Wir wachen ohne Wecker auf. Es hat noch geregnet, als wir eingeschlafen sind. Unser erster Gedanke gilt dem Wetter: Können wir heute zum Nordkapp? Sind die 25 km Höhenstraße zu schaffen? Als wir die dunklen Vorhänge zur Seite ziehen, trauen wir unseren Augen nicht.
BLITZBLAUER HIMMEL ! WOLKENLOS ! SONNENSCHEIN !
Wir schauen uns fassungslos an. Ein Wunder! Wie anders ist das heute als die letzten Tage! Vor allem die letzten 48 Stunden haben uns doch ziemlich erschöpft. Wir haben unserer neuen norwegischen Wetter-App Yr vertraut und sie hat sich nicht geirrt!
Heute begrüßt uns Magerøya mit absolutem Premiumwetter! Es ist sogar noch schöner als an jenem Tag im Jahr 2017, als wir das Kapp zum ersten Mal besuchten!
Blitzschnell haben wir das Notwendigste zusammengesucht, wobei das wichtigste Accessoire die Mitgliedsausweise vom "Royal North Cape Club" sind. Die erlauben uns gratis Eintritt, wir müssen die Gebühr von 285 NOK/pP als Clubmitglieder nicht zahlen. Wir springen auf die Transalps und düsen um 8:45 vom Platz. Das Regengewand bleibt heute bei sonnigen 10°C zu Hause!
Die Straße schraubt sich in ambitionierten Kehren steil hinauf. Schon sehen wir unseren Campingplatz am Skipsfjorden tief unter uns. Kurve um Kurve, Kilometer um Kilometer nähern wir uns dem Northernmost point of mainland Europe. Waren wir 2017 noch aufgeregt, was uns erwartet, so ist das heute die entspannteste und glücklichste Fahrt, die man sich vorstellen kann! (>>> Clip)
Wir kommen am Abzweiger nach Skarsvåg vorbei. Das nördlichste Fischerdorf der Welt haben wir noch nie besucht, das machen wir heute! Wir genießen jeden Meter dieser Fahrt.
Die gleißende Sonne färbt die unzähligen kleinen Seen dunkelblau. Viele Herden weiß-grauer Rentiere weiden am Straßenrand. Wir sehen dunkelbraune Kitze, die sich eng an ihre Mütter drängen.
Die Panoramen über die Hochebene des über 400m hohen Gråkallfjellet und die Barentsee sind überwältigend! Heute haben wir die Zeit und die Muße dafür. Wir blieben oft stehen und knipsen und filmen um unser Leben! Uns fällt auf, dass wir bis jetzt kein einziges Fahrzeug trafen. Sind wir heute die einzigen Touristen hier?
Um 9:15 rollen wir vor das kleine Kassahäuschen und zücken stolz unsere Mitgliedsausweise. Nanu? Geschlossen? Wir sind sogar etwas später dran als beim letzten Mal und da brummte der Laden schon. Es ist Freitag, der 31. Mai und offensichtlich ist auch hier noch Vorsaison. Wir stecken die Ausweise weg und düsen durch den offenen Schlagbaum zum Parkplatz.
Wir lenken die braven Transalps ohne Verzögerung links am Gebäude der Nordkapphalle vorbei und steuern den Globus an. Das ist ja eigentlich verboten, aber hier ist heute niemand! Wir sehen nur eine Handvoll Autos und Wohnmobile und keine Motorradfahrer. Die Nordkapphalle ist ebenfalls noch geschlossen! Außerdem steht das "Zufahrt verboten" - Schild nur auf dem Weg rechts herum und es wird geduldet, solange man niemanden stört.
Für die berühmten Fotos "Motorrad vor Globus" waren wir beim letzten Mal zu schüchtern - und haben das bis jetzt bereut. Wir fahren vorsichtig aber entschlossen die 230 m Schotterweg und parken die Transalps nahe am berühmten Wahrzeichen. Wir hüpfen schnell aus dem Sattel und machen Fotos. Schnell wieder weg hier! Nur ein deutsches Ehepaar ist da und sie beobachten uns belustigt.
