahrzeugdeck können? Auf gut Glück fahren wir mit dem Lift hinunter. Die Passagiere wurden zwar noch nicht aufgerufen, aber ... oh, die schwere hydraulische Türe lässt sich öffnen!? Klasse! Umgehend stiefeln wir zu unseren Motorrädern. Auf Grund der klugen Planung der Arbeiter haben wir jede Menge Platz. Das ist nicht auf jeder Fähre so!
In alle Ruhe lösen wir die Zurrgurte von den Transalp und hängen sie ordentlich an die dafür vorgesehenen Haken. Leise fluchend aber dennoch ohne Eile winden wir uns ins neongelbe Regenzeug und verschnüren wieder alles ordentlich am Motorrad. Offenbar wurden die Passagiere mittlerweile zu den Fahrzeugen gebeten, denn die ersten Motorradfahrer latschen durchs Deck.
© Detlef Hantelmann
Verwundert sehen sie, dass wir schon fertig sind. Einer fragt neugierig: "Warum die Regenüberzieher"? "Äh, hobts scho aussi gschaut?" Unseren Hinweis auf Starkregen über Oslo wischt er mit einer Handbewegung zur Seite. Ach, das dauert nicht lang. Außerdem habe er sich vor seiner ersten Norwegenreise informiert! Aber noch bevor er seinen Vortrag zu Ende bringen kann, unterbricht Angelika das lästige Mansplaining. "Jeder macht, wie er will. Ok?!"
Es ist Punkt 10:00 als die Color Line in Oslo anlegt und wir ins Draußen rollen. Es schüttet ohne Unterlass und der Himmel über Norwegen bietet sein strahlendstes Grau! Wir sind gedämpfter Stimmung, als wir im Schritttempo aus dem Hafengelände rollen. Nur ganz kurz entkommt uns ein Grinsen, als gewisse Motorradfahrer da drüben ungeschützt im Regen hektisch ihr Regenzeug aus unzähligen Gepäcksstücken fummeln. 1:0 für Norwegen.
Wir schalten die Transalps in den RAIN-Modus. Noch ein letzter Blick auf die majestätische Color Magic und schon fädeln wir uns in den Stadtverkehr Oslos ein.
Schön, dass es nach wenigen Metern in einen langen Tunnel geht! Wir verlassen die norwegische Hauptstadt sozusagen unter Tag. Als uns die kilometerlangen Röhren ausspucken, sind wir schon am Stadtrand. Wir nehmen der Einfachheit halber die E6. Bei diesem Unwetter hat man nichts von hübschen, kurvenreichen Landstraßen!
Die Straße führt über teils flaches, teils hügeliges Land. Eigentlich langweilig, aber wir sind erfüllt vom Gefühl, endlich wieder in Norwegen zu sein! Auch wenn uns dieses Sehnsuchtland heute seine häßliche Seite zeigt. Wir hängen unseren Gedanken nach, als wir immer geradeaus bollern. Ob dieses Jahr wieder so furchtbar wird, wie 2019? Die "Schlacht von Lakselv" ist in unsere Geschichte eingegangen...
Nach 25 km wollen wir mal raus aus dem Regen und nehmen die Ausfahrt "Skedsmokorset". Wir haben eine Tankstelle entdeckt! Wir hatten noch kein richtiges Frühstück und mampfen nun hungrig die ersten norwegischen Hot Dogs. Boah, so lecker! Leider ist es keine CircleK, also muss unser geliebter Jahresbecher noch warten!
Jetzt wollen wir runter von der Autobahn und nehmen die kleine Rv120 in den Norden. Ein bissl bereuen wir das kurz später, als wir von einer Baustelle zur nächsten holpern und nicht recht weiterkommen. Es regnet immer stärker, als wir am Osloer Flughafen vorbeikommen. Er ist hinter Hecken gut versteckt, so dass wir kaum etwas erkennen können.
Bei Amålkrysset wechseln wir auf die E16. Die Fahrbahn windet sich in weitläufigen Kurven merklich bergauf. Nicht so, dass es Abwechslung bringen würde, aber die Bäume am Straßenrand werden weniger und niedriger und immer öfter tritt der nackte Fels zutage. Wir freuen uns über jeden Tunnel von ansprechender Länge! So unheimlich die in Norwegen manchmal sind, man fährt zumindest im Trockenen!
Meine Güte, geht uns die Fahrt auf die Nerven! Der Himmel hängt dunkelgrau und schwer über uns, da ist kein Silberstreif am Horizont zu erkennen. Wir haben unbemerkt auf den Rv4 gewechselt, der neu errichtet, breit und gerade dahinläuft. So schauen bei uns Autobahnen aus! Wir müssen uns jetzt wirklich am Riemen reissen! In Norwegen gelten 80 km/h Tempolimit und mit unseren neuen Transalps sind die auch im RAIN-Modus gefährlich schnell erreicht! Die Bußgelder hier will niemand zahlen! Die sind vor allem für Touristen ein Alptraum!
