Osttirol - Dolomiten - Salzburg (Sept 2019)
1. Tag: Wien - Iselsberg/Osttirol
Seit genau drei Monaten ist Didi stolzer Träger einer Titanschraube in der Schulter und nun soll das Teil mal beweisen, was es kann: Wir fahren zu Freunden nach Osttirol! Seit der Rückkehr von der Nordkapp-Tour standen die Transalps in der Garage und nun harren sie gewartet und geputzt des nächsten Einsatzes.
Es ist Donnerstag der 19. September, als wir um 10:00 aus der Tiefgarage bollern. Die Sonne strahlt mit 15°C vom blitzblauen Himmel und wir sind voller Tatendrang, als wir die Transalps aus der Stadt lenken. Angelika trägt erstmals ihren neuen Shoei Neotec II und ist schon neugierig, wie sich dieser Helm anfühlt, hat er doch teuer Geld gekostet!
Wir nehmen gemütlich die A2-Südautobahn und wechseln nach etwa 70 km auf die S6-Semmeringschnellstraße. Heute herrscht wenig Verkehr und genau das lieben wir an freien Werktagen! Wir schwingen zügig bergauf und schon 25 km später halten wir an der Raststation Maria Schutz. Unser traditionelles Motorrad-Wochenende-Frühstück bei dieser Tankstelle besteht heute aus kräftigem Rührei und Kaffee. Die haben neuerdings Gratis-Refill eingeführt! Haben die uns erwartet?
Nach einigen Bechern Kaffee geht es weiter. Die nächsten 120 km lassen wir die Transalps am langen Zügel dahinlaufen. Obwohl wir die S6/S36 schon in- und auswändig kennen, macht es viel Spass, durch die wunderschönen Gegenden Richtung Südwesten zu cruisen! Mit Schwung nehmen wir die Ausfahrt Judenburg auf die B317.
Es ist bereits nach Mittag und wir haben Hunger. Nach ein paar Metern erkennen wir aus den Augenwinkeln, dass sich bei der jahrelang aufgelassenen Tankstelle in St. Peter ob Judenburg etwas getan hat. Eine Grillhendl-Station hat hier eröffnet! Dort, wo früher die Zapfsäulen standen, dort laden jetzt schwere Holztische auf eine Pause ein. Wir steppen ein paar Gänge herunter und parken die Motorräder im Schatten.
Kurze Zeit später lümmeln wir gemütlich an den Tischen und mampfen hungrig die wirklich ausgezeichneten Hot-Dogs in uns hinein. Wir sind froh über den Schatten, denn uns ist bei 21°C in unseren Merino-Sachen ziemlich heiß geworden. Der nette Typ am Grill hat hier wirklich einen guten Platz geschaffen und wir wünschen ihm zum Abschied für sein Unternehmen alles Gute! Er winkt uns zum Abschied nach: "Bis bald!"
Wir kurven zügig auf unserer Hausstrecke durchs Murtal. Erstaunt nehmen wir zur Kenntnis, dass nach St. Georgen nun auch weitere Orte Umfahrungsstraßen aus der Wiese fräsen, um den Verkehr draussen zu halten. Enorme Erdbewegungen sind im Gange und hübscher wird das schmale Tal dadurch nicht. Aber wir verstehen die einheimische Bevölkerung, die manchmal an akutem Akrapovič leiden. Nicht jedes Motorrad bollert so leise durchs Dorf wie unsere braven Zweizylinder ...
Vorbei an einigen Kuhweiden und vorbei an Murau und schon biegen wir in Predlitz scharf links ein. Hier beginnt die B95, der Weg auf die Turracherhöhe. Bevor wir das enge Tal entlangtuckern machen wir eine lange Pause im Sonnenschein und schauen auf die Turrach, die hier als Wildbach gen Tal sprudelt. Klasse, dass es Mitte September noch so sommerlich ist! Als wir im Mai "die Turrach" überquerten, lag oben auf 1.795 m Seehöhe noch Schnee und der Skibetrieb war in vollem Gange.
Heute dümpelt das Dörfchen am Bergsee im spätsommerlichen Dämmerschlaf dahin und nur wenige Touristen stapfen in festem Schuhwerk über den Alpenpass. Wir halten kurz, denn Angelika will ein hübsches Selfie machen - sie ist überglücklich mit ihrem neuen Helm! Was für ein guter Kauf!
Jetzt rollen wir langsam bergab Richtung Kärnten. Obwohl die Straße in den letzten Jahren stark entschärft wurde, sind manche Abschnitte mit 23% Gefälle noch ziemlich rabiat. Der Asphalt ist feucht und mahnt zur Vorsicht! Wir rutschen in den Sätteln unwillkürlich ganz nach vorne, so steil geht es hinunter...
