19. Tag: La Salle - Aostatal - Grand St. Bernard - Bellwald

In strahlendem Sonnenschein schlürfen wir eine Tasse Kaffee auf unserer Hüttenterrasse. Es hat schon 22°C und es wird heute noch wärmer! Weil wir nur einen mächtigen Höhepunkt vor uns haben, trödeln wir ziemlich herum, bis wir um 10:00 Uhr die Transalps die steile Ausfahrt hinunter wuchten. Vorsichtig! Der Schranken geht nur sehr langsam auf!

Wir rollen aus dem Camp und fädeln uns auf der SS26 ein. Die Straße führt längs durch das Aosta-Tal. Die Gegend ist berühmt für ihre beschaulichen Dörfer und Weinberge. Wir können nur vage Blicke in die Umgebung werfen, denn heute Freitag mittags ist hier die Verkehrshölle los! In einer fast durchgehenden und nur selten unterbrochenen Kolonne tuckern wir das Tal entlang.

Unzählige "Domaines" säumen den Straßenrand. Jede kleine Fremdenpension hat bunte Trauben an die Hauswand gemalt. Es ist ein schönes Tal, in dem die Hügelketten links und rechts in endlose Terrassen für Weinstöcke gegliedert sind. Allerdings ist auch jedes Dorf, jedes Plätzchen bis zum Anschlag auf Tourismus frisiert. Reisebusse wechseln mit Wohnmobilen. Es ist eine anstrengende Fahrt.

Wir sehen kleine und abgewohnte Örtchen am Ufer des kleinen Flusses Dora Baltea, der das Aosta-Tal durchfließt. Haben doch nicht alle Anteil am Reichtum der Region? Zahlreiche Burgruinen auf den Hügeln zeugen von einer auch ehemals guten Verdienstmöglichkeit für die Eigentümer in diesem engen Tal.

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Auch in alten Zeiten gab es schon Wegemaut, Straßenmaut, Überfuhrmaut, Brückenmaut, Kanal- und generelle Passiermaut. Das ist keine neue Erfindung von Ministern in Geldnot! Um den Wucher zu unterbinden bestimmte schon Kaiserin Maria Theresia 1775 in Österreich, dass Mauteinnahmen "zweckgebunden für die Erhaltung von Straßen und Brücken verwendet werden" müssen. Eine Strategie, die 222 Jahre später wieder aufgegriffen wurde und uns nun zum Kauf von Autobahn-Vignetten zwingt. Etwas, das zB. in Deutschland vor vier Jahren nach einem EU-Klagsverfahren gescheitert ist. Aber genug davon!

Wir stauen nun schwitzend durch den namensgebenden Ort Aosta und halten die Augen offen. Wir müssen noch am Triumphbogen des Kaisers Augustus vorbei, den er vor fast 2.000 Jahren hier errichten ließ, und schon sehen wir unsere Abzweigung. Achtung, da vorne scharf links!

Die SS27 führt langsam aber stetig in weiten Schwüngen bergauf in die Berge. Der Verkehr hat spürbar nachgelassen und wir gewinnen den Spaß am Fahren zurück. Außerdem haben wir Hunger! Die bröseligen Keksreste aus dem Tankrucksack waren kein adäquates Frühstück! Halten wir die Augen offen, obs hier etwas gibt!

Ein paar schöne Kehren bringen uns schnell höher hinauf. Schon sehen wir die schneebedeckten Bergspitzen der Schweizer Alpen mit ihren berühmten Gletschern. Die Dörfer tragen allesamt französische Namen und nur die typisch italienischen Häuschen mit ihrer quadratischen Form, ihrem ockerfarbenen Anstrich und ihren Flachdächern erinnern uns, dass wir in Italien sind.

In Saint-Oyen wedelt Didi das allgemein bekannte Zeichen für "Kaffeepause!". Das Lokal da rechts nehmen wir! Nur kurz später hocken wir ein bissl ratlos im hübschen Gastgarten des "Croix Blanches". Ist das hier elegant? Warum die weißen Tischdecken? Oder seid ihr nur eine kleine Imbiss-Bude? Werden wir hier bedient?

Wenn wir nicht so ausgehungert wären, wir wären weitergefahren. Das Service war geradezu legendär uninteressiert und es kostet uns Mühe, dem Kellner Panini und Kaffee aus dem Bauch zu leiern. Dabei sprechen wir sogar die Landessprache!

