17. Tag: Barcelonnette - Col de Vars - Modane

7:15 Uhr, blauer Himmel und Schönwetter bei 18°C. Widerwillig packen wir unser Zeug und nippen an unserem Kaffee. Wir müssen heute weiter und wir wären so gerne noch in dieser Fasshütte geblieben! Aber es nutzt nichts, der Urlaub neigt sich dem Ende zu und Österreich ist noch weit entfernt.

Etwa zwei Stunden später rollen wir quer über den schönen Platz und verlassen das Camp. Tschüss, wir kommen wieder! Nur noch ein schneller Einkauf bei "Carrefour" in Barcelonnette. Wir brauchen noch Nuss-Salami für zuhause! Schon düsen wir die schmale D900 durchs Ubaye-Tal. Der kleine Bach plätschert munter rechts von uns und links erheben sich hohe Berge. Es ist schön, hier entlang zu kurven!

Doch was ist das da links oben in den Felsen? Eine Burg? Eine Kaserne? Was für ein ungewöhnlicher Anblick! Eine massive Festung klebt quasi am Felsen und zieht sich über die Klippen hoch hinauf. Der ganze Berg scheint von Militärbauten durchlöchert! Wir starren fasziniert hinauf. Erst zuhause werden wir recherchieren, dass es sich hier um das 150 Jahre alte Fort de Tournoux (1866 - 1945) handelt, das aus Sicherheitsgründen kaum noch besichtigt werden kann.

Schon biegen wir scharf links ab. Die D902 schwingt nun in gemächlichen Kurven durch ein wunderbares Almtal. Solche Gegenden sind uns sehr vertraut! Vorbei an der kleinen Festung "Redoute de Berwick" aus dem 17. Jhdt und schon schraubt sich die Straße höher und höher. Wir kommen an ein paar winzigen Siedlungen vorbei. Bergbäuerliche Landwirtschaften, wie daheim!

Es sind nur ein paar Kehren und schon stehen wir oberhalb der Baumgrenze am Col de Vars (2.109m). Wir wollen ein paar Minuten der Ruhe und die Aussicht genießen, außer uns sind keine Leute da.

Doch just als wir uns niederlassen, bollert ein Traktor der örtlichen Tourismusgemeinde auf uns zu. Aus unbekannten Gründen entscheidet er sich auf der weitläufigen leeren Betonfläche für den Parkplatz neben uns. Den Dieselmotor lässt er laufen, während die Männer umständlich ihre Arbeit beginnen.

Verdammt, das wird hier nix mehr! Wir springen auf die Transalps und es geht talwärts. Schade, dass das hübsche "Refuge Napoleon" Mittwoch vormittags geschlossen hat! Es wäre toll gewesen, hier einen Kaffee zu trinken! Schon 1855 rasteten die Menschen in diesem Haus, wenn sie anstrengende Touren über die Pässe unternahmen. Wir notieren in Gedanken diese Unterkunft für eine spätere Reise.

Die beschauliche Fahrt ins Tal wird jäh unterbrochen. Meine Güte, wie hässlich! Ein Betonklotz monströsen Ausmaßes verstellt die Sicht in die Berge. Vars! Eine Ansammlung von Geschmacklosigkeiten zeichnet diesen Wintersportort aus. Plattenbauten und futuristische Liftanlagen. Ein Hochhaus neben dem nächsten und gigantische Baustellen für noch weitere Hotelburgen. Dazwischen Supermärkte, stillgelegte Lokale für Aprés Ski und versperrte Geschäfte.

Was für ein grauenvoller Anblick in dieser wunderbaren Landschaft, die von Baggern und Baumaschinen zerwühlt wird. Wir halten kurz an, um uns über die Eindrücke auszutauschen. "Ich kotz gleich" ist Angelikas lakonischer Kommentar über dieses massentouristische Elend am Berg.

In gemächlicher Fahrt kurven wir jetzt die D902 weiter talwärts. Die Straße führt den Bergrücken entlang und nur das Dörfchen Saint-Marcellin lässt noch etwas vom ursprünglichen französischen Charme erahnen.