Durch Angelika ehemalige familiäre hood geht es in zügigen Kurven hinaus aus dem Oberen Gurktal und durch das mondäne Bad Kleinkirchheim mit seinen noblen Kurbetrieben. Uns ist nach Kaffee und wir hoffen auf den schönen Imbiss-Platz in Dellach am Millstätter See. Doch wir haben vergessen, dass der nur an Wochenenden offen hat und heute ist Donnerstag. Verdammt!
Nach einer kurzen Besprechung cruisen wir den malerischen Millstätter See entlang und genießen, dass hier an Wochentagen wenig Verkehr herrscht. Wir halten uns nun nicht mehr auf und kurven zügig durchs Liesertal (B99) mit seinen vielen engen Kehren. Obwohl wir hier jeden Meter Asphalt gut kennen, ist es immer wieder wunderschön, hier lang zu fahren!
Nur Kaffee fehlt jetzt schon dringend! Kurz später halten wir in Lendorf. Schon länger wollen wir die "Alte Römerklause" in Augenschein nehmen. Das alte Gasthaus ist nicht mehr und wurde vor wenigen Jahren von einem engagierten Pärchen zu einem Delikatessenladen umgebaut. Wir klettern müde von den Transalps und eilen ins Geschäft.
Wir trauen unseren Augen nicht! Unglaublich, was die Ebners in ihrer Greißlerei aufgebaut haben. Dicht an dicht stehen die leckersten Köstlichkeiten im Regal. Eine große Auswahl an regionalen Spezialitäten, Direktverkauf von Bauern, liebevoll zubereitete Delikatessen gibt es hier. Hier wird dem Wert von Lebensmitteln jener Platz gegeben, der ihm gebührt. Hier schreit kein Schild "Billiger ist besser denn Geiz ist geil!" sondern hier geht es um Nachhaltigkeit, Schonung der Ressourcen bei höchstmöglichem Geschmack. LEBENSmittel im Wortsinn.
Wir sind begeistert, als wir einen Becher Kaffee schlürfend durch die Regalreihen schlendern und ein paar Kleinigkeiten einpacken. Während wir hungrig ein Leberkäsesemmerl jausnen, kehren ein paar erschöpfte Arbeiter auf ein Feierabendbier ein. Der Greißlerei ist auch ein kleines Café angeschlossen. Das ist ein guter Platz, hierher kommen wir wieder!
Zum Iselsbergerhof geht es entweder über das nördliche Möll- oder das südliche Drautal. Heute entscheiden wir uns für die Nordwestpassage! Zügig kurven wir die weitgeschwungenen Kurven das Tal entlang. Langsam sinkt die Sonne zum Horizont und blendet trotz heruntergeschobenem Sonnenvisier. Mühsam ist das!
Bei Stall machen wir noch eine kurze Trinkpause. Wir sind ziemlich hungrig und nur die Tatsache, dass der Grillkiosk am malerischen Gössnitzer Stausee geschlossen hat, erspart uns ein Vor-Abendessen. Die Sonne verschwindet hinter den hohen 2.475 m hohen Gipfeln des Sadnig und plötzlich wird es kalt.
Wir wollen uns nicht mehr aufhalten lassen und beeilen uns die paar Kilometer bis zum Talschluss in Winklern. Bei den rabiaten Serpentinen bergauf fühlen wir uns schon wie zuhause! Ein letzter Blick hinunter ins Mölltal und schon düsen wir durch den Wald zur Grenze Kärnten-Osttirol. Schau, da vorne! Es ist jedesmal ein besonderer Moment, wenn die kalkweißen Spitzen der Lienzer Dolomiten im Blickfeld auftauchen!
Um Punkt 18:15 bremsen wir schwungvoll vor dem Eingangstor des Iselsbergerhofs. Sepp begrüßt uns wie gewohnt herzlich mit einem Schnapserl und hat bereits die Schlüssel zu unserem Zimmer Nr. 9 in der Hand. Kurz denken wir an den netten Dänen, den wir voriges Jahr bei der Storebælt-Brücke trafen. Er bucht einmal im Jahr auch dieses Zimmer und hat uns begeistert davon erzählt!
Der Abend vergeht dann viel zu schnell mit einer herzhaften Frittatensuppe, knusprigem Schnitzel und einem leckeren Pudding als Nachspeise. Traditionell nehmen wir den letzten Kaffee auf den einladenden Tischen vor dem Haus, obwohl uns bei 11°C schon ziemlich fröstelt. Alles ist so wie immer und genau so ist es gut.
