Heute verlassen wir die geschichtsträchtigen Normandiestrände. Wir haben alles gesehen, was uns interessiert und nun ist es gut. Been there, done that! Um 10.00 Uhr sind wir nach einem schnellen Buffet-Frühstück abfahrtsbereit. Es macht uns nichts, diesen Hüttenplatz zu verlassen. Er war unpersönlich aber praktisch für unsere Unternehmungen!
Es ist frisch bei nebeligen 13°C, als wir Bayeux auf der D572 im Uhrzeigersinn umrunden. Die Altstadt verschmilzt mit kleinen Vororten und heute Sonntag vormittag ist kaum Verkehr. Bei einem großen Kreisverkehr ist "Saint-Lô" bereits angeschrieben! Mit einem letzten Blick über die Schulter zur beeindruckenden Kathedrale verlassen wir Bayeux Richtung Südwesten.
Nun geht es über weite Maisfelder, die bereits abgeerntet und staubig daliegen. Wir bollern durch winzige Ortschaften, deren Häuser das Erdgeschoss niemals überschreiten. Die D572 verläuft nahezu kurvenlos und wir hängen unseren Erinnerungen an die Besichtigungen der letzten beiden Tage nach. Unbemerkt haben wir das Calvados verlassen und befinden uns nun im Département Manche, nach dem Ärmelkanal "La Manche" benannt. Die Straße ändert zwar ihren Namen aber sonst bleibt alles unverändert. Unverändert langweilig, ehrlicherweise.
Saint-Lô umrunden wir auf einer unspektakulären Schnellstraße D972. Wir haben gelesen, dass 95% der "Stadt der Ruinen" in den Massakern des D-Day zerstört wurden und dementsprechend erwarten wir uns keine großartigen Sehenswürdigkeiten hier. Außerdem wollen wir die Halbinsel Cotentin mit ihren Sumpfgebieten abkürzen, denn wir haben ein spektakuläres Tagesziel vor uns!
Deshalb, und weil uns das sture Dahincruisen auf der autobahnähnlichen D-Straße auf die Nerven geht, wechseln wir in Marigny spontan auf die D29. Wir haben auf die Karte geguckt und ab jetzt geht es Luftlinie südwestlich zum Meer! Unsere Hoffnung auf winzige Wege erfüllt sich: Die Straße wird immer schmäler, immer kurvenreicher und ab und zu haben wir sogar einen hübschen Ausblick in die Gegend.
Die Felder sind mit Hecken voneinander abgegrenzt und hohe Sträucher säumen auch manchmal die Straße. Das ist also die berühmte Bocage mit ihren sanften Hügeln, Hecken, Wällen und Knicks! Wir kennen solche Anblicke vom Süden Englands und uns gefällt das sehr!
Wir kommen durch klitzekleine Bauernweiler mit hübschen Namen wie Carantilly, Dangy und Cerisy-la-Salle. Manchmal führt der Weg mitten durch einen Bauernhof und zwischen Heustadel und Stall vorbei und wir winken den erstaunten Leuten freundlich mit einem coolen Bikergruß. Nach einem winzigen Wäldchen stehen wir unvermutet auf einer Hochebene und halten bei der spektakulären Kirche in Montpinchon. Die 800 Jahre alte Kirche "Notre Dame" ist für die 500 Montpichonnais doch viel zu groß geraten?
Wir trinken ein paar Schluck aus der Thermosflasche und schauen eine Zeitlang in die Gegend. Rundherum gibts einen tollen Ausblick Richtung Meer! Uns gefällt der Anblick der hübschen steinernen Häuser hier, alles wirkt sehr sauber und gepflegt. Nur die Dörfer sind alle wie ausgestorben, sogar die Bar-Tabac hat noch keine Besucher! Sind die Menschen alle gerade beim Kirchgang? Jetzt bemerken wir, dass sich im Norden ein spektakuläres Gewitter zusammenbraut und wir beeilen uns lieber weiter.
Über Roncey und Trelly erreichen wir etwas später die Kleinstadt Bréhal. Das hübsche Winkelwerk enger Single-Tracks liegt hinter uns und wir brausen ambitioniert lange Geraden entlang. An den Schildern erkennen wir, dass wir uns bereits in der Nähe des Meeres befinden: "sur-Mer" ist hier die gängige Endung der Ortsnamen. Die D971 gebärdet sich wie eine gut ausgebaute Schnellstraße. Wir ahnen, dass hier nicht die ärmste Gegend der Normandie ist: Prächtige Villen links und rechts säumen nun die Straße.