Plötzlich kommt die nette Frau mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Sie umarmt uns voller Freude und liefert auch gleich die Erklärung: sie haben unsere Abfahrt gestern frühmorgens in Kautokeino aus dem bequemen Wohnmobil beobachtet und am Weg hierher immer wieder an uns gedacht und mit fest gedrückten Daumen gehofft, dass wir das schaffen. "War ja´n heftiges Mistwetter, näh?"
Wir lachen gemeinsam über die Umstände gestern, denn wir hatten ohne es zu wissen denselben Weg. Die allergrößte Freude macht sie uns aber, als sie anbietet, von uns und den Motorrädern Fotos zu machen! Klasse! Es ist doch irgendwie doof: Einerseits wünscht sich jeder Biker, den Globus am Kapp für sich alleine zu haben, aber wenn dann niemand Fotos von einem macht, ist es auch blöd.
Nachdem wir auch von diesen lieben Menschen Fotos geknipst haben, stellen wir die beiden Transalps ordnungsgemäß auf den Parkplatz und spazieren wieder zur Felskante, an der mainland Europe endet. Hatte jemand hier schon mal so phänomenales Wetter?!
Jetzt haben wir alle Zeit der Welt und wenden uns dem Ausblick zu und betrachten die unfassbare Weite des Meeres am Ende Europas. Worte sind zu dürftig, um das zu beschreiben! Ein unfassbares Blau umgibt uns, der grandiose Weitblick scheint bis Svålbard zu reichen und der Stahl des Globus blendet in der strahlenden Sonne.
In Bestlaune stiefeln wir jetzt in die Nordkapphalle. Zuerst Frühstück, dann Souvenirs - das ist der Plan. Wir sind kurz enttäuscht, dass hier noch alles versperrt ist. Das Aussichtscafé wird gerade vorbereitet und beim Souvenirladen ist das schwere Rollgitter noch heruntergelassen. Vor 11:00 geht hier gar nichts, sagen die Bediensteten, die gerade mit mächtigen Staubsaugern durch die Halle fahren!
Wir sind so gut gelaunt, dass uns das wenig stört. Den Touristenrummel hier haben wir schon 2017 mitgemacht und wir haben das auch gemocht! Ein zweites Mal tut das nicht Not. Wir stiefeln um 10:15 zurück zu den Motorrädern und freuen uns auf Skarsvåg! Am Parkplatz begrüßen wir die drei französischen HD-Fahrer, die wir gestern in Lakselv trafen. Auch sie haben es hierher geschafft!
Zuhause werden wir bemerken, dass die Webcam auf der Nordkapphalle unseren Aufenthalt fotografiert hat. Schon wieder haben wir diese Webcam vergessen, obwohl wir sie schon lange kennen!
Wir genießen die 15 km lange Fahrt durch die beeindruckendste Landschaft, die wir kennen. Auf der Suche nach einer Erinnerung bremsen wir in einer Kurve und besuchen die winzige Holzhütte mit der Aufschrift "Souvenirs". Ein sehr schweigsamer Mann beobachtet uns, während wir seine wunderschönen Handarbeiten beäugen und die zwei Rentiere tätscheln, die neben der Hütte ruhen.
Wir kaufen dem Samen, der in seine bunte Tracht gekleidet ist, ein Stück Rentier-Geweih für die Reisevitrine und eine Anzahl Postkarten ab. Wir mögen die Tradition, unseren Lieben Postkarten zu schreiben (und ebenso lieben wir es, aus aller Welt welche zu erhalten!).
Dann geht es weiter durch die dramatische Kulisse von Magerøya. Die Schönheit der kargen Einöde mit den glitzernden Schneefeldern und den dunkelblauen Seen macht demütig. Schon stehen wir an der Kreuzung und biegen links nach Skarsvåg ab.
Das nördlichste Fischerdorf der Welt präsentiert sich uns unter blitzblauem Himmel. Die bunten Häuschen leuchten in vielen Farben und das Dunkelblau der Barentsee bildet einen fantastischen Kontrast dazu. Kleine Segeljachten und größere Fischerboote schaukeln im winzigen Hafen auf und ab. Frühstückszeit!