Tageskilometer: 405 km
2. Tag: Dolomitenrunde
Dichter Hochnebel über den Kalkgipfeln kündigt einen sensationellen Tag an! Nach einem herzhaften Frühstück mit Rosis selbstgemachter Apfelmarmelade erwecken wir um 11:00 die Transalps zum Leben. Es ist mit 7°C nicht zu warm, aber die Prognose ist hervorragend!
Um diese Uhrzeit hat Herr Gugg seinen Würstelstand noch geschlossen, als wir zügig die paar Serpentinen hinunter nach Lienz zur Tankstelle kurven. Durch den Stau, der hier das ganz Jahr über 24/7 herrscht, tuckern wir zum Kreisverkehr am westlichen Ortsende. Und los geht´s!
Die Pustertaler Bundesstraße B100 ist mittlerweile fast durchgängig zu einer Schnellstraße ausgebaut. Mit bequemen 100 km/h düsen wir Richtung Südtirol, nur bei den aggressiven Radarfallen im Ort Straßen steppen wir schnell ein paar Gänge herunter. Hier hat es uns schon ab und zu erwischt!
Der Nebel hat sich längst verzogen und die Sonne scheint vom blitzblauen Himmel, als wir die Grenze zu Südtirol erreichen. Heute ist Freitag und es ist wenig Verkehr auf der SS49! Diese Route ist immer ein wenig tricky, denn an Wochenenden nichts weniger als eine epische Verkehrshölle. Wir cruisen gemütlich durch Versciaco/Vierschach, das seinen ganzen Charme neulich dem hypertechnisierten Ski-Zirkus geopfert hat.
Noch ein paar weitgeschwungene Kurven und in Dobbiaco/Toblach biegen wir scharf links auf die SS51 "Strada Statale di Alemagna" ein. Hier kann man die hohen Gipfel der Dolomiten schon erahnen, jeder einzelne fast 3.000 m hoch! Wir sind neugierig. Liegt drinnen im Tal und weiter oben noch Schnee? Wir genießen jeden Meter dieses Tracks, der ohne Umwege mitten in die Region des UNESCO-Weltnaturerbes Dolomiten führt!
Wundervollerweise ist überhaupt kein Verkehr, als wir am Soldatenfriedhof an der Nasswand vorbeikommen. Ein paar Leute schmücken die uralten Gräber des Cimitero de Guerra mit frischen Blumen. Die Transalps schwingen entspannt die Straße entlang. 10 km nach Dobbiaco/Toblach halten wir links am Straßenrand.
Schon lange kennen wir die Ruinen des Werks Landro, die hier unter hohen Bäumen langsam ins Grundwasser sickern. Heute wollen wir die trutzigen Überreste des Sperrforts wieder einmal fotografieren. Das letzte Mal suchten wir hier gegen Mitternacht im Schein einer funzeligen Handy-Taschenlampe Angelikas Geldbörsel ... war eine gruselige Erfahrung!
Die gesamte Region hier war im 1. Weltkrieg hart umkämpfte Frontlinie und man stolpert buchstäblich alle paar Meter über eiserne und steinerne Überreste. Abgesehen davon ist der Almboden untertunnelt und mit Kavernenlöchern ausgehöhlt. Also Achtung, wo man hintritt! Der Werk Landro ist besonders gut erhalten, war es doch das erste vollständig aus Beton errichtete Bauwerk der k.u.k. Monarchie.
INFOBOX
Wir schreiben das Jahr 1866. Österreich verlor nach dem preußisch-österreichischen Krieg ganz Venetien inkl. die Dolomiten und den oberen Gardasee an das noch junge Italien (und nebenbei auch die Herrschaft über das norddeutsche Holstein, das von den siegreichen Preußen übernommen wurde).
Die Österreicher fürchteten, dass die Italiener mit erstarktem Selbstbewusstsein durch das Val di Landro/Höhlensteintal gewaltsam bis ins Pustertal vordringen würden und errichteten hier in der Gegend mehrere Sperrforts. Das Werk Landro wurde 1884 errichtet und schwer bewaffnet. Weil man dem neuen Baustoff Beton mißtraute, verkleidete man das Ganze bis 1891 noch mit Stahlplatten aus einer renommierten Fabrik in der Nähe von Wien.
In den nächsten 30 Friedensjahren war das Werk nur von wenigen Soldaten bewohnt. Es war lediglich ein großer Wirtschaftsfaktor für die Lebensmittelhändler der Region.