Schlagartig wird die Fahrt über den Mont Cugulet interessanter. Der Weg wird schmaler und bedeutend kurviger! Die D902 ist nun ziemlich ausgesetzt und bietet großartige Ausblicke ins Tal. Wir zirkeln die Transalps bedächtig Kehre um Kehre ins Tal nach Guillestre. Wir haben Hunger bekommen! Lass uns nach einem Imbiss Ausschau halten!

Doch weil wir das hübsche Städtchen lieber umfahren, ist nichts mit einer Jause. Aber wie unerwartet großartig ist dieser Weg! Die D902 schmiegt sich nun eng an die überhängenden Felsen, in der der Fluss Guil in Jahrmillionen eine tiefe Schlucht gefräst hat. Wir verlangsamen die Fahrt. Gegenverkehr von 40-Tonnern will hier niemand!

Obwohl wir die ganz hohen Berge hinter uns gelassen haben, ist die in den Fels gesprengte Straßenführung in der "Gorges du Guil" schlicht spektakulär! Vorsichtig tuckern wir durch einige finstere Felsdurchbrüche. Wir sind etwa 100 Meter über dem Wildbach, der senkrecht unter uns dahin rauscht. Schöne Erinnerungen an die Tarnschlucht kommen auf.

Zuhause werden wir lesen, dass diese Straße zu den acht "balcony roads" in Frankreich gehört und auch bei den "dangerous roads" gelistet ist: "Haarsträubende Gasse, die in die Seiten steiler Klippen eingeschnitten ist. Es ist eine Art Straße, die nichts für Menschen mit Höhenangst ist. Auf diesen Straßen gibt es kaum Spielraum für Fehler. Es ist normal, dass einem beim Betrachten dieser Fotos die Handflächen schwitzen.

Naja, man kanns auch übertreiben. Aber das dachten wir uns am Lysebotn in Norwegen auch schon.

Wir folgen nun einerseits Horden von buntgekleideten Radfahrern und anderseits den hellbraunen Schildern "Route des Grandes Alpes" Richtung Col d´Izoard. Bedächtig bollern wir über saftig grüne Almmatten und mit jeder Kurve gewinnen wir an Höhe. Ein mit überlebensgroß geschnitzten Murmeltieren verziertes Holzschild heißt uns in Arvieux willkommen.

Es ist schon 11:30 Uhr und wir hatten noch kein Frühstück! Aber gegenüber der hübschen "Mairie" erkennen wir links eine winzige Bäckerei "Pâtisserie La Roche". Wuchtige Holztische und Sonnenschirme wirken so einladend, dass wir mit einem einzigen sportlichen Wende- und Parkmanöver direkt vor dem Eingang zu stehen kommen. Wir betreten den kleinen Laden und entscheiden uns für einen Platz an der Vitrine. Die polierten Holztische sind so gemütlich!

Zwei entzückende Bäckerinnen empfangen uns freundlich und - nachdem sie sich die mehligen Hände an ihren Schürzen abgewischt haben - servieren uns gastfreundlich alle Mini-Quiches, die sie noch vorrätig haben. Wir haben vor lauter Hunger schlicht das Regal leergekauft! Diese warmen Käse-Lauch-Kuchen schmecken einfach fantastisch! Wir legen noch mehr Kaffee und traumhaft köstliche Zitronen-Tartes nach. Die 340 Leute von Arvieux haben großes Glück mit diesem Boulanger!

Wir ignorieren die paar Regentropfen und starten los. Die nächsten Kilometer sind wunderbar zu fahren! Zuerst gemächlich, dann rabiat geht es immer höher. Die Kurven werden zu Kehren und in engem Winkelwerk führt die "Route des Grandes Alpes" auf den Col d´Izoard. Wir teilen uns die ausgesetzte Straße mit vielen, sehr vielen Radfahrern, die auf ihrem Fahrbahnstreifen eifrig bergan strampeln.

