Sei es, weil wir uns vom römischen Aquädukt gestern mehr erwartet haben oder weil unsere Minizelle hier in Remoulin eine Katastrophe war. Das Aufstehen um 7:15 Uhr fällt uns ganz leicht. Wir wollen schnell weiter! Es dauert dann aber doch eineinhalb Stunden, bis wir reisefertig sind. Es ist kompliziert, wenn man wegen Platzmangel das ganzes Zeug ins Stiegenhaus werfen muss, um sich zu organisieren ...
Es hat seltsam dunstige 20°C, als wir durch das elektrische Tor tuckern. Wir nehmen den direkten Weg D908 Richtung Avignon. Die ehemalige Papst-Residenzstadt liegt genau zwischen uns und unserem heutigen Tageshöhepunkt. Deshalb wollen wir die Stadt auf Schnellstraßen rasch umrunden, auch wenn das meist keinen Spaß macht.
Erwartungsgemäß ist die Fahrt öde. Als wir bei Tarascon auf einer dramatischen Hängebrücke die Rhône überqueren, sehen wir von den Fabriken am Ufer nur unklare Schemen im dichten Nebel, der durchaus interessant stinkt. Auch das lieblos-graue Städtchen Saint-Remy hat schon bessere Zeiten gesehen. Das ist nicht die lavendelduftende Provence, von der man in bunt-bebilderten Reiseführern liest!
Immerhin haben wir den Großraum Avignon nun hinter uns gelassen und der Nebel lichtet sich. Wir cruisen gemütlich unendliche Alleen entlang und die niedrigen Berge der "Alpilles" bringen etwas Abwechslung in die langweilige Landschaft. Wir entdecken den ein oder anderen Olivenhain und kleine Weingärten. Es ist doch eigentlich ganz hübsch hier, und ...
Achtung, STOPP!! Wir haben wohl gedankenverloren dahingedöst, als wir verstört auf ein mitten auf der Straße querstehendes Motorrad schauen. Was soll das?! Was isn das für ein Depp?! Wieso sperrt der Trottel.... oh, entschuldigen sie, Herr Inspektor!
Gerade noch rechtzeitig steppen wir einige Gänge hart herunter, was die Transalps mit aufheulend hoher Drehzahl quittieren, und setzen schnell einen unschuldigen Blick auf. Wir können die hochgezogene Augenbraue des Uniformierten fühlen, als er uns streng taxiert und mit großer Geste zum Abbiegen zwingt. Ein Autounfall. Streckensperre.
Das ging nochmal gut! Wir rollen vorsichtig durch die Hinterhöfe eines kleinen Industriegebiets und hoffen, schnell wieder auf unsere Route zu gelangen. Wir sind schon zwei Stunden unterwegs und das ohne Frühstück! Wird Zeit, dass wir etwas Essbares finden!
Ein paar Kilometer später erkennen wir eine kleine Menschenansammlung vor einer Bar-Tabac am Straßenrand. Wir sind in Molleges-Gare und hier ist was los! Schnell paddeln wir die Transalps auf einen schmalen freien Platz. Kleine Autos französischer Provenienz stehen kreuz und quer am Gehsteig, die Kofferraumdeckel stehen weit offen.
Als wir näher schlendern sehen wir den Auslöser der Aufregung. Hier ist ein provisorischer Marktstand aufgebaut! Genau zwischen Bar-Tabac und Bäckerei, aus der es intensiv nach frischem Baguette duftet. Wir checken uns schnell ein paar warme Sandwiches vom Bäcker und Kaffee aus der Bar-Tabac und entern den letzten kleinen Stehtisch am Straßenrand.
Während wir hungrig unser Frühstück mampfen, beobachten wir die Szenerie. Ein junger Mann in Gummistiefeln ist Herrscher über die Meeresfrüchte, die er in großen Plastikwannen zum Verkauf anbietet. Eine Warteschlange hat sich gebildet und er schaufelt mit bloßen Händen jedem Kunden große Mengen Krebse, Langusten, Garnelen, Schnecken oder Muscheln in Plastiksäcke, die er abwiegt und sorgsam verschnürt.
Uns wird bewusst, dass wir hier nur einen Katzensprung vom Mittelmeer entfernt sind! Und wir staunen. In Österreich wäre der Teufel los, das Marktamt und andere Behörden hätten längst Alarm geschrien. Hygienemaßnahmen? Kühlkette? Hier kümmert es niemanden. Die Menschen zeigen sich begeistert vom Angebot und -schau!- die Schnecken sind schon ausverkauft!
Daneben belädt eine Bäuerin gerade einen wackeligen Campingtisch mit Kisten voller Zuckermelonen, die sie aus ihrem kleinen Renault zerrt. Schnell findet sich eine Gruppe interessierter Kundinnen. Die Damen diskutieren während sie mit Kennerblick die ein oder andere Melone fachmännisch in ihren Händen wiegen, klopfen und befühlen. Hier geht es um etwas und nichts könnte jetzt wichtiger sein!
Schnell entschlossen mischt sich Angelika unters Volk und kurz darauf liegt eine wunderhübsche kugelrunde Melone in ihrem Topcase. Für später!
