Der Handywecker reißt uns aus dem Tiefschlaf. Im Autoreisezug haben wir nie so gut geschlafen, stellen wir fest, als wir in dem leicht abgewohnten Zimmer zum Wasserkocher schlurfen und zwei Häferl Kaffee anrühren. Ein Blick auf die Uhr: Der Zug kommt übrigens genau jetzt in Feldkirch/Vorarlberg an. Egal! Wir bereuen die Anreise auf eigener Achse keineswegs!
Draußen hängt der Himmel bleigrau und schwer über Bad Wörishofen. Es schaut nach Regen aus. Plötzlich sind wir hellwach: Unsere Transalps in der Einfahrt! Hat in der Nacht einer der Arbeiter von der Großbaustelle davor eingeparkt? Ein hastiger Blick vom Balkon bestätigt unsere schlimmste Befürchtung: Unser Motorräder sind "eingesperrt". Weißt du was? Jetzt machen wir uns erst mal reisefertig und dann sehen wir weiter...

Reisefertig heißt heute, Regenzeugs anlegen! Wir trauen dem Wetter nicht, außerdem frösteln wir bei nur 14°C. Mist! Nicht zu warm für einen 21. Mai. Unsere Laune hebt sich merkbar, als wir unser Zeug hinuntertragen und das Auto verschwunden ist. Was für ein Glück! Wir hatten schon die absurdesten Ideen, wie wir unsere Transalps hier wegbekommen!
Um 9:30 Uhr verlassen wir Bad Wörishofen. Hier hat es uns nicht gefallen, für die Rückfahrt in einigen Wochen suchen wir etwas anderes! Kaum haben wir uns in die BAB96 Richtung Memmingen eingefädelt, fallen die ersten Regentropfen. Wir bleiben unbeeindruckt, dieser feine Niesel ist nur lästig, weit weg von Drama. Nur aus Jux klicken wir auf den RAIN-Modus unserer Hondas. Warum auch nicht? Die Leute von Honda haben sich sicher etwas dabei gedacht?

Wir lassen die Transalps einfach dahinlaufen. Vielleicht wird es später noch spannender? Der Allgäu ist hübsch, bietet aber nichts, was nervenzerfetzend aufregend wäre. Wir haben mit Leuchtstift eine Route in unsere Karte gezeichnet, die den nördlichen und verkehrsstarken Bodensee weiträumig umfährt.
So guckt Angelika ab und zu auf die Karte, die im wasserdichten Tankpad steckt und wir halten Luftlinie Richtung Lörrach. Aitrach, Bad Wurzach, wir sehen im Niesel kaum etwas von der Landschaft. Plötzlich stockt der Verkehrsfluss! Was ist da los? Eine Umleitung zwingt uns jetzt, von unserer Route abzuweichen und das geht uns im Regen mächtig auf die Nerven!

Bei Hittisweiler beschleicht uns der Verdacht, uns verfahren zu haben. Wir tuckern mitten durch einen Bauernhof, der wie ausgestorben scheint. Aber unsere Karte zeigt keine Alternative! Der Niesel erschwert die Sicht, als plötzlich schemenhaft Bad Waldsee vor uns auftaucht. Wir fahren nun mit der Hilfe von Googlemaps. Angelika hat für diese Reise erstmals eine hübsche Handyhalterung am Lenker montiert. Die ständige Suche nach irgendwas ging uns bei den letzten Reisen schon auf die Nerven.
Wir erwischen noch ein paar Mal eine falsche Abzweigung durch Dörfer, die auf uns ziemlich lieb- und schmucklos wirken. In Reute flüchten wir unter das Dach einer winzigen Tankstelle. Wir brauchen Treibstoff und haben Hunger! Die zwei Damen sind lustig und gastfreundlich, haben aber nur eine kleine Kaffeemaschine. Wir dehnen die Pause über Gebühr aus, der Regen draußen wird immer stärker. Nur wo bekommen wir ein Frühstück?
Aulendorf, Pfullendorf, von der verregneten Strecke bleibt nichts in Erinnerung. Die einzige Attraktion ist eine Regenpause und ein klobiges, in tiefen Bässen dröhnendes Propellerflugzeug der Bundeswehr, aus dem zahlreiche Fallschirmspringer ´rausspringen. Wir versuchen, den Landeplatz der Soldaten zu erkennen, während der bleigraue A400-Airbus schwerfällig ober unseren Köpfen umdreht.