Zu Beginn des 1. Weltkriegs 1914 hätte man das bereits veraltete Werk Landro neu verstärken, renovieren und vergrößern müssen. Weil Österreich schon zu Kriegsbeginn ziemlich pleite war, ließ man das bleiben. Lieber montierte man die ganze Bewaffnung ab und verteilte sie unsichtbar in den Bergen ringsum. Das Werk selbst wurde aufgegeben.
Weil im gesamten Krieg nur vier wirkungslose italienische Treffer das unbewohnte Werk Landro trafen (während andere derartiger Sperrforts in der Umgebung bis zu 6000 Treffer einstecken mussten), steht es heute noch so da, wie es 1918 den Krieg überlebt hat.
Bevor wir wieder auf die Transalps klettern, lesen wir noch aufmerksam die hier neu angebrachten Info-Tafeln. Wir finden diese Initiative gut, denn bisher war man bei vielen dieser Entdeckungen in den Dolomiten auf Smartphone und Wikipedia angewiesen! Nach ein paar Schluck aus der Thermosflasche geht es weiter.
Nur kurz später fahren wir am malerischen Dürrensee vorbei und gucken hinauf auf die Steilwand des Monte Piana. Da oben beim Gipfelkreuz standen wir schon mehrmals und bestaunten das irre Panorama über die Dolomitenwelt! Noch wenige Kilometer und schon biegen wir bei Carbonin/Schluderbach scharf links ab.
Die SS48bis steigt gemächlich an, während das spitzzerklüftete Massiv des Monte Cristallo den Blick gefangen hält. Schon überqueren wir die Grenze nach Italien und lassen Südtirol hinter uns. Links und rechts am Straßenrand stehen immer wieder kleine Denkmäler, die an hier Gefallene aus dem Grande Guerra erinnern.
Oh wir lieben diese Strecke! Schnell kurven wir die paar Serpentinen entlang und gewinnen rasch an Höhe. Aus den Augenwinkeln nehmen wir wahr, dass hier oben kein Schnee mehr liegt! Auch auf der Alm am Fuße der Tre Cime ist grüne Wiese. Apropos Tre Cime! Natürlich halten wir hier kurz an und lassen die Drei Zinnen, das gewaltige Wahrzeichen der Dolomiten auf uns wirken. Wir kennen das schon jahrelang und bekommen davon doch nie genug...
Kurz später halten wir am Seeufer des Misurina-Sees am Parkplatz des Grand Hotels. Ohne Verzögerung bestellen wir Kaffee und holen uns auch die leckeren pasticcini aus dem Café. Nirgends gibts knusprigere Minikuchen als hier! Wir sitzen auf unserem Lieblingsplatz und nippen am Kaffee, während wir schweigend das grandiose Panorama genießen. Zweifellos ist das hier einer der schönsten Orte, die wir kennen!
Es ist 15:00, als wir wieder aufsatteln und den Weg hinunter nach Südtirol und durch das Val Landro zurücktuckern. Wir nehmen konzentriert alle Eindrücke dieser unwirklichen Bergwelt in uns auf. Heuer werden wir wohl nicht mehr hierher fahren. Da werden uns einige Wintersperren in die Quere kommen...
Bei Dobbiaco/Toblach biegen wir nun links ab. Die nächsten 20 km durchs Pustertal kennen wir als unfassbare Verkehrshölle, aber heute ist Freitag und es ist wenig los. Wir kennen die Strecke gut und so sind die unzähligen engen Kurven mit ihrem unregelmäßigen Rhythmus kein Problem für uns.
In Niederolang gehts ins pittoreske Antholzertal mit seinen traditionellen Bauerndörfern. Der Name ist irreführend, denn die SP44 führt stetig bergauf. Angelika wirft jetzt einen Blick auf die Uhr. Meine Güte, wir haben nicht mehr viel Zeit! Um 15:45 schaltet die Ampel auf Rot und dann müssen wir eine dreiviertel Stunde auf die Auffahrt zum Staller Sattel warten!
INFOBOX
Von etwa Mitte Mai bis Ende Oktober (abhängig von den Wetterbedingungen) zwischen 6:00 und 22:15 kann man über den Staller Sattel kurven. Die einspurige Straße ist für Busse und Wohnwägen gesperrt. Es gibt in beide Richtungen eine Ampelregelung, die die Straße immer nur für 15 Minuten in die jeweilige Richtung freigibt. Von der 1. bis zur 15. Minute ist die Fahrt von Österreich nach Südtirol, von der 30. bis zur 45. Minute die Fahrt vom Antholzer See nach Österreich möglich.
