Es ist 9:00, als wir unsere Hütte zusperren und vom Campingplatz rollen. Ausnahmsweise haben wir 200 NOK für die Hüttenreinigung gezahlt. Die hatten nämlich am Vortag penibel das nasse Gras gemäht und - obwohl wir beim Aus- und Eingehen aufgepasst haben - wir hatten null Bock, das ganze Heu aus der verwinkelten Hütte zu kehren.
Es ist wolkig und düster bei 12°C. Uns fröstelt, als wir ein paar Minuten Richtung Steinkjer cruisen. Kaum als wir über eine weitere Schicht Merinowäsche nachdenken, kommt trüber Sonnenschein hervor. Es soll ein schöner Tag werden!
Gleich nach der 12.000-Seelen-Gemeinde Steinkjer fahren wir durch landwirtschaftliches Gebiet. In weiten Kurven zieht sich die E6 den großen Beitstadtfjord entlang. Die Straße ist hier gut ausgebaut und wir genießen das gleichmäßige Dahinrollen.
Das trübe Wetter macht hungrig! Von 2017 kennen wir in Hylla eine Tankstelle, die auch Imbisse verkauft. So bremsen wir nach 40 km und stiefeln hinein. Wir wollen noch keine Hotdogs, aber wir finden belegte Sandwiches und mampfen einige Stücke, die wir mit heißer Schokolade hinunterspülen. Uns ist kalt!
Das Land wird immer flacher und man merkt am Verkehr, dass wir uns Trondheim nähern. Die nächste Kaffeepause ist in 50 km am Fættenfjord vereinbart. Dieses Mahnmal kennen wir schon und es beeindruckt uns auch beim zweiten Mal. An der Wasserkante steht im hohen Gras eine große metallene Kugel mit der englischen Inschrift:
"In Erinnerung an die alliierten Streitkräfte der Royal Air Force, die bei den Angriffen des deutschen Schlachtschiffs Tirpitz im Fættenfjord 1942 getötet wurden. In Dankbarkeit und Verehrung für die, die ihr Leben für unsere gemeinsame Sache gaben. Errichtet von der lokalen Bevölkerung 1985."
Davor liegt so wie vor zwei Jahren ein kleiner Blumenstrauß. Uns wird in Erinnerung gerufen, was der 2. Weltkrieg diesem Land angetan hat, auch wenn die Tirpitz zwei Jahre später bei Tromsø von Lancaster Bombern der Royal Air Force versenkt wurde. Nach ein paar schnellen Schluck Kaffee gehts weiter.
Ein paar flache Hügel und Kurven später sind wir in Stjørdal. Wir brauchen dringend Hotdogs und 95 Blyfri! Weil hier der Flughafen von Trondheim ist, gibts massig Verkehr. Wir können die Zufahrt zur CircleK-Tankstelle nicht auf Anhieb finden und kurven einige Mal hin und her. Puuhhh, wir sind genervt, als wir endlich vor den Zapfsäulen stehen!
Plötzlich und ohne Vorwarnung verziehen sich die Wolken und die Sonne strahlt vom Himmel. Wir schwitzen in unsere warme Wäsche, während wir einige Hotdogs ´runterschlingen und noch ein paar Wienerbrød nachlegen. Wir gucken in die Karte, denn jetzt verlassen wir die E6 Richtung Südost. Wir versuchen, uns die Anzahl der Kreisverkehre zu merken.
Mit ein wenig Glück aber auf Anhieb finden wir in Hell den Beginn des Rv705. Der Verkehr ist abgerissen und wir kurven auf dem schmalen Weg in die einsamen Wälder. Speckgürtel gibts es in Norwegen augenscheinlich nicht. Unmittelbar vor den Städten fängt die Wildnis an. Hohe Nadelbaumwälder und Felswände säumen den Weg, der in sanften Kurven die nächsten 30 km dahinschwingt.
In Innbygda ist uns das gemächliche Dahincruisen langweilig und Angelika sucht - langsam fahrend - auf der Karte, die im Kartenfach am Tankrucksack steckt, nach Abwechslung. Plötzlich erkennt sie eine Abkürzung! Spontan lenkt sie ihre Fuhre scharf nach links auf den Fv966, der sofort steil ansteigt. Didi kann gerade noch Anker werfen und ihr folgen!
