Es ist der 7. September, kurz vor 8:00 früh. Wir sind in gedrückter Stimmung und schon beim Einpacken. Die Hütte müssen wir auch noch putzen und den Müll entsorgen! Wir arbeiten schweigend und nippen nebenbei am selbst angerührten Kaffee. Es ist trüb bewölkt und der Wind lässt die 18°C kühler wirken als angenehm wäre. Ob Svenja schon abreisefertig ist? Als Frühaufsteherin langweilt sie sich vermutlich schon.
Gerade als wir das gedacht haben, hören wir das Trompeten des Einzylinders. Svenja schlingert um die Kurve, putzmunter und abenteuerlustig! Sie will ehestmöglich weg und ihre Dänemarkreise fortsetzen. Solche Abschiede sind am besten wie Pflaster abreissen: Ohne lange Vorbereitungszeit, kurz, bündig, schmerzlos. Wir umarmen einander fest und innig. Fahr vorsichtig und pass auf dich auf! Bis in drei Monaten!
Sie lässt die Kupplung kommen und fegt sportlich vom Platz. Wir schauen ihr nach, wie sie zügig den Hügel zur Rezeption erklimmt und ein letztes Mal rüberwinkt. Seufzend zurren wir die Gurte um unsere schönen Rack Packs fest und schlüpfen ins Motorradzeug. Tschüss Lieblingshütte, tschüss schöner Campingplatz! Es ist genau 9:40 Uhr, als wir an der Rezeption vorbeirollen und uns auf die kleine Inselhauptstraße einfädeln.
Sorry, aber für "SLOW DOWN" haben wir jetzt keine Zeit mehr!
Der letzte Blick aufs Handy galt dem Fährenplan Bogø-Stubbekøbing. Uns gefiel nicht, was wir sahen, denn die uralte "Ida" legt um 10:15 Uhr in Bogø ab! Schaffen wir das in 35 Minuten? Wir lassen es drauf ankommen! In gestrecktem Galopp hasten wir über die Insel Møn. Wir überholen jedes Auto, jeden Traktor und unterschreiten die erlaubte Höchstgeschwindigkeit nie!
In Stege stehen wir vor einer roten Ampel. Verdammt! Sollen wir aufgeben? Nein, das geht sich aus! Auf den letzten 20 Kilometern jagen wir die Transalps fern jeder Scham- und Geschwindigkeitsgrenzen mit 100 km/h über die Insel, ohne links und rechts zu schauen. Über den schmalen Damm beschleunigen wir noch mal und müssen bei der Kurve zum Hafen die Gänge hart hinuntertreten.
Nur, die ganze unwürdige Hetzerei hat nichts genützt. 10:16 Uhr. Schwitzend schauen wir der Fähre nach, die vor wenigen Sekunden abgelegt hat und die Ladeklappe soeben hochzieht. Mist, Mist, Mist! Wir müssen heute noch nach Brandenburg, da zählt jede Stunde! Zumal noch eine längere Fährfahrt vor uns liegt. Wie zur Versöhnung kommt jetzt blasser Sonnenschein auf.
Eine Stunde auf die Fähre warten oder am Landweg rundherum, über die Brücke bei Farø? Ein schneller Check bei Googlemaps verspricht, dass dieser Umweg bis Stubbekøbing in weniger als einer halben Stunde zu schaffen ist. Also los! Nach einer kurzen Pause kurven wir weiter auf die Insel Farø. Die fünf Einwohner scheinen heute nicht zuhause zu sein, wir sind ganz alleine unterwegs.
Die 95 Meter hohen Pylonen der Farøbroen sind weithin zu sehen und verdammt beeindruckend. Es reicht immer zu einem gewissen mulmigen Gefühl, die großen dänischen Brücken zu befahren. Sie sind hoch, lang und immer geht starker Wind. So auch heute! In Schräglage geradeaus, so bollern wir über die 1700 Meter lange Brücke auf die Insel Falster.
Schon sind wir am gegenüberliegenden Ufer in Stubbekøbing und gucken in die Karte. Ob wir den gleichen schönen Weg wie bei der Anreise finden? Lange Rede, kurzer Sinn? Nein, wir finden ihn nicht. Wir kurven zwischen winzigen Bauernweilern wie Horreby oder Elkenøre, unbeschriebenen Stränden und Bauernhöfen herum und vermutlich fahren wir einen gewaltigen Umweg. Die Landschaft schaut überall gleich aus. Gleich flach! Das Auge kann sich nirgends festhalten und wir verlieren die Orientierung.
Als uns das alles gewaltig auf die Nerven geht und wir in die Helme fluchen, erreichen wir unverhofft Marielyst und erkennen die bildhübsche Unterkunft von der Anreise! Jetzt finden wir uns zurecht. Selbstsicher und stolz bollern wir die letzten Kilometer bis Gedser. Um 12:00 Uhr erreichen wir den Fähranleger der Scandlines! Wir überlegen, Dänemarks südlichsten Punkt zu besuchen, aber irgendwie fehlt uns dazu die Lust.