Wir drehen energisch am Gas und sind um 15:37 bei der Ampelschaltung. Die Autos sind schon weg und so fahren wir ohne Verzögerung einfach weiter. Der schmale Single Track führt zuerst gemächlich, später aber in rabiaten Kehren steil bergauf. Viele Serpentinen der schmalen Straße sind so eng, dass man besser im 1. Gang hinauf zirkelt. Es ist ein gutes Gefühl, dass hier niemand entgegenkommen kann, denn jetzt steht die Ampel oben auf Rot! Die Straße ist tief in den Wald eingebettet und nur die letzten paar Meter freischwebend, so dass nicht schwindelfreie Fahrer kein Problem bekommen.
Wenige Minuten später stehen wir auf der Passhöhe. Es ist warm geworden und wir schwitzen auf 2.052 m Höhe in unsere Merino-Wäsche. Wie oft waren wir schon hier? Auf jeden Fall noch nie bei so unglaublich tollem Wetter! Der Himmel ist tiefblau, keine Wolke trübt den Sonnenschein, die vergletscherten Spitzen des Collalto leuchten weiß.
Nur wenige Motorradfahrer und noch weniger Autos warten hier bereits auf die Abfahrt. In der Hauptsaison ist hier erfahrungsgemäß die Hölle los!
Wir machen Pause auf einer kleinen Holzbank und trinken aus der Thermosflasche, während wir unzählige Fotos schießen. Unter uns liegt der sagenumwobene Obersee, dem man angeblich noch längst nicht alle Geheimnisse entrissen hat. Der malerische Zirbenwald reicht bis zum Seeufer, an dem auch ein hübsches Restaurant steht.
INFOBOX
Der extrem fischreiche See ist nicht groß aber mit 27 Metern ziemlich tief. Viele Jahrzehnte kursierten Schauermärchen von einem am Seegrund liegenden Schiff und tatsächlich fand man 1999 einen 1000 Jahre alten Einbaum, der hier versunken war. Das Boot aus Zirbenholz dürfte einem Fischer gehört haben, der im Dienst des Brixener Fürsten stand, dem der See gehörte. Heute findet hier jährlich das höchstgelegene Drachenbootrennen der Welt statt. Eine Riesengaudi!
Die Sonne ist hinter den hohen Bergen verschwunden und es wird kälter, als wir das pittoreske Defereggental durchqueren. Ein schwarzbraunes Holzhaus reiht sich ans nächste, bunter Blumenschmuck an jedem Bauernhof. Es ist wohl eines der schönsten Bergtäler, die wir kennen! Jedes Dorf wird von Lawinensperrbalken begrenzt, doch die sind heute noch alle offen. Der Winter kann hier schon heftig werden!
Nach 30 km gemächlicher Fahrt durch das Tal hinaus machen wir in Hopfgarten noch eine kleine Pause. Es hat nur mehr 7°C und die Sonne reicht nicht mehr bis ins Tal. Wir sind ein wenig müde von den Eindrücken dieses Tages, als wir die letzten lauwarmen Schlucke aus der Thermosflasche trinken.
Nach der dramatisch kurvigen Abfahrt hinunter ins Iseltal stehen wir in der 165-Seelen-Gemeinde Huben. Hier beginnt auch die Bergstraße nach Kals am Großglockner, nur das ist etwas für einen anderen Tag. Es dämmert schon vorsichtig, als wir das breite Tal Richtung Lienz brettern.
Um 18:00 schleifen wir die Transalps sportlich vor dem Eingang zum Iselsbergerhof zusammen. Nanu?! Waren wir gestern fast alleine da, sind nun alle Tische vor dem Haus besetzt. Zahlreiche Motorradfahrer aus Deutschland sind heute angekommen und wollen das tolle Wetter am Wochenende nutzen!
Nach dem leckeren Abendessen sitzen wir noch in der Finsternis vor dem Haus und nippen an einem Glas Rotwein. Wir genießen die Stille hier am Berg bis uns zu kalt wird. Es hat nur mehr 4°C, als wir kurz später schlafen gehen. Gute Nacht, Lienz!
Tageskilometer: 203 km
3. Tag: Iselsberg/Osttirol - Salzburg - Linz
Samstag morgen, Sonnenschein bei 7°C. Wir haben am Frühstücksbuffet einen Plan entwickelt. Wir wollen 400 km Heimfahrt auf zwei Tage aufteilen und zwei schöne Touren daraus konstruieren. Es hat uns oft deprimiert, den Weg in die Großstadt in einem Stück zu fahren und die letzten Kilometer geht es über die Autobahn. Laaangweilig!
Um 10:00 verabschieden wir uns herzlich von unseren Freunden Sepp und Rosi und ihren Kindern. "Bis nächstes Jahr!" Wir nehmen den Weg, den wir gekommen sind und cruisen über die B107 über die Grenze Osttirol-Kärnten. Wir haben etwas Besonderes vor, daher drehen wir engagiert am Gas und brettern 35 km durchs Mölltal. Gottseidank kennen wir hier bereits jede Besonderheit und jede Kurve!
