Um Punkt 10:00 Uhr drücken wir auf den Startknopf. Wir haben sensationell tief geschlafen und der Rotwein von gestern Abend war daran vermutlich nicht ganz unbeteiligt. In den Morgenstunden haben wir schnell unsere Route umgeplant, denn der Col de la Bonette ist auf der Südrampe wegen eines Radrennens gesperrt!
Es wird daher eine sehr kurze Fahrt aber noch ahnen wir nicht, wie sehr uns Radrennen auf dieser Reise noch knechten werden...

Wir fahren heute über den Col de la Cayolle! Er ist die einzig offene Nord-Süd-Verbindung und das stört uns kein bisschen. Wir haben diesen Pass vor zwei Jahren geliebt! Einsam, relativ untouristisch und unberührt. Es hat in Strömen geregnet aber heute haben wir perfektes Motorradwetter und 17°C, also los! Aber vorher müssen wir noch einkaufen und frühstücken!
Im strahlenden Sonnenschein rollen wir acht Kilometer nach Barcelonnette. Das von mexikanischen Rückkehrern gegründete Dorf mit den fremdländisch aussehenden Villen gefällt uns immer wieder. Wir kennen den Weg und halten nur Minuten später beim örtlichen Carrefour-Markt. Hier gibt es die leckere handgemachte Nuss-Salami und die wollen wir fürs Abendessen kaufen!
Französische Supermärkte sind eine wahre Fundgrube an köstlichen Dingen und so zerren wir kurz darauf einen schweren Sack ins Freie, dessen Inhalt wir kunstvoll auf zwei Topcase verteilen. Wir freuen uns jetzt schon auf die Jause am Abend! Weißt du was, wir haben keinen Stress. Gehen wir noch auf einen Kaffee und einen Frühstückssnack!

Nur wenige Ecken weiter kennen wir das "Café de la Paix" und dort finden wir einen wackeligen Tisch im Freien. "Café" ist ein wenig irreführend für dieses "Tschecherl" aber der Kaffee schmeckt und die ortsansässigen Alkoholiker sind gut gelaunt.
Auch der greise Clochard, der Angelika mit zittriger Hand ein paar Münzen in die Hand drückt. Ob sie für ihn bitte 3 Stk. Zigaretten kaufen könnte? Vermutlich hat er Lokalverbot. Natürlich kann Angelika und er zieht glücklich mit seinen 6 Glimmstängel von dannen.
Erstaunlich, wieviel Alkohol manche an einem Montagvormittag vertragen! Nur Snack bekommen wir keinen, die Sandwiches sind erst ab Mittag erhältlich. Ärgerlich aber nun gut, wir finden im Gepäck noch eine Packung zerbrochene Kekse. Pünktlich, als der Bäcker die Brötchen liefert, brechen wir auf. Es ist 12:00 Uhr und wir freuen uns auf die - zugegeben nur kurze - Tagesetappe!

Die D902 ist überall angeschrieben und nur Minuten später cruisen wir entspannt durch Uvernet-Fours und hinein ins schmale Tal, das der wilde Bachelard über unzählige Ewigkeiten in den Berg gefräst hat. Schnell wird es kurviger und die schmale Straße steigt stetig an. Von der Ferne grüßen schon die schneebedeckten Gipfel der Hautes Alpes!

Und ganz plötzlich können wir uns erinnern! Hier sind wir 2023 schon entlang getuckert! Der Weg ist schmal, felsig, Gesteinsbrocken liegen auf der Fahrbahn. Die Steinschlag-Warnschilder haben hier einen Sinn! Rechts unter uns der kleine Wildbach und die Schlucht wird immer enger. Wir genießen jede einzelne Kurve, die wir vorsichtig entlang zirkeln!

Ganz plötzlich rollt Angelika am Straßenrand aus. Und noch bevor Didi fragen kann, ob etwas passiert ist, packt sie schon die neue DJI Neo aus. Hier ist Drohnenrevier! Sie hatte das Ding bereits vorsorglich um den Hals gehängt, so dass ein Handflächenstart vom Sitz aus schnell und problemlos möglich ist. Wir müssen nur aufpassen, dass die Neo nicht an die Felswände knallt oder in den Bachelard abstürzt!