Bald sind wir über der Baumgrenze und bollern durch die graue Steinwüste "La casse déserte". Ein Parkplatz bietet tolle Aussicht auf die karge Bergwelt. Leider ist kein Platz für zwei Transalps, also tuckern wir weiter. Diese Landschaft ist nicht von dieser Welt! Graue Schotterhalden, dazwischen scharfkantige helle Felsspitzen. Eine zerklüftete Mondlandschaft mit ungewöhnlicher Geologie!

Das obligatorische "Gipfelfoto" auf 2.360m erledigen wir pflichtbewusst aber ohne Begeisterung. Eine Mega-Baustelle ist hier oben im Gange und das bekannte Monument ist nur aus der Ferne erkennbar. Wir suchen schleunigst das Weite, denn hier stehen wir nur jedem im Weg.

Ein paar ausladende Kehren später nähern wir uns Briancon. 

Die wuchtige Burg oberhalb der Stadt ist weithin zu sehen. Beim Eingang in die - sicher beeindruckende - Altstadt finden wir einen winzigen Parkplatz und halten an. Kaffeepause! Wir müssen uns neu orientieren! Wir lasen ein Schild: Der Col du Galibier ist bis morgen noch gesperrt! Die Wintersperre dauert hier offenbar bis 8. Juni? Tja, es nutzt nichts, wir brauchen einen anderen Weg in den Norden.

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Während wir recherchieren, finden wir auch ein Fun Fact über die Altstadt, die 1692 nach einem verheerenden Brand neu aufgebaut werden musste. Man beauftragte Sébastien Le Prestre Marquis de Vauban. Der Mann war Ludwig XIV. bereits durch seinen berühmt gewordenen Ausbau des Kriegshafens in Dunquerque positiv aufgefallen.

Die Neugestaltung Briancons brachte jedenfalls soviel Ruhm mit sich, dass der König den Architekten auch mit dem Bau der ersten Leuchttürme Frankreichs beauftragte: Einen der ersten, die er baute, sahen wir vor drei Jahren in der Bretagne: Den Phare du Cap Fréhel.

Bei leckeren Maroni-Crepes, Kaffee und Pfefferminzsaft suchen wir auf unserer Karte eine neue Route: Wir fahren rüber nach Italien und dann nördlich. So machen wir das! Mit einem schönen Blick auf das alte Briancon verlassen wir die Kleinstadt. Es ist bei schwülen 28°C heiß geworden, während wir die Transalps aus der Stadt lenken.

Wir folgen der N94, die zuerst gemächlich durch die Berge führt, bis sie sich in rabiaten Kehren bergauf dem Bergdorf Montgenèvre nähert. Die schmale Straße mit schlechtem Asphalt führt mehr oder weniger den Fluss Durance entlang. Wir können ihn allerdings nicht sehen, wir sind viel zu hoch oben auf unserer Höhenstraße.

Und ganz plötzlich ohne Vorwarnung, während wir das Tal hinaus bollern, sind wir in Italien. Das Grenzschild fiel wohl einer der zahlreichen Baustellen zum Opfer, die die Ortschaften hier auf den Wintertourismus vorbereiten sollen.

Nun geht es bergab und das wirklich! In engen Kurven, Kehren und Abfahrten schlängelt sich die SS24 über die steilen Hänge ins Tal des Piemont. Wir haben grandiose Aussichten über die Täler und Berge, bis sich die Straße im Wintersportort Cesana Torinese wieder beruhigt. Wow, das war jetzt klasse!

Ein wenig lustlos cruisen wir jetzt die hübsche aber unauffällige Landstrasse SS335 Richtung Bardonecchia. Kein Vergleich zum Col du Galibier, den wir eigentlich fahren wollten! Wir müssen dringend tanken!

Während wir in Bardonecchia unsere Tanks vollaufen lassen, sehen wir einige Schilder, die mit der Auffahrt zum Monte Jafferau werben. Hier ist das also! Dieser Gipfel ist bei Enduro- und Offroadern berühmt und beliebt. Das Fort ganz oben und der unbeleutete 900-Meter-Tunnel mit malerisch davor abgestellten Adventure-Bikes ist auf Millionen Pics im Internet zu sehen.