Hoffentlich ist unsere Karte jetzt detailgetreu! Als der Pfad in eine ungezähmte Erd-Schotterpiste übergeht, ist es längst zu spät, um umzudrehen. Und zu eng! Beherzt heizen wir den Single Track durch den Wald hinauf und an einigen verlassenen Bauernhöfen vorbei. Meine Güte, wohin führt dieser Weg? Nach einigen Kilometern haben wir einen tollen Ausblick auf den Selbusjøen. Der weitläufige See bildet da unten ein Delta, da müssen wir hin!
So holpern wir zuversichtlich wieder bergab und kommen inmitten eines Bauernhofs zu stehen. Unter den ungläubigen Blicken des Hofbesitzers grüßen wir freundlich und tuckern einfach weiter. Danke, wir schauen nur mal! Endlich erreichen wir bei Overbygda wieder den Rv705 und grinsen uns an. Das war ein guter Track!
Innbygda und Overbygda, also Innerdorf und Oberdorf. Die sind hier mit ihrer Namensgebung genauso kreativ wie wir zuhause! Dazu passt, dass die Strecke am Fluss Nea entlang für uns starke Ähnlichkeit mit unserem Ennstal/OÖ aufweist. Wir fühlen uns wie zuhause, als wir am Flussufer eine lange Pause machen. Wir haben noch Kaffee im Jahresbecher und im Tankrucksack liegen noch zwei flaumige "Wienerbrød" aus Stjørdal.
Bei Flora überrascht uns der Rv705 mit unerwarteten Kurven und Steigungen. Nur wenige Augenblicke und wir befinden uns hoch über dem Tal. Der Nea glitzert in der Sonne weit unter uns, als wir aufmerksam durch alpines Gebiet über eine Hochebene cruisen. In Tydal knipsen wir die putzige rote Holzkirche aber sonst halten wir uns nicht auf.
Es hat 20°C, als wir diesen einsamen Weg entlangbollern. Es ist schön hier, auf eine unaufgeregte Art sogar wunderschön! Einige Kilometer später umrunden wir den weitläufigen Stugusjøen. Es ist vollkommen windstill und die Berge spiegeln sich im ruhigen Wasser des Sees. Unvorbereitet geht es plötzlich steil bergauf!
Wir schalten einen Gang herunter und drehen am Gas. Das gibts doch nicht! Nur ein oder zwei Kurven und wir cruisen über ein astreines Fjell, wie wir es von Nordnorwegen kennen: steinig, karg, kahl, traumhaft! Wir verlangsamen abrupt. Das kam überraschend. Das ist vermutlich das letzte Fjell dieses Urlaubs und wir wollen jeden Meter davon genießen!
Links und rechts breitet sich moosbewachsene Steinwüste aus, kleine Gewässer glitzern in der Sonne und der Ausblick in die Ferne ist gigantisch! Und schau! Da sind auch wieder Rentiere! Die haben wir nun einige Tage vermisst, die letzten sahen wir am Kvænangenfjellet!
Wir fahren extra langsam und lassen den Blick schweifen. Welch traumhafte Landschaft! Nach 8 km halten wir bei einem kleinen Rastplatz und klettern von den Transalps. Trotz des scharfen Winds hier heroben machen wir eine ziemlich lange Pause und wärmen uns mit ein paar Schluck Heißgetränk aus unseren Thermosflaschen.
Später cruisen wir die weiten Kurven wieder ins Tal, immer ein Auge am Straßenrand, um die vorwarnungslos auf die Straße springenden Rens nicht zu beschädigen. Die sind hier genau so irre wie ihre Verwandten im Norden!
Bald hat uns das grüne Land wieder und wir wechseln auf den Rv31. Nun cruisen wir den kurvigen Weg an idyllischen Seen vorbei. Wir kommen an einem Rentierschlachthaus vorbei und erinnern uns: In einem Reiseführer lasen wir, dass in dieser Region eine lebendige Gemeinschaft von Südsamen lebt, in traditioneller Symbiose mit ihren Rentierherden.
