Wir sitzen seit 8.00 Uhr bei einem leckeren Frühstück auf unserer winzigen Terrasse. Lionel ist längst wieder an seinem Arbeitplatz um Menschen zu retten und Boote zu bergen. Seine Gattin hat noch freundlich gewinkt und ist auch zu ihrer Arbeit geeilt. Wir haben keinen Stress. Es ist bewölkt und düster, aber feuchtmild bei 13°C. Hier an der bretonischen Küste könnte weit schlechteres Wetter sein...
Um 10.30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Wir wollen eng an der Küstenlinie bleiben, um so viel wie möglich vom Meer zu sehen. Wir durchqueren Audierne, wo wir nur für einen kurzen Halt stehenbleiben, um die gestern gekritzelten Postkarten in einen Briefkasten zu stopfen. Postkartenschreiben gehört für uns zur Reise wie Tanken, Travellunch und Trockenbleiben!
Wir bleiben nur kurz auf der D784. Schnell finden wir auf die winzigen Single-Tracks, die kurvenreich und verwinkelt am Strand entlang führen. Das Hinterland ist flach und der Atlantik nicht zu übersehen, daher brauchen wir für unseren Weg keine Karte. Einfach das Meer entlang! Hier ist die Bretagne so wie in zahlreichen Klischees erhofft: Rauh, trutzig, keltisch. Uralte Kirchen und monumentale Steinhäuser in unaussprechlichen Dörfern wie Mesperleuz, Lestréouzien und Porzambréval säumen unseren Weg. Das Meer liegt heute grau und schwer vor uns und der Himmel bleibt vorerst düster und bewölkt. Es herrscht eine undurchdringliche Stille. Was für eine besondere Stimmung hier!
Wir tuckern die "Route de Corniche" entlang, die so gar nichts mit ihrer berühmten Namensvetterin bei Nizza gemein hat! An einem einsamen Strand bei Keristenvet, an dem nur ein kleines Wohnmobil aus Österreich dem Tag entgegendämmert, finden wir eine stattliche Steinsäule. Seit über 6.000 Jahren steht hier ein Hinkelstein, den irgendwer hier vergessen hat. Knapp 5.000 solcher Steine sind in der Bretagne verteilt. Morgen werden wir die sogenannte Hinkelsteinküste entlang fahren!
Bei Penhors, wo wir bei einer kurzen Pause einige Wagemutige beobachten, die mit ihren SUP gegen die Wellen kämpfen, biegen wir rechts auf die D40 ab. Wir durchqueren jetzt Plovan mit seiner beeindruckenden 800 Jahre alten Kirche, die für die paar Einwohner dieses winzigen Nest doch außergewöhnlich groß erscheint.
Gedankenverloren bollern wir die schmale Straße entlang Richtung Süden, als wir aus den Augenwinkeln eine beeindruckende Ruine wahrnehmen. Wir werfen sofort Anker! Verlassen und einsam steht die "Chapelle de Languidou" am Straßenrand und die weitläufigen steinernen Reste lassen die einstige Pracht vor dem inneren Auge wieder auferstehen. Vor allem die vollständig erhaltene Rose über dem Altar zeugt von der Wichtigkeit dieser ehemaligen Kapelle. Wie viele Sakralbauten wurde auch diese 800 Jahre alte Kirche während der Revolution 1795 zerstört und als Militäreinrichtung missbraucht...
Wir sind nun etwa eine Stunde unterwegs und haben erst 30 km geschafft! Zu sehr fesseln uns die Eindrücke dieser einsamen und archaischen Gegend am Atlantik. Deshalb - und weil wir unserem Tageshöhepunkt entgegenfiebern - geben wir ab Tréguennec etwas Gas. Die für ihre Surf-Meisterschaften weltberühmten weißen Strände bei Plomeur lassen wir buchstäblich links liegen. Auf der D2/D44 geht es nun zügiger weiter.
Endlich ist die Sonne durch die Wolken gebrochen! Das Meer ist nun entfernt, während wir die heckenumsäumte Straße entlang cruisen, die sich bei Bénodet zu einer Schnellstraße auswächst. Auf gut Glück biegen wir bei einem winzigen Pfeil Richtung Concarneau in den dichten Wald ab. Eng und kurvenreich führt nun ein schmaler Weg Richtung Stadt. Mitten im Wald von Fouesnant machen wir eine kurze Pause:
Uns begeistert das große Hinweisschild, das mit allerlei Wissenswertem einlädt, da unten am Strand selbst Muscheln und Krebse zu fangen. Wir müssen grinsen. Das ist so ungewöhnlich für uns! Sogar die geeigneten Werkzeuge sind abgebildet! Bis zu 3 kg darf man hier sammeln, mehr als man bei uns in Österreich Pilze und Schwammerl aus dem Wald holen darf!