Wir sind nun etwa 100 km gefahren und langsam bekommen wir Hunger. Auch Kaffee wäre schon lange dringend! Bisher im einsamen Landwirtschaftsgebiet hatten alle Cafés geschlossen, aber in Granville sollten wir doch fündig werden? Diese Gedanken beschäftigen uns, als wir gerade am Dior-Museum vorbeituckern. Der große Couturier ist hier aufgewachsen und das pastellrosa Haus seiner Kindheit wurde zur Lebenssehnsucht und Inspiration für den Künstler. Es beherbergt nun sehenswerte Ausstellungen!
Hoffnungsfroh und voller Kaffeedurst tuckern wir die schnurgerade Hauptstraße quer durch die Kleinstadt Richtung Hafen. Oh, wir sind so viel Verkehr gar nicht mehr gewohnt! In dem luxuriösen Seebad mit seinen zahlreichen Segelhäfen geht es Sonntag mittags geschäftig zu! Viele kleine Shops und Restaurants warten auf Kundschaft aber wir wollen unbedingt in der Unterstadt am Hafen sitzen!
War ein Fehler. Wie naiv kann man sein! Wir tuckern im Schritttempo die hübsche Hafenpromenade auf und ab und hoffen auf zwei freie Sitzplätze in irgendeiner Brasserie. Wir wären jetzt auch gar nicht wählerisch! Doch wegen irgendwelcher coronabedingten Abstandsregeln ist nur jeder zweite Sitzplatz benützbar und die kleinen Gastgärten sind jetzt mittags dementsprechend heiß umkämpft! Wir quetschen unsere Transalps an die Hafenkante und beraten uns.
Wie schade, dass wir hier keinen Platz finden! Dabei wäre der Blick auf den Stadtfelsen so sensationell! Wie Spielzeughäuser thronen die prachtvollen Altstadt-Villen hoch oben auf der senkrechten Felswand mitten in der Stadt! Aber was soll. Wir sind mistiger Laune, als wir das Seebad Granville Richtung Süden verlassen.
INFOBOX
Die Eroberung Englands lag noch in der Zukunft und Herzog Wilhelm (später: der Eroberer) beherrschte die Normandie. Wir schreiben das 11. Jhdt. Er schenkte der reichen Familie Grant ein paar Grundstücke, zum Dank für die Unterstützung in diversen Schlachten.
Die Grants vermehrten ihren Reichtum und bauten die Oberstadt auf dem Felsen und rundherum trutzige Festungsmauern. Die Grantville war entstanden! Ein wichtiger Wirtschaftszeit war die Lieferung von Granitblöcken ins nahe gelegene Mont Saint Michel. Dort baute man gerade an einem gewaltigen Kloster, mitten im Meer ...
Etwa 500 Jahre später verwandelte vertriebene spanische Juden die kleine Stadt zu einer vermögenden Metropole und weitere 400 Jahre später nannte man Granville wegen des prächtigen Casinos das "Monaco des Nordens".
Wir haben den Plan, nah an der Küste weiterzufahren und das klappt jetzt auch! Die D911 führt nur wenige Meter neben der Wasserkante gen Süden. Gemütlich schwingen wir die gemächlichen Kurven entlang, aber halt! Schon stehen wir in Saint-Pair-sur-Mer, einem winzigen aber hübschen Seebad am Meer. Eines von vielen an dieser Küste! Wir halten die Augen offen, denn wir brauchen wirklich dringend Kaffee!
Nur wenige Meter später landen wir in einer kleinen und ziemlich chaotischen Wein-Bar. Der Kaffee ist prächtig und gegen den schnellen Hunger tut es auch eine kleine Schokowaffel. Die Bäckerei gegenüber hat heute am Sonntag leider geschlossen. Wir halten uns nicht länger auf als notwendig und weiter geht es. Wir bleiben an der Küstenstraße, die hier schon längst "Route de la Baie" heißt!
Gemächlich schwingen wir hoch über der Bucht dahin, als es plötzlich passiert. Wir wenden den Blick gleichzeitig nach rechts und im Nebeldunst tauchen vage die Schemen des Mont Saint Michel auf. Wir halten abrupt. Was für ein unwirklicher Anblick! Eine kleine und völlig symmetrische Pyramide steht mitten in der weitläufigen flachen Bucht im Sand. Es herrscht Ebbe und das Meer ist gerade weit, weit draussen!