Um 15:30 sind wir in Røros! Noch vor der Einfahrt in die berühmte Bergbaustadt sehen wir die enormen Schlackenberge, in denen der Kirchturm zu versinken scheint. Die hohen Halden von grausilbrig glänzendem Abraum ragen hier über alle Häuser hinaus. Ein wundersamer Anblick! Auf dem Gipfel des Hügels erkennen wir ganz winzig einige Menschen. Die sind wohl hinaufgeklettert!
Wir parken die Transalps auf dem großen Parkplatz beim Bahnhof und eilen in die Stadt. Was für ein unglaublicher Anblick in der Fußgängerzone! 333 Jahre lang lebte Røros vom Bergbau. Und auch wenn die letzte Grube seit etwa 40 Jahren geschlossen ist, die uralten Holzhäuser sind alle erhalten. Klartext? Wir sehen kein einziges Gebäude, das nicht aus bunten Holzlatten besteht!
Langsam und bedächtig stapfen wir die Kjerkgata hinauf. Die Fußgängerzone ist steil und wir schwitzen in unsere warme Merinowäsche. Die Sonne knallt vom Himmel - unerträgliche 22°C! Røros wirkt wie aus der Zeit gefallen. Kein einziges Haus überschreitet ein Stockwerk, die meisten tragen bunte Farben. Oder einfach nur verwittertes, dunkles Holz. Verwinkelte Gänge. Exklusive Boutiquen! Wunderschöne Hinterhöfe!
Wir stehen vor der Røros Kirche, einem schwarz-weißen Barockbau, der über die Stadt herrscht. Leider ist sie wegen Renovierung geschlossen, also stiefeln wir über den alten Friedhof. Verwitterte Grabsteine ehrbarer Bergarbeiter tragen neben den Namen auch die stolze Berufsbezeichnung. Der Ertzscheider und seine Hustru sind hier neben dem Lokomotivförer und dem Kjøpmann bestattet.
Uns ist heiß, als wir die Kjerkgata wieder hinunter stiefeln. Kurz überlegen wir, ein paar Sehenswürdigkeiten zu beäugen, aber da lockt ein freier Tisch vor der Konditorei Trygstadbakeri! Als uns zur Jumbotasse Kaffee diverse Köstlichkeiten serviert werden, sind wir vollends glücklich!
Wir haben perfekten Ausblick auf die Altstadt des UNESCO-Weltkulturerbes, die Sonne scheint und hier gibt es leckeres Zeug! Jetzt denken wir an unsere Freundinnen Svenja und Claudia in Kiel, die bereits "Røros rulez!" konstatierten und schon lange von diesem Platz schwärmen. Ja, das alles können wir bestätigen. Es ist ein sensationeller, wunderschöner und berührender Ort!
Nach zwei Stunden Sitzen und Schauen brechen wir langsam auf. Die Sonne hat etwas an Kraft verloren, als wir zu den Transalps stiefeln und kurz später aus der Stadt bollern. Auf dem Fv30 sind es nur noch 10 km zu unserem Campingplatz! Um 18:00 sind wir da.
Nachdem wir uns in der einfachen Hütte eingerichtet und die Schwierigkeiten mit dieser Unterkunft gemeistert haben, sitzen wir noch eine Zeitlang auf der kleinen Terrasse. Wir lesen über Røros und seine Geschichte. Sie erzählt von Entbehrung, Tapferkeit und hartem Bergarbeiterleben. Von Almwirtschaft und südsamischer Rentierzucht bei unglaublichen -50°C. Aber auch von Reichtum und Lebensfreude und gelebten Traditionen!
Heike H. schickt ein Foto. Sie war vor einer Woche in Røros und stapfte bei Schneefall durch den Tiefschnee. Wir schauen uns an, das ist doch unglaublich! Wir freuen uns, hier gewesen zu sein! Als es um 21:30 zu regnen beginnt, schlüpfen wir in unsere Schlafsäcke. Gute Nacht, Røros!
Tageskilometer: 296 km
Hier geht die Reise weiter: >>klick
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