Wir stehen im Pyjama auf der Terrasse und nippen an einem großen Häferl Kaffee. Es ist 7:30 Uhr. Während wir den Blick über die Landschaft vor unserer Zweitwohnung schweifen lassen, freuen wir uns über den Sonnenschein. Voriges Jahr, als wir zu unserer großen Tour aufgebrochen sind, schüttete es in Strömen. Das fühlt sich heute viel besser an!
Doch halt! Wir spulen kurz zurück:
Gestern am Montag den 19.5. sind wir in Wien losgefahren. Wir haben uns viel Zeit gelassen und am Vormittag unsere schönen Transalps bepackt. Unsere Gepäckslösung begeistert uns immer noch und auch diesmal sind die Ortlieb-Rollen nur locker gefüllt.
Sogar eine violette Crit´Air-Plakette haben wir aufgeklebt! Nicht weil wir an französische Kontrollen glauben, mehr aus Stolz, mit den neuen Hondas eine "1" erwerben zu können. Mit unseren altgedienten Transalps hätten sich die Verkäufer dieser Umweltplakette totgelacht. Mit den Abgaswerten konnten wir nicht einmal die minderwertigste Plakette erstehen! Was auch nur in der Theorie wichtig war, interessiert hat es in Frankreich nie jemanden.
Gegen Abend sind wir dann einfach die B3-Donauuferstraße entlang gefahren. Von zu Hause nach zu Hause sozusagen! Nur dass unser Lieblingscafé Brunner schon Sperrstunde machte, hat uns enttäuscht. Ein Urlaubsbeginnkaffee hätte uns gut gefallen!
Wir fahren diese Strecke zwischen Melk und Linz so oft, dass sie für uns keine Besonderheiten mehr aufweist. Aber für Touristen ist die Romantikstraße durch den Strudengau sicher ein tolles Erlebnis! Aber ist das nicht oft so? Dass man die Schönheiten der eigenen Wohngegend nicht mehr erkennt? Man müsste Österreich mal mit den Augen eines Fremden bereisen...

Es ist 9:30 Uhr, als wir die Hondas starten. Klarer, blauer Himmel, Sonnenschein, 15°C. Perfektes Motorradwetter! Während Didi die Wohnung dicht macht, fährt Angelika schnell zur Apotheke am Hauptplatz. Wir brauchen noch eine "Heilsalbe für eh alles"! Die Vorjahrestour hat uns gelehrt, dass während so einer langen Motorradfahrt gesund zu bleiben, leider keine Selbstverständlichkeit ist...
Es ist sonderbar! Obwohl wir diese Strecke wöchentlich fahren, fühlt sie sich heute anders an. Es verändert etwas zu wissen, man wird abends nicht nach Hause fahren. Sondern weiter, immer weiter... Wir sind großartig gelaunt, als wir über Mauthausen und Asten auf die A1-Westautobahn bollern.

Die Transalps sind auch für lange Autobahnetappen gemacht! Der Kurzhuber schiebt gewaltig an, als wir Richtung Salzburg am Gas ziehen. Zum Tanken halten wir nur wenige Minuten. Wir haben noch den "Walserberg" vor uns und die Bayern kontrollieren ihre Grenze zum angrenzenden Schurkenstaat seit dem Herbst 2015. Zu oft berichtet der Verkehrsfunk von kilometerlangem Stau!

Doch nicht heute! Gemessenen Tempos tuckern wir auf die beiden Grenzbeamten zu, die gelassen in ihrem Häuschen stehen. Wir schauen fragend aus dem geöffneten Visier, als er uns lässig weiterwinkt und sie den Daumen hochstreckt und grinst. Danke schön, das war aber nett!
Die deutsche Autobahn, für uns immer ein Quell der Freude. Im weltweit einzigen Land ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn wird ein Überholmanöver schnell zur Mutprobe, obwohl unsere Transalps natürlich "bei den Großen" mitspielen. Das Tempo am linken Fahrstreifen ist manchmal nur mehr absurd! Doch hier gibt es einige 120 km/h-Schilder und wir halten die Hondas gemütlich auf Kurs. Langsam bekommen wir Hunger, die Frühstückszeit ist längst vorbei!