Jetzt geben wir Gas! Wir umrunden Pontabault und kurven auf winzigen Güterwegen, zwischen Bauernhöfen und klitzekleinen Siedlungen durchs flache Land. Polder, Sümpfe, Graslandschaft und endlose Weideflächen sind das Kennzeichen dieser ungewöhnlichen Landschaft. Hier braucht man keine Karte, kein GPS, kein Navi: Der Klosterberg liegt überall markant im Blickfeld und wir fahren einfach Luftlinie darauf zu (>> Clip)
Plötzlich erkennen wir zwischen vielen Schildern und Ankündigungen die weitläufigen Parkflächen, die sich einige Kilometer vor dem Mont Saint Michel am Festland befinden. Wir müssen auf Parkplatz P3, soviel wissen wir! Auf schnurgeraden Güterwegen finden wir die Einfahrt leicht und unser Code öffnet auch den Schranken, alles ganz problemlos!
INFOBOX
Wir wurden oft gefragt, wie die Parkplatzsituation am Mont Saint Michel ist. Es ist im Grunde ganz einfach: Parken, zahlen und dann zu Fuß (weit!) oder per Shuttlebus (gratis!) oder Pferdekutsche (nicht teuer!) über den Damm. Für Motorräder ist Parkplatz P9 vorgesehen. Wir haben die Luxusvariante gewählt: Hotelgäste haben das Privileg, auf Parkplatz P3 zu stehen. Das Privileg besteht aus einem reservierten und bewachten Platz und der Nähe zur Touristeninfo und zur Haltestelle von Bussen und Kutsche.
Wir haben nach der Buchung mit dem Hotel Kontakt aufgenommen und per Mail einen Code (für 24 Stunden um 14.-) zugesandt bekommen. Mit dieser Nummernfolge öffnet sich der Schranken. Am nächsten Tag zahlt man am Automaten bei der Ausfahrt ganz einfach mit Kreditkarte. Aber Achtung Falle! Verlässt man den Parkplatz innerhalb dieser 24 Stunden, verfällt der Code und man zahlt für einen neuen Code wieder 14.- Also "einfach schnell mal kurz wegfahren" ist nicht.
Es ist Punkt 16.00 Uhr, als wir die Motorräder abstellen und aufgeregt von den Hondas klettern. Die blitzsaubere Parkfläche ist nahezu menschenleer, wenige Gäste nutzen heute diesen Großparkplatz! Wir haben uns überlegt, was wir für eine Übernachtung dringend brauchen und nun stopfen wir Zahnbürste, Handy-Ladekabel und Ersatzakkus für die Kameras in den Tankrucksack. Die Motorräder bleiben bis morgen hier, also nichts vergessen!
Oh, wir haben uns genau erkundigt, wie man zum Klosterberg kommt! Und wir können nun Anfängerfehler vermeiden, die gewisse unerschrockene Motorradfahrerinnen bereits vor uns gemacht haben: Die 3 Kilometer lange Straße über die Dammbrücke zu Fuß gehen, in Motorradstiefeln! Nö, das lassen wir bleiben! Leider fährt die kleine Pferdekutsche "La Maringote" coronabedingt heute nicht. Das wäre zu toll gewesen, da wie im Mittelalter hinüber zu zuckeln...
Also nehmen wir einen der futuristisch anmutenden Shuttlebusse "Le Passeur", die gratis und ohne Gebühr sowie ohne Unterbrechung dauernd hin und her fahren. Unmittelbar neben unserem Parkplatz ist die Endstation dieser Transporter und einer wird auch gleich abfahren! Wir lüpfen schnell die Buffs über die Nasenspitze (Maskenpflicht!) und entern den Niederflurbus. Der Bus ist nur zur Hälfte besetzt und wir sind uns sicher, dass wir das Corona zu verdanken haben ...
Der Bus setzt sich schwerfällig in Bewegung und die Aufregung unter den Fahrgästen steigt spürbar an. Wir passieren ein paar ziemlich touristische Restaurants und einen Campingplatz und plötzlich passiert es (>> Clip). Freie Sicht auf den berühmten Mont Saint Michel. Es ist unglaublich! Mystisch! Im Bus wird es still, Kameras werden gezückt und Fotoapparate in Anschlag gebracht. Wir rollen lautlos über die Dammbrücke, die ein Meister aus Österreich vor wenigen Jahren konstruiert hat. Das Alpenland verfügt über den sozusagen berühmtesten Deichbauer der Welt!