Mittlerweile hat sich der große Hund des Bäckers beruhigt, der jedem Pick-Up (andere Automarken waren ihm gleichgültig) wütend hinterhergerannt ist, und er ruht im Schatten des Meeresfrüchtestands. Wir sind belustigt und bester Laune, als wir um Punkt 11:00 Uhr wieder auf die Transalps klettern. Pfiat euch, Leute! Das war ein schönes Frühstück hier!
Die Landschaft entlang des Flusses Durance ist eintönig und bei dieser Luftfeuchtigkeit werden auch 31°C schon zur Qual! Interessant, an wieviel künstlichen Kanälen wir nun entlang fahren! Kilometerweit fließen diese trüben Gewässer in ihren streng betonierten Betten dahin und oft sehen wir Kraftwerke und Schleusenvorrichtungen. Einer dieser Kanäle trägt seine Funktion in seinem Namen: Der Canal Électricité de France dient auf 250 km Industrie und Privathaushalten für Strom und Bewässerung!
An der historischen "Pont de Mirabeau" halten wir kurz an und lesen die interessante Geschichte. Und wir gucken in die Karte. Trotz allem technischen Interesse sind wir doch froh, gleich in Vinon-sur-Verdon zu sein! Denn urplötzlich ändert sich die Landschaft und unsere Straße führt in kurvenreichen Schwüngen durch wunderschöne Kurorte wie Greoux-les-Bains, wo sich prächtige Villen hinter Pinien und Zypressen verstecken.
Mit Frankreichs Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h bollern wir jetzt an leuchtend roten Mohnfeldern vorbei und versuchen aus voller Fahrt, ein gutes Foto zu machen. Für die berühmten Lavendelfelder sind wir ein Monat zu früh hier!
Immer den Verdon entlang macht das Motorradfahren wieder Spaß! Endlich ist auch die Gorges du Verdon angeschrieben. Die berühmteste Schlucht in diesem Land, oder? Wir fahren an den ersten Felswänden vorbei, während sich die Straße unmerklich immer höher schraubt. Hoffentlich ist es in den Bergen weniger heiß?
Das Frühstück ist schon lange vorbei. Kaum erblicken wir Riez, wedeln wir einander mit den Händen das Zeichen für "Kaffeepause, jetzt!" zu. Wer braucht schon ein Funkdings im Helm, wenn man doch vier Hände hat? Zügig braust Angelika geradewegs in den kleinen Ort. Und prallt gegen ein deutliches Fahr-, Halte- und Parkverbot. Was ist hier los?
Tja, Samstag ist nicht nur bei uns Wochenmarkt! Der gesamte Ortskern ist gesperrt und die Buden werden jetzt um 14:00 abgebaut. Wir kurven ein wenig ziellos umher, bis wir uns für eine winzige Bar-Tabac entscheiden, die am Rand der Verbotszone liegt. Wird schon nichts passieren! Wir wuchten die Transalps platzsparend an den gerade-noch-erlaubten Straßenrand und holen uns Kaffee.
Riez hat nichts mehr von seiner gallisch-römischen Großartigkeit. Oder aber diese Bar-Tabac ist das zweite Wohnzimmer ärmlicher Einwohner, die hier dem Tagesende entgegen lungern. Ein wenig tut uns der Jugendliche leid, der unauffällig auf unsere Transalps guckt, während er mit seinem zerbrochenen Handy spielt. Wenn seine Eltern da drinnen spärlicher Schnaps und Wein bestellen würden, ginge sich vielleicht eine weniger zerrissene Jacke für ihn aus? Es ist ein Jammer, hier genauso wie überall auf der Welt...
Der joviale Uniformierte vom A.S.V.P. heitert uns wieder auf. Der agent de surveillance de la voie publique, der kommunale Parkwächter bietet an, unsere Transalps einfach ins Parkverbot vor dem Café zu stellen. Es sind doch nur Motorräder, die stören grundsätzlich nicht! Aber das großzügige Angebot zahlt sich nicht mehr aus. Danke, wir wollen weiter!
Da vorne beginnt die D952 und zahlreiche Motorradfahrer haben offenbar den gleichen Weg. Zuerst geht es noch zügig dahin und wir freuen uns, dass die Hügel da vorne endlich Abwechslung in die Landschaft bringen. So wie die dunkelschwarzen Wolken da hinten in den postkartenblauen Himmel.
Wir sind in Moustiers-Sainte-Marie und nun geht es auch offiziell bergauf. Wie es sich für ein Region mit dem klingenden Namen "Département Alpes-de-Haute-Provence" gehört. Zwei oder drei Serpentinen später ist die Straße schmal geworden und es geht rabiat empor.
Das ist unser Terrain, hier fühlen wir uns wohl! In engen Kurven geht es dahin und rechts unter uns der enorme "Grand Canyon" der Verdonschlucht. Schau, da drüben der smaragdgrüne See "Lac de Sainte Croix"! Seine Farbe erinnert an diese Eiszuckerl, die es in unserer Kindheit gab.
