Es hat annähernd 30°C, als wir um 11:00 im geschotterten Hinterhof des kleinen Hotels in Husum auf die Transalps klettern und uns aus dem Staub machen. Das Frühstücksbuffet war große Klasse! (Auch wenn dort das erste strenge Corona-Regime unserer Reise herrschte.) Wir sind trotzdem gedrückter Stimmung, denn das ist gefühlt unser letzter Reisetag und seit der gestrigen eintönigen Strecke erwarten wir uns nichts Besonderes mehr...
Tja, so ist es dann auch. Wir cruisen entspannt und ohne weitere Aufregung übers flache Land von Dithmarschen. Wir durchqueren Weidegründe, Ackerflächen, kleine Wäldchen und jede Menge Vogelschutzgebiete. Die Eintönigkeit der Landschaft wird nur durch das ein oder andere rot leuchtende Backsteinhaus unterbrochen.
Bei Tönning überqueren wir die Eider und während wir ein paar Schluck aus der Thermoskanne schlürfen, lesen wir über den ehemals längsten Fluss Schleswig-Holsteins. Also bis der Nord-Ostsee-Kanal ihn unterbrochen hat. Schon die Wikinger nutzten den langen Wasserlauf der Egða und ein Jahrtausend lang war er die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland. Wir wissen nicht, ob dieser Fluss heute noch eine besondere Bedeutung hat.
Bei einer kleinen Pause in der Nähe von Heide diskutieren wir, ob es wohl die hübschen Dörfchen sind, wegen denen Touristen hierher reisen. Die sind mit ihren roten Ziegenhäusern, Reetdächern, Fachwerk und Treppengiebeln wirklich hübsch! Die unendlich weiten Ackerflächen geben für uns nichts her, so sehr wir uns auch bemühen. Wir kennen manche Orte aus interessanten TV-Dokus, aber wir haben keine Lust, St. Peter-Ording oder Friedrichskoog zu besuchen. Wir rollen einfach gemächlich weiter durch Dithmarschen.
In Meldorf verlagsamen wir das Tempo und cruisen im Schritttempo durch den Ort. Das wuchtige Gotteshaus fesselt unseren Blick und wir halten an um zu diskutieren, ob sich ein kurzer Besuch lohnt? Aber am Ende unserer Motorrad-Kulturreise sind wir faul geworden und so begnügen wir uns mit der Außenansicht der 800 Jahre alten Backsteinkirche.
Vielleicht sollten wir besser die langweilige B5 verlassen? Gibt es auf den kleinen Straßen etwas Interessantes zu sehen? Wir biegen hoffnungsvoll auf die L138 ab, eine schmale, fast einspurige Straße. Im Ort St. Michaelisdonn wird es unerwartet spannend: Eine verwirrende Baustelle versperrt die Durchfahrt und die Umleitung führt uns stramm gen Osten. Angelika blättert hektisch die Karte im Fach ihres Tankrucksacks um. Die brauchen wir jetzt!
Es geht kurvig durch Wäldchen und über flaches Ackerland. Als wir ein Örtchen namens Quickborn durchqueren, sind wir kurz verwirrt. Das ist nicht das uns bekannte Quickborn, oder? Das, welches zwischen Hamburg und Kiel an der Autobahn liegt? Nö, das kann nicht sein, stellen wir verunsichert fest. Wir wollen doch nach Brunsbüttel! Erst als wir in Burg über das alte Kopfsteinpflaster holpern, finden wir das nächste Umleitungsschild Richtung Eddelak. Wir freuen uns über die schattenspendenden Wäldchen, denn mittlerweile hat es 32°C!
Ah, jetzt wird es interessanter! Kurz nach Eddelak erkennen wir in der Ferne eine gewaltige Hochbrücke, die dramatisch aus der flachen Landschaft ragt. Ob wir da drüberfahren werden? Nun, wir werden es in Kürze wissen! Wir nähern uns jetzt schnell Brunsbüttel und der Verkehr wird stärker. Wir sehen Industriegebiete und rätselhafte Hafenaufbauten.
Wir wissen, dass hier an der Elbe der Nord-Ostsee-Kanal beginnt, der 100 km später in Kiel in die Ostsee fließt. Und obwohl es sich hier nur um - zugegeben sehr breite - Flüsse handelt, wirkt alles ziemlich maritim. Meine Güte, jetzt schnell! Da kommt ein gigantisches Containerfrachtschiff aus der Nordsee, das gerade unter der Brücke durchfährt! Vielleicht können wir von oben ein Foto machen?!
Wir drehen am Gas, nur um oben auf der Hochbrücke zu verlangsamen. Aber keine Chance! Hier gibt es keine Gelegenheit, diskret stehenzubleiben, um ein schnelles Foto zu knipsen. Enttäuscht rollen wir wieder hinunter. Wir haben gelesen, dass die ganze Hafenstadt nur 4 Meter über dem Meeresspiegel auf künstlich gewonnenem Land liegt. Wir erinnern uns an die Sturmflutgeschichten von Dänemark und Nordfriesland - hier wird die Geschichte wohl ähnlich sein?
Wir wollen nun am Ufer der Elbe Richtung Hamburg fahren. Deshalb wechseln wir auf die B431, die ganz nah am Deich entlang führt. So sehr uns die flache Gegend gestern genervt hat, so entspannend finden wir nun das Dahinrollen im Sonnenschein auf den winzigen Wegen am Deich. Links die durch unzählige winzige Kanäle durchschnittenen sumpfigen Wiesen und rechts der Damm, auf dem hunderte Schafe mit ihren Hufen eifrig ihre Verdichtungsarbeit leisten.