Von der Jause sind wir aber begeistert. Wir bekommen dick belegte Brote mit kalter Porchetta, Büffelmozzarella und Senf und zahlen inklusive Getränke und Kaffee nur 21.-! Wir verlassen diesen Ort dennoch mit dem unangenehmen Gefühl, im Gegensatz zu befreundeten Stammgästen nicht erwünscht gewesen zu sein. Sehr seltsam!

Die SS27 macht langsam Ernst und nimmt an Steigung zu. Unsere guten alten Transalps lassen sich von Alpenstrecken nicht beeindrucken und bollern vertrauenserweckend und unbeeindruckt immer weiter hinauf.

Da vorne ist die Abzweigung in den Tunnel! Nö, heute nicht. Heute fahren wir über den Pass! Auf den Col du Grand Bernard haben wir uns wirklich gefreut!

Die Baumgrenze lässt nicht lange auf sich warten! Wir kreuzen die Autobahn, die sich hier in beeindruckenden Trassen und Gallerien wie ein Wurm aus Beton durch die Berge schlängelt.

Wir hingegen kurven bedächtig die kurvige SS27 bergauf. Was für eine großartige, karge, beeindruckende Landschaft! In weiten Schwüngen geht es auf den Pass.

Ganz kurz halten wir am Straßenrand, um die kommende Strecke abzuchecken. Man sieht von hier aus, wie sich das schmale Band den Bergrücken hinauf windet und oben zwischen den Felsen verschwindet. Der Col du Grand Saint Bernard hat nicht zuviel versprochen!

Die Kehren sind mit Stützmauern an die Felswand montiert. Bei manchen empfiehlt sich sensiblen Gemütern, lieber nicht über den Rand zu gucken. Nur ein kniehoches Mäuerchen trennt den achtlosen Fahrer vom Abgrund. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Motorradreise schnell und nachhaltig zu beenden!

Als wir über eine kleine Hochebene rollen, denken wir schon, den Pass erreicht zu haben. Aber nein! Da vorne sehen wir weitere Kehren, Auffahrten und eine düstere Lawinengallerie, die nahezu himmelwärts führt. Es geht weiter hinauf? Führt die SS27 wirklich über den Gipfel? Ein italienischer Radfahrer konstatiert dazu trocken: "Die Tatsache, dass man nicht ganz versteht, wo der Gipfel ist, ist etwas entmutigend."

Nur einen kurzen Moment lang denkt Angelika an den Dalsnibba in Norwegen, an dem sie 2019 so kläglich gescheitert ist. Zu ausgesetzt war diese Straße und es gab einfach kein Weiterfahren. Doch das mulmige Gefühl ist schnell abgeschüttelt. Sowas hier kennen wir. Die Alpen sind unsere Heimat und sehr vertraut!

Doch bevor es "entrisch" wird, stehen wir schon an dem hübschen Gipfelsee, der tatsächlich noch teilweise zugefroren ist. Leider hat der kleine Imbiss heute Freitag geschlossen. Ein Kaffee an der italienisch-schweizerischen Grenze wäre toll gewesen!

Noch ein paar Meter weiter durch die kleine Talsenke auf über 2.400m Seehöhe. Schon tuckern wir zwischen den wuchtig-schmucklosen Häusern des berühmten Hospiz durch und halten an. Ein scharfer Wind bläst uns kalt um die Ohren. Wir setzen die Helme nicht ab.

Was für ein grandioser Aufstieg zu diesem geschichtsträchtigen Passübergang und nun ist alles geschlossen!? Der Grand Bernard ist touristenfreie Zone! Kein Rummel wie am Stilfser Joch. Das finden wir doch sehr überraschend. Vermutlich ist dieser Pass nicht berühmt genug? Das ist allerdings noch überraschender! Die Römer, Bischöfe, Napoleon, alle waren da und die Hunderasse "Bernhardiner" wurde hier erfunden!

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Seit den Römern ist das der wichtigste Passübergang von Italien nach Gallien und ins Rheinland. Habt ihr mal Caesars Bücher "Über den Gallischen Krieg" gelesen? In seinen Notizen beschrieb der Feldherr bereits die Schwierigkeiten der Passüberquerung.

Es folgten Flüchtlinge, Kreuzritter, Missionare, der Bischof von Canterbury und Pilger auf dem Weg nach Rom. Die SS27 "Via Francigena" war die Hauptstraße aus dem Frankenreich. Auch Napoleon ritt mit seinen Truppen über diesen Pass und kehrte im Hospiz ein. Sein wohl berühmtestes Bild zeigt ihn heldenhaft zu Pferd auf den Col du Grand Saint Bernard! (Tatsächlich war es nur ein geführtes Maultier, aber egal.)