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Bevor wir weiterfahren, haben wir uns auf Googlemaps den Weg ins Zentrum von Concarneau genau eingeprägt. Wir tuckern nun langsam und aufmerksam durch den Wald, dessen Straße nun ziemlich rabiat bergab zum Meer führt. Als wir das Ortsschild von Concarneau passieren, kann Angelika einen leisen Freudenschrei in ihrem Helm kaum unterdrücken. Sie hat sich seit Monaten auf diesen Ort gefreut!
INFOBOX
Kommissar Dupin ist in Concarneau zu Hause. Ruhe zum Nachdenken und Erholung nach einem kniffligen Fall findet er am liebsten im Restaurant „L’ Amiral“ neben der Markthalle und gegenüber der Ville Close, der Altstadt, die wie eine Festung ins Meer ragt. Dupins achter Fall "Bretonisches Vermächtnis" spielt in Concarneau, denn ausgerechnet im Restaurant geschieht ein Mord. In diesem Dupin-Roman erfährt man einiges über die Legenden und Geschichten Concarneaus.
Schon viele Jahrzehnte vor Dupin ermittelte im L´Amiral ein berühmter Polizist: Commissaire Maigret des belgischen Autors Georges Simenon saß ebenfalls gerne in diesem Restaurant und ermittelt in allerlei Fällen. Berühmtestes Beispiel: "Der gelbe Hund", den auch Dupin in seinem achten Fall begeistert liest.
in: https://www.bretagne-reisen.de/urlaubsvorbereitung/urlaub-a-la-carte/rundreisen-in-der-bretagne/auf-den-spuren-kommissar-dupins/ und https://www.giessener-allgemeine.de/kultur/anspielungen-georges-simenon-12767028.html
Wir haben die Motorräder platzsparend auf den weitläufigen Parkplatz gestellt, der sich an prominenter Stelle am Eingang der Altstadt befindet. Ob das Parken hier kostenlos ist? Wir können das auf die Schnelle nicht ´rausfinden und eigentlich ist uns das jetzt auch egal.
Wir sehen rechter Hand die berühmte "Ville Close", die Altstadt in der Wasserburg, als wir direkt zum Gastgarten des Restaurant L´Amiral eilen. Oh, da ist tatsächlich ein freier Platz in Bestlage! Wir bezweifeln heimlich, dass man hier außerhalb irgendwelcher Pandemien einen Platz bekommt, spielt dieses Restaurant doch für Krimifans weltweit eine tragende Rolle.
So wie jedem Fan von Bannalecs Krimiromanen ist auch Angelika die Speisekarte des L´Amiral längst geläufig und der heutige Höhepunkt des Tages ist ... nun ja, das Essen! Während Didi mit Fischfilets auf der sicheren Seite bleibt, bestellt sie die Große Meeresplatte mit Alles. Auf die schüchterne Nachfrage bei der hübschen Kellnerin, ob das alles eßfertig angerichtet wird, lautete die Antwort: "Nun ja, also fast. Aber ich helfe gerne." Das muss nun reichen!
Manchmal sind Momente einfach so perfekt, dass sie bleiben. Als kurze Zeit später das Essen aufgetragen wird, ist so ein Moment! Die Wasserburg gegenüber, der strahlende Sonnenschein über den kristallweiß leuchtenden Segelbooten, der hübsche und so berühmte Gastgarten und das Essen! Ein Teller voll mit fremden und furchterregend aussehenden Tieren wird jetzt vor Angelika hingestellt.
Puuuhhh, das wird was. War das ein Fehler? Als Bergvolk liegt solch Essen außerhalb unserer Tradition und diese Tiere sind - nun ja - schrecklich ungewohnt anzusehen! Zumindest die verschiedenen scharfen Öle, Mayonnaisen und Weißbrot wirken wie alte Bekannte. Also los gehts!
Strahlend vor Freude schlürft sie zuerst die sündhaft teuren Austern aus Belon, die sie in Zitronensaft ertränkt hat. Leichte Übung, wie sie stolz anmerkt. Auch die verschiedenen Schnecken machen kein Problem. Oh, wie lecker mit der gelben Mayo! Bei der Auswahl von fremdartigem Werkzeug auf dem Tisch liegt ausserdem ein Ding dabei, das scheint wie gemacht für Schneckenhäuser. Wie praktisch!