Die Straße ist einfach zu fahren und wäre noch einfacher, wenn an diesem Samstag nicht Massen von Touristen - mit und ohne Motorrad - ebenfalls hier wären. Alle Ausweichen, alle Fotopunkte, alle kleinen Parkplätze sind besetzt und Menschen laufen blind über die Straße, immer auf der Suche nach dem perfekten Selfie.
Meist planen wir unsere Reisen so, dass wir an bestimmten Hotspots nicht am Wochenende eintreffen. Diesmal hat das nicht geklappt. Nervtötend! Dennoch versuchen wir, die steilen Felswände und die tollen Aussichten zu genießen.
Oh, wir sind schon in La Palud-sur-Verdon? Hier beginnt die "Route de Crêtes". Eine 10 km lange Kammstraße ganz hoch hinauf, die ganz oben ein Stück einspurig ist. Will man diese Extrameile fahren - und das sollte man unbedingt! - geht das nur im Uhrzeigersinn.
Also los! In schönen engen Kurven führt die D23 eng an den Berg gedrückt hinauf. Schnell wird die Vegetation spärlicher und die Aussicht beeindruckender!
Angelika überlegt kurz, ob sie ein Höhenproblem bekommen könnte. Am norwegischen Dalsnibba machte sie kurz vor dem Gipfel deswegen schlapp, diese Straße war plötzlich viel zu ausgesetzt. Doch nicht heute! Solche Straßen, solche Berge sind uns vertraut!
Am "Belvédère de la Dent´Aire" halten wir an. Wir schieben die Hondas auf den kleinen Parkplatz und eilen zur Absperrung in der Kurve. Oh, da gehts tief ´runter! Ein unfassbares 360° Panorama breitet sich unter uns aus, eine Schlucht, die ihresgleichen sucht! Wir stehen auf 1.250 Metern Seehöhe und schauen 700 Meter senkrecht hinunter auf den Verdon.
Da sind sie schon! Einige Gänsegeier segeln knapp über unsere Köpfe hinüber zur Felswand dort! Einer kommt mit seiner fast drei Meter großen Flügelspannweite ganz nah, sozusagen auf Augenhöhe! Wir sind sprachlos! Wir können uns lange nicht sattsehen. Was für ein Naturschauspiel hier heroben! (>> Clip)
Wäre das Wetter schön, könnte man von hier das Mittelmeer erkennen. Doch das Gegenteil ist der Fall! Die finstere Wolkenfront von vorhin kommt immer näher. Leider genau aus der Richtung, in der die Kammstraße weiter- und wieder ins Tal führt!
Wir diskutieren kurz. Sollen wir es riskieren? Noch steiler, noch schmäler und enge Felstunnels bei Unwetter? Wir kehren um. Besser als hier kann das Erlebnis "Verdonschlucht" kaum werden, sind wir sicher.
Zügig wedeln wir die extrem kurvige Straße wieder hinunter ins Tal und es geht weiter. Doch halt! Bei einem winzigen Imbiss in einer namenlosen Kurve hält Angelika abrupt an. Kaffeepause, oder? Es ist ein Glücksfall, dass wir einen winzigen Tisch am Straßenrand finden.
Der Kaffee von Jean Louis schmeckt richtig köstlich und die Aussichten auf die scharfkantigen Klippen sind eine Nummer für sich. Jedoch fühlen wir eine gewisse Eile. Wir würden so gerne trocken in unsere Unterkunft kommen und der Himmel verfinstert sich zusehends.
Wir fahren immer noch die kurvenreiche Höhenstraße entlang, doch jetzt machen wir ernst! Wir nehmen mit Tempo eine Kurve nach der anderen und auch einige Wohnmobile lassen wir hinter uns. Bergstraßen können wir! Dennoch brauchen wir noch einige Zeit bis Castellane.
Jetzt hat uns der Regen doch eingeholt. Während einer kleinen Plauderei mit einem Biker aus Österreich fängt es an, durchdringend zu nieseln. Verdammt! Wir merken an der stetig sinkenden Temperatur, dass wir hier in den Bergen sind. Noch 15 km bis zum Campingplatz? Das schaffen wir ohne Regenzeug!
Um 17:45 Uhr rollen wir zur winzigen Rezeption unserer Unterkunft. Wir sind noch über einen Berg und rund um den blitzblauen Lac du Cavillon gedüst. Der See liegt so malerisch in der Schlucht, wie nur ein Stausee es kann!
Später abends hört es zu regnen auf. Es ist jedoch mit nur 10°C der wohl kälteste Abend dieser Reise und wir haben keine Lust auf eine Platzrunde. Wir haben eine Hütte, Käse, Salami und Kaffee. Den kleinen Käseteller haben wir als Willkommensgeschenk bekommen und das Pesto ist sogar selbstgemacht!
Mehr brauchen wir heute nicht mehr. Was für ein prächtiger Motorradreisetag! Wir gehen heute früh schlafen, denn morgen wird wieder ein aufregender Tag! Nur, warum wird es in der Hütte nicht endlich warm?
Tageskilometer: 245 km
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