Erst zu Hause werden wir recherchieren, dass in Pfullendorf ein berühmtes Ausbildungszentrum für militärische Spezialkräfte liegt und dass wir im 10. NATO-Mitgliedschaftjahr der Bundeswehr die internationale Militärübung "Green Bird" beobachtet haben. Die Unterschiede im "Mindset" unserer Heimat und der deutschen Nachbarn bei Militärangelegenheiten finden wir immer wieder interessant zu diskutieren. Das Thema Krieg beherrscht die Weltbühne und NATO-Staaten haben ganz andere Verpflichtungen als das verfassungsrechtlich neutrale Österreich...
Vielleicht war "Luftlinie auf der Karte" gar keine so gute Idee? Auf irgendeiner Autobahn wären wir bei dem Mistwetter wohl schneller voran gekommen? Wir diskutieren die Route, als wir bei Stockach auf dem verlassenen Parkplatz des örtlichen Schwimmbads ein paar Kekse knabbern. In diesem Moment hört der Regen auf und unsere Laune bessert sich schlagartig. Wir nehmen jetzt die Autobahn, die Tagesstrecke ist zu lang für Experimente.
Wir bollern zügig die BAB81 gen Norden, als uns ein paar Motorradfahrer in T-Shirts und kurzen Hosen mit aufheulenden Motoren überholen. Angesichts der pechschwarzen Wolkenberge rundherum ein gewagte Outfit!

Es dauert nur Minuten, bis der Himmel zusammenbricht und Wassermassen auf die Autobahn stürzen! Es donnert, dass unsere Helme vibrieren und ein Blitz jagt den nächsten! Die Sicht aus dem Visier fällt gegen 0, das Wasser kann von der Fahrbahn nicht mehr abrinnen. Aquaplaning! Mit annähernd Standgas erreichen wir die Raststation.
Am "Hegau" waren wir schon ein paar Mal und jedes einzelne Mal im Starkregen. Was ist mit dieser Region bloß los?! Und so wie immer bestellen wir Würstchen, Semmeln mit Fleischlaibchen und große Becher Kaffee, während wir auf den kleinen Plasiksesseln alles volltropfen und unser Regenzeug lüften. "Hast du die Biker unter der Brücke gesehen? Nicht zu beneiden."

Es schüttet in Strömen, als wir wieder aufbrechen. Den angeblich schönen Schwarzwald sehen wir nicht und den angeblich besonders schönen Titisee lassen wir auch heute wieder aus. Wir halten die Transalps (RAIN-Modus!) stur auf Kurs und erhaschen nur einen ganz kurzen Blick auf die Donau, die sich bei Donaueschingen als schmaler Bach durch die Landschaft windet.

Noch ein letzter Blick auf den Titisee rechts unter uns und schon geht es hinauf. Die gut ausgebaute B317 führt in weiten Kurven stetig bergauf. Eine tolle Motorradstrecke, auch wenn wir über die unfreundlichen Warnschilder den Kopf schütteln.

Immerhin hört endlich der Regen auf und plötzlich kommt die Sonne heraus! Ist der Feldberg mit seinen fast 1000 Höhenmetern eine Wetterscheide? Unsere Transalps glitzern nass im Sonnenlicht, während wir im Bärental in den Supermarkt eilen, um Abendessen zu kaufen. Wir brauchen eine Pause und außerdem müssen wir dann vor unserem Ziel Lörrach nicht mehr stehenbleiben.
Hier ist ein unerwartet touristisches Eck! Schnapsmuseum, Wirtshaus, Kirschtortenverkostungen und ein überteuerter Spezialitätenladen werben um Gäste. Der Stil der Gebäude hier ist - echt oder unecht - zumindest auffällig alpin gestaltet! Obwohl die Sonne scheint, ist uns bei nur 10°C ziemlich kalt. Lass uns weiterfahren! Wir haben die Strecke ganz gut im Kopf, als wir über das verlassene Skigebiet am Feldberg rollen und dann in weiten Schwüngen hinunter ins Wiesental. Der Verkehr wird jetzt merkbar stärker.
Die kurvige Strecke durch kleine Wälder und winzige Ortschaften führt uns direkt nach Lörrach und in den allabendlichen Stau. Wir haben diesmal eine neue Unterkunft gewählt, direkt an der Straße nach Frankreich. (In Lörrach verfahren wir uns regelmäßig, zu nah ist die Kleinstadt an der Metropole Basel und der Rhein bietet nur wenige Brücken ins Nachbarland.) Um 17:30 haben wir es geschafft!

Den Abend verbringen wir mit Kochen - die Hühnerspieße schmecken hervorragend und wir haben in der schönen Gemeinschaftsküche sogar Nudeln gefunden - und mit Packen. Packen?! Ja! Der Wetterbericht sagt für morgen Furchtbares voraus und wir wollen die Transalps nicht im Starkregen beladen.

Plötzlich erreicht uns eine Nachricht unserer Freundin Svenja. Sie ist bereits in Hautoreille/Bannes angekommen! Wir schauen uns erstaunt an: War das nicht erst für morgen geplant? Wie hat sie das angestellt? Wir haben doch alle etwa 1000 Kilometer zu unserem Lieblingscampingplatz? Hat sie zwei Tagesetappen an einem geschafft? Wir sind neugierig!
Als wir unsere Ortlieb-Rollen festgezurrt haben und unsere Hondas reisefertig bepackt vor dem Haus stehen, gehen wir schlafen. Es war ein langweiliger Tag, doch das stört uns nicht. Aus irgendwelchen Gründen beginnt unsere Reise für uns erst an der französischen Grenze, alles andere ist Anreise und irgendwie nicht von Belang.
Das leise Trommeln von Regen aufs Dach begleitet uns in einen tiefen Schlaf...
Tageskilometer: 308 km
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