Uns reizt das heute gar nicht. Nicht nur, weil uns unbeleuchtete Felstunnel aus Norwegen schon geläufig sind. Heute ist Mittwoch und wir dürften sogar auf den Gipfel auffahren! (Es gibt sehr beschränkte Öffnungszeiten.) Jedoch machen die dichten Wolken, die uns seit der italienischen Grenze begleiten, jetzt ernst und es fängt durchdringend zu nieseln an. Gleichzeitig wird es kalt.

Deshalb brechen wir überstürzt auf und flüchten uns in den Tunnel "Frejus". Er kostet zwar absurde 35.- pro Motorrad aber 13 km im Trockenen sind gerade ziemlich wunderbar! Plötzlich scheint wieder die Sonne aber hier ist stehenbleiben oder gar wenden verboten. Erst abends werden wir von der interessanten Geschichte dieses Tunnels lesen.

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1871 grub man diesen Tunnel unter den Mont Cenis. Als Eisenbahntunnel sollte er die britischen Truppen schneller zum Suezkanal und nach Indien befördern. Ganze 11 Jahren lang war er sogar der längste Tunnel der Welt!

Der Straßentunnel dazu wurde etwa 10 Jahre später eröffnet. Einige verheerende Unfälle mit vielen Opfern führte zum Plan einer zweiten Röhre für den Gegenverkehr. Diese soll nach 20 Jahren Bauzeit 2024 geöffnet werden. Wir tuckerten noch verlangsamt durch den schmalen Tunnel, der zwei Fahrbahnen führen muss. Die Baustelle machte die Durchfahrt ziemlich mühsam.

Irgendwann im Berg sind wir wieder nach Frankreich eingereist. Als wir unsere Augen nach 13 km wieder ans Tageslicht gewöhnt haben, kurven wir nur mehr ein paar Kehren ins Tal und sind in Modane angekommen. Es ist genau 16:15 Uhr und hier auf der anderen Bergseite scheint wieder die Sonne.

Unser kleines Hotel liegt gegenüber dem Bahnhof. Wir können keinen guten Parkplatz finden und entern verschwitzt die Unterkunft. Der Empfang ist einer der nettesten, die uns je in Erinnerung blieben!

Stellt doch die Motorräder einfach in den kleinen Gastgarten! Ja, kein Problem, fahrt über den Gehsteig. Ich zapf euch schon mal ein Bier!

Nur Minuten später - die Franzosen hier nahmen unsere Anfahrt über den Fußweg gelassen - sitzen wir vor dem Hotel und schlürfen durstig das Willkommensbier. Geht aufs Haus, eh klar!

Wie schon so oft stellen wir fest: So einfach, so schlicht und so abgewohnt kann eine Unterkunft gar nicht sein, dass sie nicht ein netter Wirt und ein überschwängliches Willkommen wieder rausreißt!

Das ausschließlich auf Wintertourismus im Valfréjus ausgerichtete Kleinstädtchen Modane ist eine Enttäuschung. Hätten die ansässigen türkischen Familien nicht die Gastro übernommen, wir wären hungrig ins Bett gegangen. So fanden wir ein leckeres Schweinsschnitzl und einen Kebapteller und um insgesamt 30.- war das auch ziemlich wohlfeil!

Beim letzten Pastis stellen wir fest: Das war ein durchwachsener Tag. Licht und Schatten! Und dass neben dem Col du Galibier auch der für morgen geplante Col de l´Iseran noch einen Tag lang gesperrt ist, wird uns morgen beschäftigen...

Tageskilometer: 172 km (und weitere 7 km zu Fuß in Modane)

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Licht und Schatten

Danke

für die lebendige Schilderung! Diese Casse Desserte ist ein sehr ungewöhnlicher Anblick, wie ich finde.
Für mich war das ein schöner Reisetag, auch wenn nicht alles so geklappt hat, wie ihr wolltet. Aber das tut es ja oft nicht.
LG Martina

schatten?

hallo!
woran lags? hat euch dieser tag nicht spass gemacht? oder war es nur die melancholie am ende einer reise, die auch mich manchmal packt?

danke für die erzählung!
dlzg der rider

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zuletzt aktualisiert am 17.4.2024