In Brokdorf halten wir an. Schauen wir uns das doch mal näher an! Wir halten unmittelbar am Deich auf einem kleinen Parkplatz. Ein paar Wohnmobilurlauber äugen neugierig zu uns ´rüber, als wir uns aus den viel zu heißen Motorradklamotten schälen. Hier sind große Schautafeln angebracht, die über die dramatische Vergangenheit dieser Region erzählen: Seit dem 12. Jhdt. kämpften die Menschen hier mit unzulänglichen Deichen gegen die Nordsee und die Elbe, die immer wieder über das Land hereinbrachen und Todesopfer forderten.
Auch der "Deichschutzplan Schleswig-Holstein" ist hier beschrieben, der ein Jahr nach der Hamburger Flutkatastrophe im Februar 1962 ausgearbeitet wurde. Während Geli auf ihrem Smartphone über gewaltige Sturmfluten, Deichbrüche und Katastrophen liest, die hier viele Jahrhunderte lang die Landschaft veränderten, stiefelt Didi den hohen Deich hinauf. Unzählige Schafe beobachten ihn leise blökend, als er ganz oben angekommen die enorm breite Elbe fotografiert.
Wir sind müde geworden und dehnen die Pause aus, bis uns im Sonnenschein endgültig zu heiß geworden ist. Unsere Idee ist, einfach die Elbe entlang bis Hamburg zu fahren. Dazu brauchen wir keine Karte mehr, oder? Angelika verräumt alles in ihrem Tankrucksack und los gehts!
Nun, wir hatten schon bessere Ideen! Es dauert nicht lange, und wir haben uns zwischen den endlosen Sumpfwiesen und tausenden Kanälchen hoffnungslos verfahren. Himmel, wie schwierig kann das sein!? Diese Landschaft ist so gleichförmig, dass wir uns einfach nicht orientieren können. Also gucken wir in Herzhorn wieder einmal in unsere Karte: Die Elbe ist nun ein Stück von uns entfernt. Wir haben wohl in Glückstadt eine falsche Abzweigung erwischt!
Und reicht es jetzt. Wir wollen einfach nur nach Hamburg zum Autoreisezug! Deshalb finden wir es eine gute Idee, einfach durch Elmshorn durchzufahren und dann die Autobahn zu nehmen. Ach du meine Güte! Nur wenige Kilometer später stranden wir mitten in dieser (anwesende Elmshorner mögen uns verzeihen!) wirklich unattraktiven Stadt und suchen zwischen lieblosen Plattenbauten, versifften Kebab- und Automatenlokalen und wenig ambitionierten Graffiti-Kunstwerken den Weg auf die A23.
Ein netter Bauarbeiter erkennt unsere Lage, als wir fluchend auf einer Baustelle stranden und es kein Weiterkommen gibt. Er lotst uns leise und unauffällig durch einige schraddelige Hinterhöfe, durch Baugruben und zwischen Absperrungen durch, die er sorgfältig für uns beiseite schiebt. Das war aber nett, danke!
Irgendwann finden wir die A23-Westküstenautobahn und düsen Richtung Hamburg. Die endlose Sucherei hat uns erschöpft, als wir auf einem grauenvoll verdreckten Autohof-Parkplatz noch eine kleine Pause machen. Wir besprechen den besten Weg zum Bahnhof Hamburg-Altona. Hoffentlich hält das Wetter! Über Elmshorn haben sich dicke graue Regenwolken zusammengeballt!
Zügig bringen wir die letzten 25 km hinter uns und rollen um Punkt 17:00 in die Wartespur des Autoreisezugs. Puuuhhh, das war keine schöne Fahrt! Didi checkt uns schnell auf den Zug ein und wir kleben sorgfältig das Schild "INNSBRUCK" hinter unsere Windschilder. Ach ja, verdammt! Der Autozug fährt ja nicht mehr nach Hause nach Wien und wir müssen 450 km entfernt ´raus! Das haben wir wohl in den letzten 3 Wochen verdrängt...
Die Wartezeit bis zur Verladung der beiden Transalps vertreiben wir uns mit leckerem Gyros bei Köz Urfa und es ist ein reines Wunder, dass wir bei diesem sonnigen Schönwetter einen guten Platz im Gastgarten bekommen. Wir sitzen so gerne bei dem Türken, von dessen Lokal man fast die Gleise sehen kann! Wir vertreiben uns die Zeit mit Plaudereien mit einem Abenteurer, den seine allererste Motorradtour gleich nach Island geführt hat. Sechs Wochen hat er sich mit seinem schweren und hoch beladenen Motorrad durchs Hochland geschlagen, wie er erschöpft erzählt!
Endlich ist es 19:00 und es geht los! Wir rumpeln über die wackelige Rampe und paddeln den unfassbar niedrigen Aufleger ganz nach vorne. 155 cm Höhe bis zu den Stahltraversen, die mit totaler Vernichtung drohen! Das ist wohl für jeden Biker eine lächerlich niedrige Angelegenheit. Es ist - wie so oft - das letzte Abenteuer der Reise!
Als wir zu unserem geräumigen 6er-Privatabteil im Liegewagen schlendern, können wir noch nicht ahnen, was sich auf dieser Zugfahrt nach Österreich noch ereignen wird. Gute Nacht, Hamburg!
Tageskilometer: 165 km
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