Es regnet, als wir am 22. Mai aus dem Fenster unserer Wiener Wohnung schauen - ein trüber Tag. Verdammt! Wir hofften, dass am Abreisetag schöneres Wetter herrscht! Bedächtig und konzentriert packen wir unser Zeug zusammen. Unsere seit Jahren laufend evaluierte Packliste bewährt sich erneut. Wir schweigen und jeder hängt seinen Gedanken nach.
Die letzten Tage und Wochen waren schwierig! Wir waren beide gesundheitlich nicht gut aufgestellt und es war schwer für uns, zwischen den vielen Arztterminen Vorfreude auf die Reise zu entwickeln! Wir waren bis gestern unsicher, ob wir diese Tour mit den Motorrädern überhaupt schaffen können. Doch letztendlich siegte die Zuversicht!
Der Regen lässt untertags nicht nach und so verlassen wir um 18:00 im grauen Niesel die heimatliche Tiefgarage. Es ist mit 14°C nicht zu warm. Schon 20 Minuten später stehen wir an der Verladerampe des Autoreisezugs (ARZ) beim Wiener Hauptbahnhof. Wir parken unter Dach, denn es regnet nun stärker. Es ist ein ungewohntes Bild - wir sind die einzigen hier!
Check-In-Schalter sind verwaist. Nur zwei junge Mädchen verkaufen aus einem Handwagen kalte Getränke. Aus purer Langeweile kaufen wir ihnen eine Flasche Cola ab. Bis 19:30 werden sich nur fünf Autos zu uns gesellen. Heute bleiben wir die einzigen Motorräder!
Eine interessante Plauderei mit einem österreichischen Rentnerpaar verkürzt uns die Wartezeit: sie haben das Auto bis zum Dach voller Balkonblumen, denn sie übersiedeln heute für sechs Monate in ihr Sommerhaus nach Schweden! Wir werden erstmals neugierig auf dieses unbekannte Land!
Es regnet beständig, als wir um 19:45 in den wie immer unfassbar niedrigen Waggon einfahren. Angelika hat den Tankrucksack auf den Rücken geschnallt, um sich tiefer zum Tank beugen zu können. Die Stahltraversen nur eine Handbreit über unseren Köpfen sind ein gruseliger Anblick. Passt man hier nicht auf, endet die Urlaubsreise bereits am Bahnsteig in Wien-Favoriten, dem 10. Wiener Gemeindebezirk.
Vorsichtig rumpeln wir liegend über das nasse Metall ganz nach vorne. Einige Zuggäste schauen neugierig zu und Angelika summt "Let me entertain you!" in ihren Helm. 158 cm Höhe verhindern dabei zuverlässig, stolz auf dem Motorrad zu sitzen und würdevoll abzusteigen...
Angelika hat extra ROK™-Straps für ihre kleine Ortlieb-Rolle gekauft. Die ist unterwegs für "nass und dreckig", wenn Gepäck nicht mehr in den Koffer darf. Noch ist das Regengewand sauber und trocken darin verstaut. ROK™-Straps? Ja, denn angeblich dürfen Packrollen dann am Motorrad bleiben und das ist bei der Winzigkeit der Double-Kabine im Schlafwagen durchaus ein Thema!
"Touratech made by Ortlieb" darf wirklich am Bike bleiben und das Verzurren der Motorräder geschieht heute stressfrei. Die Arbeiter haben für unsere Transalps viel Zeit. Wir sind tatsächlich ganz alleine auf dem Zug! Wir sitzen am Bahnsteig und beobachten die ungewohnt stille und einsame Szenerie. Bald wird uns die Zeit lang und wir sind froh, dass sich der Zug um pünktlich 20:27 endlich in Bewegung setzt.
Für uns sind die kommenden Stunden schon Routine: Frühstückswünsche auf die Liste kritzeln, Motorradzeug verstauen, die weichen Hauspatschen aus dem Geschenkspaket anziehen, sich über den knappen Platz ärgern.
Die Beschreibung der Schlafwagenabteile sind wirklich ein Gag aus der PR-Abteilung der ÖBB! Um etwa 21:30 bestellen wir Paprikahendl mit Nockerl und Frankfurter Würstl. Wir mögen die Speisekarte und Sekt und Getränk gibts gratis! Schweigend beobachten wir bis Passau, wie draussen die nass-nebelige Landschaft vorbeigezogen wird.
Während der seit Herbst 2015 aufrechten deutschen Grenzkontrolle um 23:20 gibts eine Gute-Nacht-Zigarette am Bahnsteig. Viele routinierte Beamte gehen durch den Zug und leuchten in jedes Abteil. Wir sehen durch die Fenster, wie einige Passagiere im finsteren Liegewagen entsetzt in den grellen Scheinwerferkegel starren. Die haben schon geschlafen! Die Bayerische Grenzpolizei braucht für den gesamten Zug 25 Minuten, während denen wir uns die Füsse am Bahnsteig vertreten.
Kaum ruckelt der Zug weiter, bitten wir den Zugbetreuer, die Betten herunterzulassen und gehen nach einer Katzenwäsche in unserer Kabine ohne Umschweife schlafen. Die neu gekauften Trekology-Kissen bewähren sich jetzt zum ersten Mal und wir fallen in einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Tageskilometer: 7 km
Hier geht die Reise weiter: >klick
Für euren Kommentar bitte ganz hinunterscrollen...