Wir lassen die Minidrohne von der Leine. Hoch, weit, im Kreisel und wir hoffen, dass uns das schöne Fotos aus neuen Perspektiven bringt! Kurz später tuckern wir gemächlich bergauf. Schau, unter dem schütteren Bäumchen haben wir vor zwei Jahren Schutz vor dem Regenguss gesucht! Und ganz plötzlich Schnee links und rechts!

Die letzten Serpentinen fahren wir durch eine wunderschöne, dramatische Winterlandschaft. Da ist schon der Markstein für die Passhöhe! Leider stehen schon zwei Schweizer Cabrios daneben. Hergottnochmal, müssen die im Fotomotiv parken? Stellts eure überteuerten Protzkisten doch ein paar Meter weiter ab!

Es ist genau 13:00 Uhr, als wir die Motorräder an den Straßenrand stellen. Doch die Gegend hier heroben ist so schön, dass unser Zorn schnell verfliegt und außerdem reisen die Schweizer ab.

Wir machen eine Menge Fotos, mit Drohne und ohne und wandern ein bissl herum. Immer unser kleines Reisefernglas im Anschlag, um die Murmeltiere zu entdecken, deren schrilles Pfeifen von den Felswänden widerhallt.

Zwei deutsche Motorradjungs gesellen sich zu uns. Ob wir mehr über die Sperre des Col de la Bonette wissen? Der eine war noch nie oben und kam nur deshalb heute hier rauf. Nö, heute geht nichts. Die Überfahrt ist wegen Sperre der Südrampe nicht möglich. Die beiden beraten immer noch, als wir unsere Kekse wegpacken und uns langsam auf den Weg machen.

Das ist das Gute an extrem kurzen Tagesetappen! Man kann überall für eine Kekspause stehenbleiben und die Zeit verrinnt zähflüssig! Nach zwei Stunden verlassen wir diesen schönen Ort und es geht sogleich kurvig und steil bergab. Diese Strecke fuhren wir beim letzten Mal bei Starkregen und wir müssen zugeben, bei Postkartenwetter macht die Gegend einige Punkte wett!

Die Straße ist schmal, felsig und extrem kurvig, bis wir durch das ausgestorbene Bergdorf Entraunes tuckern. Da vorne weitet sich das Tal schon, wir sind gleich da! Unser Ziel ist Guillaumes, eine hübsche Winzigstadt am südlichen Ende des berühmten Col de la Bonette. Kurz später rollen wir durch das bunte Dörfchen, das von einer ehemals finsteren Burg bewacht wird. Die Ruinen sind von jedem Punkt des Orts gut zu sehen.
Es ist 15:00, als wir am Hauptplatz ein schönes Straßenlokal entern. Zum Glück ist ein Schattenplatz frei! Wir haben so einen Hunger, das Leider-nein-Frühstück in Jausiers ist schon drei Stunden her! Wir haben keine Lust auf Experimente und ordern einfach Fish´n Chips.
Wir schwitzen bei 28°C, es ist unangenehm feuchtwarm. Aber wir sind gleich in unserer Unterkunft, die ist gleich da vorne! Fahren wir los? Doch kaum haben wir unser Motorradzeug angelegt, stockt der Verkehr auf der kleinen Hauptstraße. Und kommt zum Stillstand. Binnen Sekunden ist Guillaumes eine Verkehrshölle. Wir latschen zurück zu unserem Sitzplatz und setzen uns wieder.