Es ist unglaublich ruhig hier. Es wirkt, als wäre der Tourismus hier noch nicht angekommen. Wir sind die einzigen Besucher. Auf der Suche nach Kaffee entern wir ein kleines und mit Weihnachtsschmuck dekoriertes Holzhaus. Wir werden im "The Northcape Winter and Christmas House" freundlich empfangen. Wir bestellen erstmal Kaffee und Waffeln und bedienen uns selbst.
Dann fragen wir nach Handfesterem. Die Wirtin wirft einen Blick in den Kühlschrank und meint: "Die Männer sind noch nicht aus dem Hafen zurück, aber ich finde bestimmt etwas!" Mit diesem verheißungsvollen Versprechen nehmen wir auf der kleinen Sonnenterrasse Platz und schauen auf den Hafen.
Wir beobachten eine Rentierherde, die da drüben neugierig an den Autos schnuppert und langsam durch den Ort trottet. Mittlerweile ist uns ziemlich warm. Wir stellen fest, dass sich windgeschützte und sonnige 10°C tatsächlich sommerlich anfühlen und schälen uns aus den Jacken.
Nur Minuten später balanciert Heidi ein großes Tablett mit Köstlichkeiten zu uns: "Esst, soviel ihr wollt". Wir finden Rentierspeck, Käse, Brot und einige kleine Leckereien. Wir sitzen im Sonnenschein, kein Laut rings um uns und wir jausnen schweigend und sind glücklich. Endlich Urlaub!
(Aber wieso ziehen am südwestlichen Horizont Wolken auf?)
Gegen 14:00 verdichten sich die Wolken und kommen bedrohlich näher. Nach einer Plauderei mit der Chefin des Weihnachtshauses über die Lebensumstände in dieser 50-Seelen-Gemeinde brechen wir auf. Der Himmel verfinstert sich zusehends und wir geben Gas. Wir müssen noch nach Honningsvåg, einkaufen!
Wir brauchen eine halbe Stunde, in der wir erneut die atemberaubenden Eindrücke der grandiosen Landschaft in uns aufnehmen. Ohne Umwege kurven wir zum Hurtigruten-Anleger. Hier liegt gerade die mächtige "MS Nordlys" vor Anker und in Honningsvåg ist richtig viel los. Organisierter Landgang für 690 Passagiere!
Wie anders erlebten wir das vor zwei Jahren, da war die kleine Gemeinde ein vergessenes Nest am Ende der Welt. Wir kaufen nur schnell Briefmarken für unsere Postkarten und sind wieder weg.
Bei Shell füllen wir unsere Tanks noch randvoll mit 95 Blyfri und besorgen uns ein paar Leckereien. Dann düsen wir 5 km zum Campingplatz zurück. Wir schaffen es gerade noch rechtzeitig, bevor der Regen einsetzt. Um 15:00 endet der heutige Sonnentag. Aber das stört uns heute nicht!
Wir chillen jetzt in der Hütte, essen, trinken, schreiben Postkarten und haben eine gute Zeit. Draussen kühlt es erheblich ab und wir sehen durchs Panoramafenster, wie sich zum Regen dichter Nebel über die Berge Richtung Nordkapp senkt. Wir müssen auch noch Angelikas Kofferschlösser begutachten, denn die haken gewaltig. Da war zuviel Schmutz und Kälte dran.
Später checken vier italienische Biker die Nebenhütte und machen sich sofort auf Richtung Kapp. Sie kommen viel zu früh wieder zurück. Vermutlich ist die Fahrt derzeit keine gute Idee?
Heute gehen wir spät schlafen. Wir müssen die Eindrücke dieses phänomenalen Tages noch verarbeiten. Wie es wohl morgen wird? Yr ist unschlüssig aber der Campingplatz-Chef ist sicher, dass die E6 Richtung Alta ab mittags schneefrei ist...
Tageskilometer: 75 km
Hier geht die Reise weiter: >klick
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