Die Fahrt dauert 12 Minuten. Etwa 300 Meter vor dem Eingang spuckt uns der Shuttlebus aus. Wir stolpern ins Freie und verharren schweigend an Ort und Stelle. Es ist un-fass-bar, welcher Anblick sich uns bietet. Weit hinter uns das Festland, rundherum pastellfarbenes Watt, so weit das Auge reicht. Und unmittelbar vor uns: Minas Tirith! In Echt und in Farbe! (Später werden wir lesen, dass die CGI-Künstler von "Herr der Ringe" nach dieser Vorlage die "Weiße Stadt" schufen.) Mont Saint Michel ist das unglaublichste, beeindruckendste und phänomenalste Bauwerk, vor dem wir je standen! Es macht schier sprachlos. (>> Clip)
Wir können uns an dem unwirklichen Anblick kaum sattsehen. Die senkrechten Felswände, trutzige normannische Mauern, eng aneinandergedrückte Steinhäuser und schwindelerregend hoch oben die Abtei, wegen der dieses Wunderwerk vor etwa 1000 Jahren errichtet wurde. Einige kleine Pilgergruppen stapfen eifrig 7 km durch den Sand Richtung Festungsberg. Eine Gruppe Reiter versammelt sich, um den Berg zu umrunden. Was für eine Stimmung! Wir fühlen uns ganz winzig im Schatten dieses unfassbaren Anblicks.
INFOBOX
Mont Saint Michel ist eine Abtei auf der Spitze eines etwa 100 m hohen Felsens draussen im Watt, an der Mündung des Couesnon. Links ist die Bretagne, rechts die Normandie. Baubeginn war in der Normannenzeit um etwa 1020. Über die Jahrhunderte vereinten sich zahllose Baustile auf dem Mont.
Bereits vor 900 Jahren mauserte sich das spektakuläre Kloster zur internationalen Pilgerstätte und eine kleine Stadt entstand rundherum. Zahlreiche Orden wirkten hier - es gab nur eine Unterbrechung: Nach der Revolution ab 1790 wurde die Abteil säkularisiert, die Mönche vertrieben und für 7 Jahrzehnte wurde ein besonders grausliches und gefürchtetes Gefängnis eingerichtet: Alcatraz in Frankreich! Das Kloster verfiel und die Menschen wendeten sich mit Furcht davon ab. Erst 180 Jahre später sollten Frömmigkeit und Pilgerströme wieder zurückkehren.
Gegen Ende des 19. Jhdt. erkannte man den Schatz, den man hier hat und sanierte den mittlerweile verstaatlichten Klosterberg. Eine Straße durchs Watt musste her, um zu jeder Zeit die Stadt erreichen zu können! Der 1877 gebaute Damm führte über die Jahrzehnte zu einer langsamen Versandung der Insel, da das Wasser nicht mehr rundherum fließen konnte. Man erkannte das Problem und 2014 wurde der neue Damm, eigentlich eine Brücke eröffnet. Die wird sogar manchmal überschwemmt! Nun ist der Mont Saint Michel zumindest ein paar Stunden im Jahr wieder eine richtige Insel. Hier gibt es die stärksten Gezeiten ganz Europas (!) und berüchtigte Springfluten, die mit ihren Gezeitenwellen als besonders magisches und sehenswertes Erlebnis gelten!
Gemessenen Schrittes schlendern wir zum Haupteingang, der einem Burgtor gleicht, mit meterdicken Mauern und einer eisernen Zugbrücke. Wir sind in der Stadt, in der 30 Einwohner täglich 10.000 Gäste empfangen. Doch die jährlich 3,5 Millionen Touristen sind heute nicht da: Nur eine Handvoll Gäste stolpert über das uralte Kopfsteinpflaster und schlendert durch jahrhundertealte Gassen. Wir tun es ihnen gleich, wir suchen jetzt unser Hotel. Wir müssen die klobigen Motorradsachen loswerden!
Wir müssen nicht weit über die mittelalterliche Hauptstrasse und schon geht es bergauf. Steil bergauf! Die Stadt ist in Etagen um die Abtei angeordnet, das bedeutet steile Stufen, steile Wege, enge Gassen, hohe Häuser (>> Clip). Nachdem wir keuchend in der Rezeption unseres Hotels eingecheckt haben, müssen wir noch höher hinauf.
Unser Gästehaus liegt noch einige Häuserzeilen darüber. Und nicht genug, das Zimmer ist noch dazu im 3. Stock! Wir sind völlig erledigt, als wir endlich aufs Bett fallen und uns für einen Moment aus den schwitzigen Klamotten winden.