Es ist Mittag, als wir bei der Raststation "Hochfelln/Chiemgau" in eine Parklücke paddeln. Rote Sonnenschirme über Sitzgarnituren haben verläßlich eine anziehende Wirkung auf uns! Kurz später hocken wir auf gar nicht unbequemen Bänken, gucken auf unsere schönen Motorräder und mampfen köstlich saftige Bagels. Zwei Motorradpärchen aus Kroatien parken neben uns und nippen Kaffee aus Pappbechern. Ihre beiden massiven Motorräder sind schwer bepackt. Sie nehmen keinerlei Notiz von uns.
Obwohl wir heute den ganzen Tag auf der Autobahn verbringen, stört uns das kein bisschen! Man sieht die hübsche Landschaft vorbeiziehen, denn hier versperrt niemand die Aussicht mit zweifelhaften und meterhohen Lärmschutzwänden. Die Strecke fahren wir selten und die Hondas laufen stoisch mit 130 km/h dahin. Nur am Chiemsee halten wir kurz an und machen ohne abzusteigen ein Foto.

Infobox: Reichsautobahn und erstes Rasthaus
Der Abschnitt der BAB8 München-Österreich wurde noch im Nationalsozialismus errichtet. Der Spatenstich erfolgte am 21.3.1934 durch Adolf Hitler in München-Unterhaching. Entsprechend der nationalsozialistischen Idee des „Heimatschutzes“ führte man die Trassen durch die landschaftlich schönsten Gebiete des damaligen Reiches. Auch Rasthäuser sollten die Reisenden versorgen und so entstand 1937 das allererste Autobahn-Rasthaus auch als propagandistisches Vorzeigeprojekt: das „Rasthaus Chiemsee“.
Seit 2012 dient der Gebäudekomplex nach vielen verschiedenen Nutzern als Klinik für Psychosomatik. Das heutige Rasthaus, in dem wir die guten Bagels bekommen, steht nur wenige hundert Meter davon entfernt.
Bei Irschenberg verlassen wir die BAB8. Unser Plan ist, die Verkehrshölle München weiträumig zu umfahren! Über die Verkehrshölle in Bad Tölz und den Stau bei Schongau und die zahlreichen Umleitungen bei Kaufbeuren erreichen wir am frühen Abend Bad Wörishofen. Nur in Huglfing haben wir kurz angehalten, einen Biker bei der Fotosession seiner Suzuki gestört und ziemlich müde die Reste von Zaubertrank aus der Thermosflasche geschlürft.
Bereuen wir, die Autozugtickets für den Nachtzug Wien-Feldkirch zurückgegeben zu haben? Nein! Die ÖBB ist uns kein verlässlicher Partner mehr und die Abfahrtsverschiebungen bis zum Abreisetag gaben uns Recht. Wir fahren diesmal (und wohl auch die nächsten Jahre) wieder auf eigener Achse! Dauert einen Tag länger, aber wir sind unabhängig.

Es war eine mühsame Fahrt! Starker LKW-Verkehr hat uns zu oft die Aussicht genommen und die Konzentration strapaziert. Die schwüle Hitze hat die Sache nicht leichter gemacht. Wir sind völlig erledigt aber gut gelaunt, als wir durch das blumengeschmückte Kurstädtchen kurven und unser kleines Hotel "Alpenrose" suchen. Um 17:00 kommen wir in der schmalen Wohnstraße an.
Nach einer verstörenden Begrüßung durch andere Gäste ("Wie lange wollt ihr denn hier bleiben?" "Nur eine Nacht." "Na, da habt ihr ja Glück gehabt!") und kurzen Schwierigkeiten mit der Parkplatzsuche, stiefeln wir frisch geduscht in die Fußgängerzone von Bad Wörishofen.
Es ist ruhig, völlig ausgestorben. Nur eine Handvoll Menschen streunt durch den verlassenen Ort. Keine Spur von einem bunten, belebten Kurstädtchen! Wir sind verwundert, als wir an einigen für immer geschlossenen Gasthäusern vorbeikommen. Doch mit Glück finden wir einen kleinen Italiener in einer Seitengasse! Alberto kocht im "Lido" nach Rezepten aus seiner Heimat und die Pizza und die Gnocchi schmecken außergewöhnlich gut!

Wir sind müde, als wir bei Einbruch der Dunkelheit wieder ins Hotel bummeln. Noch schnell ein Foto von Pfarrer Kneipps Original-Badestube, die hier vor einigen Jahren wieder aufgebaut wurde. Hier hat der lebenslang umstrittene und später gefeierte Arzt und Seelsorger Mitte des 19. Jhdt. seine Karriere begonnen und Reich und Arm erfolgreich behandelt: Im Jahr 1893 zählte das Bauerndorf Wörishofen "schon insgesamt 33.130 Kurgäste sowie über 100.000 „sonstige Zuläufer und Passanten“ (wiki)!

Im Grunde haben wir nichts erlebt heute, aber wir sind unterwegs. Das zählt! Wir gehen heute früh schlafen. Der Tag hat ziemlich an uns gezehrt und morgen liegt nochmals eine lange Strecke vor uns. Gute Nacht!
Tageskilometer: 395 km
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