Bei den Langusten tritt erstmals die Kellerin auf den Plan. Denn als Angelika zwar mit Kennermiene den Körper weggefuttert ("Scampi kann ich!") aber die furchterregenden Scheren beiseite geschoben hat, deutet sie auf eine grobe Zange am Tisch. Das Leckerste sitzt in den Scheren? Mit geübtem Griff knackt die nette Servierkraft eine Schere auf und verlässt diskret wieder den Tisch. Wie nett die hier sind!
Es ist ein Massaker, als Angelika mit Didis Hilfe die scharfkantigen Langustenteile aufknackt. Hui, da ist echt Kraft notwendig! Sie lässt von den Langusten kein Fitzelchen übrig. Meine Güte, das schmeckt gut! Doch die ganze Zeit starrt der Taschenkrebs düster in die Gegend. Was machen wir mit dem? Dieses kugelrunde Viech schaut so unsympathisch aus und Angelika hat keine Ahnung, ob sie den angreifen soll. Was daran eßbar sein soll. Und vor allem wie?
Aber dies ist ein gutes Restaurant und die Kellnerin hat wohl heimlich ein Auge auf hilflose Touristen, die sich mit ihrer Bestellung übernommen haben. Höflich tritt sie erneut an den Tisch und bietet ihre Hilfe an. Ja, bitte! Neugierig schauen wir jetzt zu, wie sie das hässliche Tier routiniert in ihre kleine Hand nimmt und furchtlos auseinanderbricht. Noch hier und da mit dem scharfen Messer etwas aufknacken und schon erklärt sie, wo das eßbare Fleisch versteckt und welches Werkzeug geeignet ist.
Nun ja, es wird letztendlich eine riesige Schweinerei, bis Angelika mit fettigen Fingern auch dieses Tier erledigt hat. Es war schwierig, das Innenleben eines Krebses zu erforschen, wenn seine Anatomie nicht kennt! Aber das weiße Fleisch ist so unfassbar zart und köstlich, dass die ganze Mühe lohnt. Zum Schluss tunkt sie mit dem feinen Weißbrot die letzten Reste von Mayo und Öl aus den Schüsselchen. Sie strahlt vor Glück! Was für ein Erlebnis, was für ein Genuss! Auch Didi war mit seinem Fischfilet vom Merlan in einer feinen Safransauce überaus zufrieden.
Wir beschließen unseren Besuch im L´Amiral mit einem starken Espresso und einem luftig-zarten Erdbeerdessert. Als wir um die Rechnung bitten, sind wir erstaunt: Bei uns zuhause wäre die Reisekasse noch vor dem Kaffee zu Ende gewesen aber hier ist das anders! Das war jetzt gar nicht so teuer wie erwartet! Die Meeresplatte schlug mit 22.- zu Buche, dafür bekäme man bei uns zuhause nicht mal die Austern!
Wir geben äußerst großzügig Trinkgeld denn die Hilfe des Servierdame war zu nett! Unser extra Dankeschön quittiert sie mit einem feinen und äußerst französischen Lächeln: "Es ist nie eine Schande, zu fragen. Es ist aber eine Schande, etwas übrig zu lassen."
Bestgelaunt stiefeln wir nun hinüber in die Altstadt. Wir überqueren die Zugbrücke in die "Ville Close". Neugierig steigen wir ein paar Stufen hinauf auf den Wehrgang, um einen Blick über Concarneau zu erhaschen. Was für ein paradiesischer Ort! Eine bunte und lebendige kleine Hafenstadt breitet sich zu unseren Füßen aus, als wir ein paar Meter hoch über der Stadt dahinschlendern.
Doch es ist heiß geworden. Die Sonne brennt vom blitzblauen Himmel und wir suchen nun in den engen Altstadt-Gässchen eine Erfrischung. Die Hauptstraße erinnert uns ein wenig an Mont Saint Michel mit den winzigen Läden und den vielen Lokalen! Die kleinen Straßen aus dem 15. Jhdt. mit ihren dicken Mauern geben guten Schatten. Nachdem wir einen kitschig-bunten Leuchtturm für unsere Reisevitrine erstanden haben, finden wir zwei gute Plätze bei Augustine, einer winzigen Eisdiele am Fischerei-Museum.
Wir bestellen zwei landestypische Eisbecher mit Salzkaramell-Eis. Auch das ist etwas, was wir noch nie hatten. Es dauert nicht lange, da löffeln wir begeistert das picksüße Salzeis, das den Durst bei dieser Hitze aber nun gar nicht löscht. Währenddessen gucken wir auf die meterdicken Mauern der Altstadt und die unzähligen winzigen Häuser, keines jünger als 500 Jahre.