In Obervellach lenken wir scharf nach links und schon geht es die kurvig-schmale B107 hinauf nach Mallnitz. Dort fährt seit 110 Jahren der Zug der Tauernschleuse unter den fast 3.000 Meter hohen Gipfeln des Alpenhauptkamms nach Salzburg. Nicht nur, dass das Zeit spart, es erspart uns um schmale 17.- pro Motorrad eine Streckenführung, die wir schon allzugut kennen!
Wir haben es eilig, denn wir wollen um 10:30 einchecken, um eine halbe Stunde später mitgenommen zu werden! Wir schaffen das nicht ganz, aber die lassen uns noch auffahren. Die Stahlauflieger sind hoch und breit und nicht zu vergleichen mit den Autozügen der ÖBB! Wir rollen einfach mittig auf die Plattform und stellen ab. Ein betagter Herr verzurrt die Motorräder mit wenigen geübten Handgriffen für die zehnminütige Fahrt mit 20 km/h.
Uns macht das schon jetzt viel Spass. Es fühlt sich ein bissl wie eine große Reise an! Wir kennen Autoreisezüge sonst nur von unseren Touren nach Skandinavien! Wir stiefeln nach vorne und quetschen uns in die engen Bänke des Panoramawaggons. Angelika erlebte noch die Durchfahrt, als man im Auto sitzen bleiben durfte, das ist aber schon seit vielen Jahren verboten.
Pünktlich um 10:50 zuckelt der Zug los und taucht sofort in ein enges finsteres Loch. Es wirkt wie roh aus dem Berg gesprengt, obwohl seit 15 Jahren einige Sicherheitsvorkehrungen eingebaut wurden. Es ist heiß hier! Kaum dass wir eingedöst sind, sind wir schon wieder draussen aus dem Berg und in Salzburg. Das war klasse! Wir eilen zurück zur KfZ-Plattform und starten die Transalps.
Wir sind in Böckstein, einem kleinen und bunt mit Blumen geschmückten Ort am Talschluss des Gasteinertals. Aus den Augenwinkeln erkennen wir linker Hand das äußerst gepflegte Wirtshaus "Zur Post". Wir bremsen abrupt bei den zwei hübschen Stehtischen und stiefeln ins Lokal! Was für ein einladendes Haus! Der sympathische Chef versorgt uns mit zwei starken aromatischen Kaffees und Infos über die Fahrtzeiten der Tauernschleuse.
Während wir am "Kleinen Braunen" nippen, bestaunen wir die reich geschmückten und aufwändig erbauten Häuser des vorigen Jahrhunderts in Altböckstein. Man erkennt den früheren Wohlstand dieses Ortes, der mit Goldabbau und Heilstollen zu Reichtum gelangte.
INFOBOX
Bereits Kelten und Römer wuschen hier erfolgreich Tauerngold aus dem Felsen. Bis 1342 konnte jeder hier sein Glück auf eigene Rechnung versuchen. Dann war der Goldabbau so ertragreich, dass die Erzbischöfe von Salzburg ihren Tribut forderten: jeden 10. Kübel Erz für die Kirche. Das Tal erlebte einen unglaublichen wirtschaftlichen Aufschwung! Schmelzhütten, Handelsgesellschaften und Handelswege wurden gegründet. In der Blütezeit Mitte des 16. Jhdt. kamen 10% des weltweiten Goldvorkommens aus dieser Gegend!
Dann ging das Geschäft rapide bergab, viele Werke wurden geschlossen. Die Vertreibung der Protestanten 1732 versetzte dem Goldbergbau dann den Todesstoß. Die Bemühungen eines Salzburger Erzbischofs 1864 blieben ebenfalls erfolglos und der Bergbau im Gasteinertal wurde endgültig eingestellt.Während des Zweiten Weltkriegs sprengte die "Preußische Hütten AG" einen neuen Stollen in den Berg, um nach Gold zu suchen. Statt Erz fand man bei ungewöhnlichen 45°C nur reiche Radon-Vorkommen. Nur? Heutzutage besuchen jedes Jahr über 8.800 Rheumapatienten diesen Stollen, um in der bekanntesten Kuranstalt Österreichs in der Hitze der Felsen Heilung zu finden.
Wir müssen weiter! Wir cruisen gemütlich über die B107 durchs Gasteinertal, nicht ohne in Bad Gastein einen Blick auf die leerstehenden Luxushotels der vergangenen Belle Epoque zu werfen. Schlimm, dass man Teile dieses Ort so verfallen lässt! Zumindest im berühmten Grandhotel Straubinger tut sich seit heuer wieder etwas!