Die Gegend wird einsamer. Wegen der wenigen Bäume und der gelegentlichen Blicke auf die Hochebene fühlt sich die Landschaft wie ein Fjell an. Die letzten Häuser oder Zeichen einer Zivilisation liegen schon lange hinter uns. Wir halten stur Kurs Norden und versuchen, den Regen zu ignorieren, was - zugegeben - immer schwerer fällt.
Während wir so gedankenverloren dahinfahren, taucht aus dem Regen rechter Hand eine große Raststation auf. Aus den Augenwinkeln erkennen wir das Schild "KRO" und schaffen es gerade noch, die Ausfahrt zu nehmen! Wir halten die Hondas vor den großen Fensterscheiben und flüchten ins Innere. Wir sind im "Lygnasæter AS" gelandet. Camping, Hotel, Restaurant, ein Skigebiet. Ein belebter Ort im Nirgendwo!
Aber was für ein schöner Ort! Das weißgestrichene Holz, die hellen Möbel, die einladende heiße Theke und die herzliche Dame an der Kassa, alles lädt ein, hier zu bleiben! Wir bestellen gegrillte Brote mit Speck und Ei und heiße Schokolade. Wir dehnen die Pause lange aus, denn es reizt uns nicht, wieder ins nasse Draussen zu latschen. Sag, holst du uns noch zwei Kakao?
Heute haben wir nur mehr eine Aufgabe. Das 2024-Pickerl auf den Jahresbecher kleben! Wir halten Ausschau nach einer CircleK-Tankstelle, als wir ein wenig später den eintönigen Rv4 entlang von langen Seen und kleinen Flüssen nach Norden bollern. Immer noch regnet es ohne eine einzige Unterbrechung, als wir in Gjøvik ankommen. Schnell, da rüber! Nach einem kleinen Tunnel rollen wir schnurstracks zu dem bekannten Schild in rot-weiß "CIRCLE K". Warum ist uns das so wichtig?
Hier gibt es um etwa 40.- den Jahresbecher zu kaufen. (Oder wenn man ihn schon hat, dann eben Jahresaufkleber.) Der Pokal gilt seit über 20 Jahren als Norwegens beliebtester Reisebegleiter! Mit diesem Thermogefäß gibts dann bei jeder Tankstelle dieser Kette gratis Kaffee, Kakao, Tee, soviel man will. Man latscht dann einfach - freundlich grüßend - quer durch den Shop, bedient die ausladenden Getränkeautomaten, füllt randvoll und geht ab.
Wir lieben es, immer einen gut gefüllten Becher Heißgetränk im Topcase zu haben! Wieviele Gute-Nacht-Kakaos haben wir wohl schon daraus genippt?
Ein paar Hotdogs später (die "Ostepølse med Bacon" sind wirklich eine 1A-Empfehlung!) kleben wir stolz den 2024-er auf unseren Becher. Der vierte Aufkleber schon, wie der nette Typ an der Kassa anerkennend bemerkt hat! Nur die hübschen Gummiringe gibt es nicht mehr. Schade, die waren so praktisch! Aber nun ist unsere Mission erfüllt, wir können zum Campingplatz!
Ha, wenn das so einfach wäre! Bei diesem Regen können wir die Karte nicht lesen und so verfahren wir uns heillos bei Vingnes am Ufer des Mjøsa-Sees. Da drüben ist Lillehammer, aber das nutzt uns nichts! Als wir vor einem steilen, unasphaltierten und schlammigen Waldweg halten, sind wir sicher: Da gehts nicht weiter! Wir retten uns in Jørstadmoen in eine Bushaltestelle und schauen mal, wo wir sind.
Und gerade, als wir uns unter gotteslästerlichen Flüchen aus den nassen Handschuhen winden, geschieht das Wunder! Der Regen hört abrupt auf und die Sonne scheint. Die Regentropfen auf den Hondas glitzern im Sonnenschein. In Sekundenschnelle hat sich das Wetter um 180°C gedreht! Wo sind die dunklen Wolken plötzlich hinverschwunden! Angelika hüpft begeistert auf die Straße und wäre sogar vergnügt noch in einige Pfützen gesprungen, wäre nicht ausgerechnet jetzt der Bus dahergekommen.
Plötzlich ist alles ganz einfach! Beschwingt düsen wir den hübschen Rv255 ins Gausdal. Landwirtschaftliche Höfe, schöne Weiden und Wälder kennzeichnen das schmale Tal. Nach nur 25 km halten wir abrupt an. Wir sind da! Das Schild lehnt am Boden, ist aber gut zu erkennen: Ringen Offroad Camping. Als wir die Transalps anhalten, tritt auch schon die Chefin auf den Platz und überreicht uns wortkarg aber herzlich den Hüttenschlüssel. Es ist genau 17:00 Uhr.
Die erste Hütte des Urlaubs und dann gleich so eine schöne historische, mit Gras am Dach! Wir richten uns gemütlich ein und kochen das erste Travellunch dieser Reise. Wir haben Kakao und Kekse und einen wunderschönen und ruhigen Abend. Didi griffelt den Reisebericht in sein Tagebuch und Angelika lädt alle Fotos auf die Festplatte. Als es dann empfindlich kälter wird, schalten wir die Heizung ein. Noch wird es in der Nacht finster, das wird in ein paar Tagen anders sein...
Tageskilometer: 230 km
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