Wir schwitzen in unsere Klamotten, als wir später die paar Meter hinüber aufs Festland stiefeln, wo unsere Motorräder warten. Ok, Parken war gratis! Was für ein Glück! Wir haben es nicht eilig, als wir um 16.30 Uhr langsam die Hafenkante entlang Concarneau verlassen (>> Clip). Wir würden gerne wieder hierherkommen! Es ist wunderschön hier!
Sattgegessen und zufrieden cruisen wir nun über die flotte D783 gen Süden. Das Meer liegt nun rechter Hand etwas entfernt und wir fahren durch fruchtbares landwirtschaftliches Gebiet. Bei Tregunc ist Nevez schon angeschrieben und wir finden zwischen Kuhweiden leicht auf den kleinen Güterweg zu unserem Campingplatz "Camping des Chaumieres". Es ist 17.15 Uhr, als wir bei dem winzigen Rezeptionshäuschen ankommen. (Erst lange nach unserer Heimkehr werden wir erfahren, dass sich auch unsere Freundin Svenja auf diesem Platz sehr wohlgefühlt hat!)
Wir hatten auf Grund unserer corona-bedingten Reiseumbuchungen extrem netten Mail-Verkehr mit Annick und nun wählen wir ihre Telefonnummer, denn die Rezeption liegt verlassen da. Nur wenige Augenblicke später radelt die patente Frau mit ehrgeizigem Tempo herbei und begrüßt uns überschwenglich! Sie erzählt uns bekümmert von einer völlig verhauten Saison und dass sie so froh ist, dass wir gekommen sind! Ausser uns sind nur zwei weitere Gäste da, der große Hüttenplatz ist verwaist. Wir fragen uns wieder einmal, ob diese Winzigbetriebe diese f*cking Pandemie überleben werden...
Nach einer erfrischenden Dusche sitzen wir mit einer Tasse selbst angerührtem Kaffee auf unserer Hüttenterrasse. Im Tankrucksack haben wir noch Reste von süßem Backwerk aus Audierne gefunden. Wir haben keinen Hunger, denn das außergewöhnliche Essen ist noch nicht lange her! Also entscheiden wir, einen längeren Spaziergang zu machen. Schauen wir mal, wo wir gelandet sind. Apropos: Wo ist hier das Meer?
In Bequemkleidung latschen wir los. Ja was ist denn dort auf der anderen Straßenseit? Eine Siedlung von winzigen Hobbithäusern breitet sich vor uns aus! Das muss Kerascoët sein! Wir werfen Google an und lesen über dieses 600 Jahre alte Dorf, das mit seinen uralten granitsteinernen Häusern und seinen Strohdächern vollständig erhalten ist. Ein "Paysage de la reconquête", ein "Dorf der Rückeroberung" alter Traditionen, nennen die Franzosen diese Anlage. Und wie Schuppen fällt es uns von den Augen! Unser Campingplatz hat seinen Namen von diesen Häusern: Chaumieres nennt man diese stroh- oder reetgedeckten Steinhäuser!
Staunend schlendern wir zwischen den winzigen Behausungen hin und her und bewundern, wie liebevoll alles mit Blumen geschmückt ist. Keine Menschenseele ist da. Ist das ein Freiluft-Museum? Nein! Da vorne verlassen gerade einige Hobbits ihr winziges Häuschen und fahren in ihrem verzwergten Peugeot davon. Unglaublich! Hier wohnen Leute! Wir finden das gerade so toll und begeistern uns auch für den gemeinsamen Dorf-Brotbackofen, der den winzigen Hauptplatz dominiert. Ob der noch genutzt wird?
Jetzt spazieren wir einen verwunschenen und verwachsenen Pfad hinunter, dorthin, wo wir das Meer vermuten. Mal sehen, wo dieser Weg hinführt! Es geht steil bergab, bis wir uns schlußendlich durch dichtes Gebüsch kämpfen. Das Meer! Unvermutet stehen wir auf einem schmalen Trampelpfad, der hoch über der Küste entlang führt! Wir sind am Golf von Biskaya!
Unendlich breitet sich das Meer vor uns aus und unter uns schlagen die Wellen kräftig gegen die senkrecht aufragenden Felsen. Aufpassen! Da wollen wir jetzt nicht hinunterstolpern! Vorsichtig gehen wir einige Meter den Pfad entlang und schauen auf das Meer.
Inzwischen senkt sich die Abendsonne drüben über Audierne und die Konturen der felsigen Küste werden härter. Wir sitzen noch lange hier hoch über dem Meer und schauen in die Stille. Gute Nacht!
Tageskilometer: 95 km
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