Das große "Bernhardhospiz" ist seit 1050 in Betrieb. Bekannt für die Gastfreundschaft der Mönche war es jahrhundertlang Anlaufstelle müder Wanderer. Diese Gastfreundschaft wurde allerdings jahrhundertelang ausgenutzt, so dass die Übernachtung heute etwas kostet. Im Haupthaus dürfen traditionell nur Fußwanderer übernachten. Motorisierte können im Anbau ihr Matratzenlager aufschlagen.

Die hier lebenden Mönche haben vor ca. 200 Jahren die Hunderasse "Bernhardiner" entwickelt und als Lawinensuchhunde gezüchtet! Heute sind sind sie zu groß und schwer dafür. (Die Hunde, nicht die Mönche.) Legendär wurde "Barry" (1800-1814), der alleine 40 Menschenleben gerettet hat!

Während einer kleinen Pause lesen wir all das, während uns eine Horde Neureicher in ihren Ferraris die Laune vermiest. Irgendeine Gruppenausfahrt ist im Gange und unzählige dieser Autos kurven mit brüllenden Motoren von der Schweiz den Pass herauf und halten nur Zentimeter neben uns. Man trägt Pastellfarben und Sonnenbrillen bei dunklen Wolken. Alles für das perfekte Selfie bei laufenden Motoren.

Meine Güte, wie nervig das ist! Wir haben genug gesehen. Fahren wir weiter!

Die Abfahrt gestaltet sich langwierig und ja, auch ein wenig öde. Die spektakulären Kehren sind bald vorbei und es folgt eine unendliche Landstraße, die meistens in Tunnels und Gallerien verschwindet. Kilometerlang haben wir keinerlei Aussicht auf die Bergwelt! Langsam werden wir müde.

Die sagenumwobene ehemalige Ski-Station Super Saint Bernard haben wir leider übersehen. (Wir waren von der aus dem Untergrund auftauchenden Autobahn so fasziniert!) Für Freunde der "lost places" ein lohnender Besuch, vor allem die Bergstation! Seit dem ungeplanten Ende 2010 ist hier von einem Tag auf den anderen die Zeit stehengeblieben.
Die Schweizer konnten sich - anders als die Franzosen - mit einem Retortenskigebiet nie anfreunden.

Mit jedem Kilometer talwärts wird es heißer. Als wir in Sembrancher angekommen sind, zeigt das kleine Motorradthermometer 35°C. Puhhh! Wir schwitzen in unsere Motorradjacken, als wir auf den großen Parkplatz des Migros-Supermarkts einbiegen. Wir brauchen Abendessen und einen Kaffee!

Mit zwei gut gefüllten Topcase erreichen wir später Martingy im Unterwallis. Wir wollen nun durch das Rhone-Tal nach Osten. Eigentlich müssen wir, denn die Route SS9 ist alternativlos! Das sagen wir uns auch, als wir durch Sion, Sierre und Visp stauen. Es ist unfassbar, was hier für Verkehr herrscht! Ob das immer so ist oder nur am Freitag nachmittags?

Die Gegend im Wallis ist ganz nett. Links und rechts die langgezogenen Hügelketten voller Weingärten und die ein oder andere Burg ist zu sehen. Aber wir können kaum den Blick von der Straße nehmen. Zuviel Verkehr! Wir unterbrechen die Fahrt nur einmal bei Sierre. 

In einem winzigen italienischen Straßenlokal "O´Grignou" nutzen wir während eines Espresso das gute WLAN zur Orientierung. (Der Preis dafür ist offenbar im Kaffee inbegriffen, denn anders lassen sich 3,60.- für einen Schluck brauner Brühe kaum erklären.) Es ist finanziell nicht ratsam, in der Schweiz unsere Smartphones zu nutzen! Ähnlich wie auf Fähren, wenn man aufs Fähren-Internet angewiesen ist. Eigentlich ist dies ein Anfängerfehler, den man nur einmal macht...

Am frühen Abend landen wir in Brig-Glis im Oberwallis. Einer chaotisch angeordneten Kleinstadt mit zuviel Kreisverkehren und zuviel Verkehr, dafür zuwenig Schildern und Beschriftungen. Kein einziger Wegweiser deutet ansatzweise in die Richtung, in der lt. Karte unsere Unterkunft liegt! Wo - verdammtnochmal! - ist hier das Gomsertal?!