Was ist da los? Ein Unfall? Langsam verbreitet sich die Tatsache unter den Gästen: Da vorne quert ein Radrennen! Wir schauen uns erstaunt an. Haben wir den Col de la Bonette heute nicht wegen dieses Radrennens storniert? Ja aber die Radfahrer haben ihre Bergetappe hinter sich und brausen jetzt quer durch Guillaumes. Sie versperren uns die letzten 1,2 km zum Quartier.
Nun, es gibt blödere Zwangspausen als im Gastgarten eines Restaurants zu sitzen! Wir ordern noch Kaffee und was Süßes. Immer mehr Motorradfahrer stossen zu uns. Guillaumes ist derzeit eine Sackgasse! Irgendwann wird es uns zu dumm und wir fragen Google nach den französischen Verkehrsinfos des "Nationalpark Mercantour". Tatsächlich! Die D2022 ist bis 16:30 zu. Aus, Stopp, Ende Gelände. Wir verbreiten die hilfreiche Nachricht unter den Motorradfahrern und bestellen noch Kaffee.
Wir lesen über den "Ars Sonora", den schönen Glockenbrunnen vor dem Lokal, der uns bereits beim letzten Mal aufgefallen ist. Ein Musikbrunnen, dessen 16 Glocken eine besondere Bedeutung haben! Wie zum Dank für unser Interesse spielt das Glockenspiel jetzt eine schöne Melodie.
Infobox: Glockenbögen in Frankreich
Vielerorts in Frankreich entschied man sich, Glockenspiele nicht mehr schamhaft in Kirchtürmen zu verstecken, sondern nach japanischem Vorbild zu einem eigenen Kunstwerk zu machen. Das Kunstprojekt Ars Sonora wurde vor 25 Jahren geboren. Glockenspiele sollen überall als Kulturerbe Begegnungen fördern und Bezugspunkt eines Ortes werden. Die verwendeten Paccard-Glocken gelten wegen ihres Klangs als "Stradivari unter den Glocken".
Vor 10 Jahren weihte man den 9 Meter hohen "Campanile" in Guillaumes ein, der unzweifelhaft zum Wahrzeichen des Dorfes wurde. "Jede Glocke trägt den Namen eins Weilers in Guillaumes. Das Wasser steht die Quelle des Lebens und der Turm für die Freiheit, die die Guillaumois im Laufe der Jahrhunderte erlangt haben. Ein lebendiges Kunstwerk, das der Bevölkerung Harmonie vermitteln wird," so der stolze Bürgermeister.
Glocken haben Bedeutung! Wer kennt nicht die triumphale Rückkehr der "Pummerin" in den wiederaufgebauten Wiener Stephansdom, nur sieben Jahre nach dem Krieg, als 1 Million Österreicher ihre Glocke "nach Hause begleiteten". Wir erinnern uns an das Winterkriegsmuseum "Raatteen Portti" in Finnland, dessen Mahnmal mit 105 kleinen Glöckchen an 105 Kriegstage erinnern soll. Auch in Lolland/Dänemark und sogar am Stift Melk/Österreich haben wir schon akustische Denkmäler bewundert.
Viel, sehr viel später geht es weiter und nur wenige Augenblicke später rollen wir vor das hübsche Anwesen unseres Gastgebers. Der launige Typ empfängt uns mit strahlendem Gesicht und reicht sofort ein kleines Willkommensbier. Sein Auto hat er bereits aus dem Carport gefahren, wir sollen doch komfortabel im Schatten stehen!
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Ein Wohnwagen! Wir schlafen heute in einem Wohnwagen! Noch nie sahen wir so ein Gefährt von innen, denn auf vielen unserer Reisen sind Wohnwägen quasi der natürliche Feind von uns Motorradfahrern. Wir erinnern uns mit bitterem Gefühl an das "Goldene Dreieck" auf den Lofoten voriges Jahr.
Wir sind entzückt, als wir in den Caravan klettern! Er ist erstaunlich geräumig, geschmackvoll eingerichtet und die Boxspring-Betten sind ein Traum! Kein Wunder, denn der Besitzer ist selbst sechs Monate im Jahr damit in Asien unterwegs - um der dunklen Zeit in der engen "Gorges de Daluis" zu entrinnen, wenn es die Sonne monatelang nicht über die Berggipfel schafft.

Was für eine wunderbare Unterkunft! Wir genießen die große Jause, die wir vor dem Wohnwagen aufgetischt haben, die dramatische Gegend, die Herzlichkeit der Gastgeber, der schöne Caravan. Wir fühlen uns so wohl, dass wir jetzt schon planen, hier mal länger zu bleiben.
Als es nach Sonnenuntergang schnell dunkel und kalt wird, gehen wir voller Vorfreude schlafen. Morgen fahren wir eine uns bekannte Strecke, wo sich Naturwunder und menschliche Ingenieurskunst treffen...
Tageskilometer: 75 km
Morgen geht es spektakulär weiter >> klick