INFOBOX
Im Jahr 1864 gewannen die Österreicher gemeinsam mit den Preußen den Krieg gegen Dänemark und somit die gemeinsame Herrschaft über Schleswig und Holstein. Die Koalition funktionierte nur kurz, denn die beiden Großmächte konkurrierten heftig um die Führungsrolle im Deutschen Bund. 1865 teilten sich die beiden Siegermächte im Zirbenstüberl Nr. 7 des Hotel Straubinger die Gebiete auf: Österreich bekam Holstein bis zur Grenze Eider-Nordostseekanal. Für den Beschluss war der Kaiser extra aus seinem Urlaub in Bad Ischl angereist.
"So schnell schießen die Preußen nicht!“ War ein Irrtum. Nur ein Jahr später kämpften die Preußen mit den Italienern, denen Bismarck attraktive Gebietszugewinne versprochen hatte, gegen (!) Österreich. Bismarck triumphierte und Österreich verlor sein Gebiet in Norddeutschland und nebenbei Venetien, die Dolomiten und den nördlichen Gardasee.
Gedankenverloren cruisen wir durchs touristische Gasteinertal nordwärts. Bei Lend stossen wir ins Salzachtal und halten uns rechts. Die B311, zuerst eine flotte Schnellstraße wird schnell schmäler und schlängelt sich malerisch durchs enge Tal. Bei einer kurzen Trinkpause in St. Johann/Pongau entscheiden wir uns spontan für die B163 nach Wagrain. Wir hoffen auf weniger Verkehr!
Was für eine gute Entscheidung! In dramatischer Höhe schlängelt sich die Straße hoch über dem wilden Wagrainer Bach dahin. Kurvenreich und eng ist dieses Tal! Hier kommt man nicht schnell weiter aber jeder Kilometer durch den Wald ist ein Genuß! Bei 20°C und Sonnenschein erreichen wir Wagrain. Aber Achtung! Was stand auf dem großen Schild beim Ortseingang?
"Wegen Almabtriebs von 13:15 - 16:15 gesperrt". Du meine Güte, jetzt aber schnell! Unmittelbar bevor bunt geschmückte Kühe die enge und einzige Dorfstraße in Anspruch nehmen, beeilen wir uns um 13:00 durch Wagrain. So hübsch so ein traditioneller Almabtrieb ist, aber drei Stunden auf die Weiterfahrt warten? Es ist ziemlich knapp, als wir das Ortsende hinter uns lassen.
Über die malerische B99 erreichen wir quer durch den Pongau Niedernfritz. Im Nachbardorf ist der Stammsitz von Angelikas Salzburger Vorfahren, doch das kleine Haus steht nicht mehr. Wir biegen rechts auf die B166 ab. Wunderbare Kurven führen durch den dichten Wald im Lammertal und ab und zu blitzen die kalkweißen Gipfel des Tennengebirges und des Dachsteinmassivs durch die Wipfel. Was für eine tolle Strecke!
Uns ist warm und wir sind hungrig, als wir im blitzblauen Sonnenschein über den Pass Gschütt cruisen. Sanft schwingt die Straße über die knapp 1.000 m hohe Anhöhe und schon verlassen wir Salzburg Richtung Oberösterreich. Die Abfahrt vom Pass ist spannender als die Auffahrt: Das Gosautal Richtung Hallstätter See ist eng und wir zirkeln vorsichtig um jede steile Kurve.
Dort, wo die B166 zum Hallstätter See stösst, kennen wir ein gutes Imbiss-Standl am Seeufer. Dort wollen wir eine Jause! Doch diese Idee haben wir an diesem prächtigen Samstag Nachmittag nicht alleine. Am Parkplatz ist für unsere Transalps kein Platz mehr! Puuhhh, mühsam! Es ist aber auch ein wunderbarer Fleck hier...
Langsam kurven wir den See entlang Richtung Norden. Das von overtourism gebeutelte Hallstatt lassen wir rechts liegen. Man muss schon ziemlich genau überlegen, wann man diesen berühmt-berüchtigten Ort besucht, um noch einen Hauch der traditionellen Salzbergbaustadt zu spüren. Heute - an diesem sonnendurchfluteten Samstag - ist nicht so ein Tag!
Am Nordende des Sees haben wir eine spontane Idee! Es ist 14:00, als wir am Parkplatz vom Steegwirt von den Transalps klettern. Das 450 Jahre alte Welterbe-Wirtshaus lockt Einheimische wie Touristen mit kulinarischen Spezialitäten zu ambitionierten Preisen. Sogar Svenja und Pieps waren hier mit dem Frühstück zufrieden! Die beiden Gourmands kamen vor 4 Jahren auf dem Weg nach Berchtesgaden hier durch und bestaunten das wunderschöne aber fremde Österreich.