Nach einer Stunde des planlosen Herumirrens stranden wir bei einer Tankstelle. Bei einem Automatenkaffee erhalten wir bereitwillig Auskunft. Wir lagen gar nicht so falsch, nur die vielen Kreisverkehre, Tunnels und Unterführungen haben unsere Richtung verwirrt!

Nun kurven wir auf der SS19 "Furkastraße" durchs schmale Gomsertal. Wir kurven müde weiter die Rhone entlang, die hier tief unter uns als Wildbach dahinrauscht. Als wir fast schon nicht mehr daran glauben, erblicken wir eine winzige Straße, die steil in die Berge führt. (Das längst verblasste Schild "Bellwald" werden wir erst morgen entdecken.) Wir heben die Köpfe. Da hinauf?

Eine absurd steile Straße windet sich den Berghang hinauf und ganz oben am Gipfel erkennen wir - wenn wir die Augen zukneifen - ein paar Häuschen. Ist da oben wirklich Bellwald? Unsere Karte führt uns ziemlich in die Irre: Wir dachten, unsere Unterkunft wäre im Tal!

Es sind viele enge Kehren auf dieser schmalen Ortsstraße, die nicht breiter als ein Single-Track ist. Plötzlich kurven wir an wuchtigen, schweren Höfen vorbei, die vor kurzem noch hoch über unseren Köpfen lagen. Eine spektakuläre Zufahrt zum Familienpark Bellwald! Wir sind nun auf 1.560m Seehöhe.

Und wieder haben wir Probleme, zwischen den Häuschen aus verwittertem Altholz unseren Weg zu finden. Zuviele Ferienhäuser und Ferienwohnungen, die einander ähneln und keine Straßenbezeichnungen führen! Wir werden aus dem Dörfchen nicht schlau. Wo sind die 300 Einheimischen? Keine Menschen auf der Straße, die man fragen könnte! Es ist mehr Zufall, dass wir plötzlich vor unserer Unterkunft stehen.

Es ist schon 18:45 Uhr, als wir anonym mit Code einchecken. Eine bunte Karte liegt auf unserem kleinen Tisch: "Herzlich Willkommen! Wir wünschen Euch einen erholsamen Aufenthalt bei uns in Bellwald! Liebe Grüsse Eva, Daniel und Team" Das ist aber ein netter Gruß!

Wir haben Jause, wir haben Wein. Und weil es zu regnen beginnt und schnell kalt wird, verbringen wir den Abend auf unserer Terrasse. Die Pizzeria im Erdgeschoß hat geschlossen. Wir sind die einzigen Menschen hier am Berg. Es ist sehr ruhig und einsam...

Tageskilometer: 225 km

Hier gehts weiter Richtung Heimat: >> klick

Ein historischer Passübergang!

End-of-the-Road Blues

AOSTA! Der Name ist hier in jedem Supermarkt präsent. Aosta ist DIE Wurstsorte. Bekommt man davon etwas mit in der Gegend?

< "Die Tatsache, dass man nicht ganz versteht, wo der Gipfel ist, ist etwas entmutigend."
Diese Selbstgeißelung beobachte ich jedesmal wieder mit Unglauben. Man kapiert es nicht, oder?!

Die Unterkunft zum Ende der Etappe sieht rustikal aus. Wie schade, die No-Stress-by-Eva Pizzeria zu hatte, aber ihr habt ja immer etwas Gutes an Bord :-)

Man kann förmlich den End-of-the-Road Blues der Reise spüren. Ja, das Gefühl kennt man nur zu gut. Lieber würde man sich nach Hause beamen und noch voller Urlaubsglück wieder daheim ankommen.

Antw.:End-of-the-Road Blues

Aosta is ne Wuuurst?! Noch nie gehört. :-) Und wohl am allerwenigsten im gleichnamigen Tal mit dem vielen Verkehr. :-)))

Danke fürs Mitreisen!
Geli

Lost Places

Hallo! Ich bin ein großer Fan von Lost Places und ich war schon in dieser Skistation. Da habt ihr wirklich etwas versäumt. Vielleicht beim nächsten Mal?
LG Martina

großer bernard

danke für die inspiration! dieser pass war noch nie auf meinem radar und ich weiß gar nicht, warum.
tolle fotos!
dlzg der rider

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zuletzt aktualisiert am 17.4.2024