Wir sind viel zu früh und da fällt unser Blick auf den kleinen Gastgarten vom Købmandsgården, gleich neben dem Hafen.
In diesem Brauhaus gibts keine Speisekarte, aber der freundliche Wirt empfiehlt uns eine Art Gulasch mit Kartoffeln und wir schlagen zu. Wir hatten noch kein Frühstück! Der Eintopf schmeckt ausgezeichnet und wir entspannen ein wenig nach der gestressten Anfahrt.
Um 12:50 Uhr checken wir auf der Fähre ein und rollen im Schritttempo auf die "Lane 12". Da vorne stehen schon ein paar Motorradfahrer und ... Nein! Das gibts doch nicht! Chris?! Ein Typ im Reiseoutfit breitet die Arme aus und grinst übers ganze Gesicht! "I hob eich Zwa g´sehn und hob ma glei denkt: Zwei Transalpfahrer in Dänemark. Wer soi des scho sein außer eich?" Der Bekannte aus Oberösterreich war in Norwegen und ist gerade am Weg nach Hause. Was für ein Zufall!
Es ist 13:30 Uhr, als die Fähre endlich ablegt. Ganz anders als bei der geruhsamen Anreise ist das Schiff heute proppenvoll. Mehrere Schulklassen blonder dänischer Teenagermädchen sind auf dem Weg nach Deutschland. Mehr Lärmpegel geht nicht! Wir quetschen uns an ein winziges Tischchen und schlürfen Kaffee aus Pappbechern.
Mit interessanten Benzingesprächen vergehen die zwei Stunden wie im Flug und im Schiffsbauch verabschieden wir uns von Chris. Er bleibt in Rostock und will sich die Stadt ansehen. Wir aber müssen weiter! Tschüss, gute Reise!
Wir sind schnell von Bord und finden über einige Kreisverkehre die BAB19 Richtung Süden. Im Rostocker Hafen ist alles fantastisch ausgeschildert, da können sich viele Häfen ein Beispiel nehmen! Wir setzen uns zurecht, straffen die Schultern und los gehts! Es ist ziemlich genau 16:00 Uhr.
In gutem Reisetempo brausen wir die Autobahn entlang. Heute Donnerstag nachmittags ist wenig Verkehr und wir machen nur eine kurze Pause bei Plau am See. Als wir unsere Gelenke dehnen, entspinnt sich ein lustiges Gespräch mit Berliner Pensionisten, die gerade am Weg nach Wien sind! Kulturinteressierte Omis, die sich sehr auf unsere Heimatstadt freuen und voller Hochachtung für unsere Motorradreisen sind. Viel Spaß, ihr Lieben!
Nach 135 km Autobahnfahrt erreichen wir die Abfahrt Herzsprung. Den Weg zur Unterkunft haben wir uns ganz genau notiert, denn es geht mitten durch einen unwegsamen Wald auf einem Schotterweg, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Um Punkt 18:30 Uhr stehen wir auf einer Lichtung vor einem wuchtigen Wirtshaus am Kattenstieger See, mitten im einsamen Wald.
Wir werden von einem Gast, der vor dem Haus sein Bierchen genießt, überschwenglich begrüßt. Der junge Mann in Tennissocken und Adiletten preist beifallheischend die Vorzüge dieses deutschen Hauses, wo die deutsche Welt noch in Ordnung ist und es richtig gute deutsche Küche gibt. Was ist mit dem? Höflich, aber bestimmt werden wir ihn los. Man will als Ausländer ja keinen Ärger machen.
Wir treten hier sicher keine politische Diskussion los. Damit haben wir zuhause schon genug zu tun. Aber dass Brandenburg und andere neue Bundesländer politische Probleme haben, ist uns natürlich bekannt. Dass sich etablierte Parteien verzweifelt (und vermutlich hoffnungslos) gegen den Erfolg der AfD stemmen, ebenso. Beim Abendessen prostet man uns zu: "Willkommen im Altreich!" Bei dieser 80 Jahre alten Formulierung könnte man schon den Appetit verlieren.
Wir ziehen uns in eine hübsche Ecke zurück und lassen uns das köstliche Essen dennoch schmecken, die Hirschroulade aus eigener Jagd und auch der Bienenstich als Dessert und ein Likör "Rebellenblut" sind wirklich lecker! Die Preise entsprechen den unsrigen in Österreich, was uns doch erstaunt. Eigentlich wollten wir später noch einen Spaziergang am angrenzenden See und rund um die Angelteiche machen, aber die Ungezieferplage hier hat uns verscheucht. Um 23:00 Uhr gehen wir schlafen. Es war ein langer Tag!
Tageskilometer: 262 km
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