Einen schnellen Kaffee aus der teuren Kaffeemaschine am Zimmer und eine ebenso schnelle kalte Dusche später legen wir wieder unsere Klamotten an und los gehts! Wir stapfen durch die Stadt und kommen durch enge Häuserschluchten immer höher. Die An- und Ausblicke sind schwer zu beschreiben! Hinter jedem Haus schwebt in luftiger Höhe der Turm der Abtei, hinter jeder uralten Steinmauer schimmert das perlmuttrosa Watt im Hintergrund.
Plötzlich stehen wir am Eingang zur Abtei. Es ist 17.30 Uhr und es wird gerade geschlossen! Sind wir enttäuscht? Nein. Wir haben schon unzählige Kirchen besichtigt und hier ist es mehr die Anlage des Klosters auf dem Felsenberg und die sprachlos machende Aussicht, die uns fesselt! Superlative wirken dürftig und auch unsere Fotos werden unsere Eindrücke nicht wiedergeben können, als wir unzählige steile und enge Treppenkonstruktionen wieder hinuntersteigen ...
Langsam wird es finster. Jetzt beginnt unsere Zeit! Deswegen haben wir hier ein Zimmer genommen und dabei - so ehrlich muss man sein - keine Kosten gescheut! Die letzten Shuttlebusse verlassen die Insel, Touristen wandern über die Dammbrücke zu ihren Campingplätzen und die wenigen Gäste sind längst in klitzekleinen Restaurants verschwunden. Jetzt gehört die Stadt uns alleine! Es ist zu toll! Ja, hier ein Zimmer zu nehmen, richtig Kohle abzudrücken und dafür den Klosterfelsen in der Nacht ganz alleine und verlassen zu erleben, das ist ein echter Pro-Tipp!
Wir gehen und schauen und staunen. Nichts hier ist moderner als 500 Jahre! Wir finden die kleine Kirche der Einheimischen, eigentlich nur eine Kapelle mit dem klingenden Namen "Eglise St. Pierre" und betreten vorsichtig das Dunkel. Meine Güte! So eine einfaches, schlichtes und pure Volksfrömmigkeit verströmendes Gotteshaus fanden wir selten! Zwei Menschen sind tief ins Gebet versunken und wir sind bemüht, nicht zu stören. Wir bestaunen die mittelalterlichen Kunstschätze, die in dieser 1200 Jahre alten Gemeindekirche ohne besondere Anordnung verstreut sind.
Die Dämmerung taucht das lebende Mittelalter in rosa Licht, als wir ein kleines Restaurant suchen. Das "Mouton Blanc" hat sogar eine Terrasse! Man sieht über das Watt bis ans Festland und ober uns leuchtet der vergoldete Erzengel Michael auf der Turmspitze im Abendrot. Eine unwirkliche Situation! Das Besondere des Moments wird vom vorzüglichen Essen noch getoppt. Wir schauen heute nicht auf die rechte Spalte der Speisekarte. Heute soll es uns gutgehen!
Es ist kalt geworden und wir schlüpfen in unsere Motorradjacken, als wir den schmalen gepflasterten Weg nochmals hinaus aus dem Burgtor antreten. Wir wollen dieses unvergleichliche Baujuwel von außen sehen, in nächtlicher Beleuchtung! Wir gehen ein paar Meter über den Damm ins Watt hinaus, um die Größe erfassen zu können. Es ist ein irrer Anblick, kolossal, sa-gen-haft! Ein Eindruck, der bleibt.
Langsam durchschreiten wir wieder das Tor in den normannisch-trutzigen Mauern. Wir sind müde geworden. Doch halt! Was ist hier los! Gleich hinter dem Eingang ins Innere der Stadt, im "Hof der Bürgergarde" neben der steinalten Zugbrücke sitzt ein betagter Musiker am Boden und spielt auf seiner Gitarre sentimentale Weisen. Ein paar Leute stehen schweigend in dem winzigen Hof und wiegen sich im Takt der Musik. Eine junge Frau sitzt neben ihm am Boden und betet ihn geradezu an.
Wir setzen uns in eine Nische in der Mauer und lauschen. Es ist schwer zu beschreiben aber es ist eine vollkommen unwirkliche und eindrucksvolle Situation. Die mittelalterliche Kulisse, die uralten Gemäuer, hoch darüber die nächtlich beleuchtete Abtei, die Stille und die wunderbaren Klänge, die in die Nacht hinaus wabern...
Gute Nacht!
Tageskilometer: 160 km
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