Die Preise aber eben auch der Geschmack des saftigen Schnitzels bestätigen die Gault-Millau-Haube, die dieses wunderschöne Wirtshaus mit Stolz trägt! Wir legen noch einen starken Kaffee nach, denn langsam macht sich Müdigkeit breit. Bevor das Suppenkoma droht, fahren wir lieber weiter. Ein Blick auf Googlemaps und wir wissen: Noch 120 km bis nach Hause.
Wir sind schon so voll mit fantastischen Eindrücken, dass wir langsam genug vom Fahren haben. Dennoch genießen wir die immer flacher werdenen Ausblicke Richtung Gmunden und Kremsmünster. Die Sonne senkt sich langsam zum Horizont, als wir über winzige unbenannte Güterwege Richtung Linz cruisen. Samstag abend ist hier viel Verkehr! Es ist Punkt 18:00, als wir zu Hause ankommen. Was war das für ein wunderbarer Motorradtag!
Tageskilometer: 285 km
4. Tag: Linz - Wien
Heute ist Sonntag und wir können in unserer Wohnung lange ausschlafen. Die Idee, die Rückreise von den Osttiroler Freunden auf zwei Tage aufzuteilen, gefällt uns! Gestern war eine wunderschöne Tour und heute haben wir nur unsere gemütliche Hausstrecke vor uns.
Noch verdeckt eine hauchdünne Wolkenschicht den strahlenden Sonnenschein, aber es ist mit 22°C noch wärmer als gestern. Um 14:15 erwecken wir die Transalps zum Leben. Wir haben keinen Stress! Über die B1 erreichen wir Enns, um dann bei Mauthausen über die hübsche Stahlstrebenbrücke auf die B3 zu wechseln.
Die B3 ist eine beliebte Motorradstrecke in Österreich und dementsprechend viel ist heute los. Unsere Hoffnungen auf einen Kaffee beim berühmten Schörgi in Grein schwinden mit jedem zurückgelegten Kilometer. Es ist unglaublich, was sich hier die letzten Jahre an Wochenenden abspielt! Man könnte glauben, diese Konditorei in der malerischen Donaukurve wäre die einzige Tränke zwischen Wien und Linz! Die Menschenmassen stehen auch heute wieder bis zum Donauufer Schlange, um ein Eis oder Getränk-To-Go zu erwerben.
Wir zuckeln zwischen den über die Straße laufenden Menschen durch und fahren weiter. Wenige Kilometer nach Grein halten wir rechts auf dem hübschen Parkplatz am Donauufer aka Lieblingsplatz. Eine Zeit lang hocken wir auf dem schweren Holztisch und schauen auf die vorbeifließende Donau. Wo bekommen wir jetzt Kaffee und Frühstück? Wir hatten nichts eingekauft und der Kühlschrank frühmorgens war leer!
Etwa 30 wunderbar kurvige Kilometer am Donauufer entlang stehen wir am Parkplatz der Konditorei Mistlbacher in Klein-Pöchlarn. Dieses Traditionshaus aus Melk hat neulich am Straßenrand der B3 eine Filiale eröffnet und - auch wenn das betonierte Ambiente so gar nicht unseres ist - die Köstlichkeiten hier sprechen für sich. Wir stärken uns mit saftigem Schinken-Käsetoast und Haustorte. Das hier könnte für uns ein neuer, guter Pausenplatz auf unserer Hausstrecke werden!
Nach einem starken Kaffee nehmen wir die letzte Etappe in Angriff. Es ist schon später Nachmittag, als wir bei Melk auf die A1-Westautobahn auffahren und die letzten 80 km des Wochenendes in einem Rutsch erledigen. Um 18:30 erreichen wir ohne besonderen Vorkommnisse unsere Wiener Wohnung.
Tageskilometer: 176 km
Insgesamt fuhren wir an diesem langen Wochenende 1.075 km. Das Wetter war kaiserlich, wir hatten 4 Tage ungetrübten Sonnenschein! Wir haben viele unserer Lieblingsplätze besucht und auch ein letztes Mal 2019 unsere Freunde vom Iselsbergerhof getroffen.
Wir lieben diese kleinen Microabenteuer und -fluchten aus dem Alltag! Als Winterfahrer hoffen wir jetzt auf einen sonnigen und schneearmen Winter...
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Thema: Osttirol - Dolomiten - Salzburg (Sept 2019)
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