9. Tag: Kautokeino - Karasjok - Honningsvåg

Kautokeino, finstere Wolken, kein Regen, 2°C. Als Angelika an diesem 30. Mai frühmorgens die Temperatur auf ihrem Armaturenbrett liest, überlegt sie, wie sie Didi diesen Newsflash beibringen will. Der beserlt gerade gut gelaunt und ein Lied pfeifend die kleine und völlig überheizte Hütte...

Kurz später ziehen wir alle Icebreaker-Sachen an, die wir "für alle Fälle" mitgeführt haben. Wann ist "für alle Fälle", wenn nicht jetzt?! Wir schlüpfen auch ins Regengewand. Besser jetzt als später und vielleicht zu spät. Eine dichte Plastikhülle ist immer gut.

Wir sind ungewohnt schweigsam. Heute liegt jene Tagesetappe vor uns, die uns schon auf der ersten Nordkapp-Reise 2017 das Fürchten lehrte. Und heute sind es etwa 250 km mehr und wir haben vom Mistwetter eigentlich schon genug!

Nach einem schnellen Kaffee und ein paar Keksen klettern wir auf die Transalps und rollen um 8:45 über die aufgeweichte Wiese vom Platz. Die Heizhandschuhe haben wir bereits auf "Low" gestellt. Wir werden beobachtet, aber das können wir jetzt noch nicht wissen...

Es ist düster, als wir das samische Kautokeino verlassen. Unmittelbar nach dem letzten schmucklosen Haus fängt die Wildnis der Finnmarksvidda an. Bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckt sich die Kältesteppe mit Buschwerk, Flechten und Moosen und die E45, die in unendlich langen geschwungenen Bögen über die Ebene führt.

Nach 30 km hat uns der Regen eingeholt. Ungehindert tobt der Sturm auf uns herab. Es muss zu diesem Zeitpunkt gewesen sein, als Angelikas Liebesgeschichte mit Norwegen, dem Land ihrer Vorfahren endete. Was für eine lebensfeindliche Umgebung. Dabei haben wir uns doch so auf diese Region gefreut!

Wir kommen am Abzweiger nach Alta vorbei und halten an. Mit nur halb hochgeschobenem Visier besprechen wir die spontane Idee, den nördlichsten Zipfel Norwegens auszulassen und gleich nach Alta abzukürzen. Wir haben gerade ziemliche Zweifel, ob uns das Wetter ans Nordkapp lässt...

Aber jetzt haben wir schon Inari gecancelt! Wir können doch nicht unser erstes Hauptziel auch dem Wetter zum Opfer fallen lassen? Nein! Wir ziehen das durch! Entschlossen treten wir geräuschvoll den ersten Gang ins Getriebe und drehen am Gas. Wir halten Kurs Magerøya! Die nächsten 100 km auf dem Rv92 sind wir die einzigen Menschen auf dem Planeten. Keine Menschenseele ist zu sehen. Ganz selten sehen wir winzige Sami-Siedlungen im Nirgendwo. Oft nur drei oder vier Häuser! Wie kann man denn hier wohnen?

Wir sehen auf den Feldern ab und zu ein Kirnu! Diese runden Gehege werden für die Rentierscheidung benötigt, wenn einmal jährlich diese Nutztiere zusammengetrieben, gezählt und für den Besitzer oder die Schlachtung markiert werden. Die Tierärzte untersuchen dabei besonders die Muttertiere, denn diese sind das Kapital der Samen.

Ein leichtes Wasserflugzeug steht mit seinen Kufen an der Kante eines kleinen Sees. Moderne Rentierhirten bauen auf Schneemobile, leichte Enduro-Crosser und eben Flugzeuge! Der Regen hält an, der Sturm auch. Mittlerweile hat es 6°C und wir fühlen uns in unserer Merino-Wäsche halbwegs warm und trocken. Wir suchen einen Platz, um für eine Pause aus dem Unwetter rauszukommen! Oder zumindest eine kleine Parkbucht, um kurz mal stehenzubleiben...

Die erste Möglichkeit stehenzubleiben bietet sich kurz vor Karasjok. Wir bleiben im kalten Niesel stehen. Hier ist ein wenig Platz am Ufer des Kárášjohka, dessen Lauf wir schon seit längerem folgen. Hier treffen wir Timo, den Mann mit dem Messer. Eine unvergessliche Begegnung!

Passend zu diesem sonnigen Erlebnis kommt tatsächlich die Sonne kurz zwischen dunklen Wolkentürmen hervor. Heute gibt es genau 600 Meter Sonnenschein auf unserem Weg! Wir bremsen abrupt, springen von den Transalps, nehmen die Helme ab und lassen uns ins verfrorene Gesicht scheinen. Die Lebensgeister jubeln fast hörbar! Die ersten Sonnenstrahlen nach 48 Stunden!

In Karasjok steuern wir ohne Verzögerung eine CircleK-Tankstelle an. Die erste CircleK in Norwegen! Der Jahresbecher 2019! Um 499.- NOK erstehen wir den heurigen Jahresring, den wir stolz auf unseren Thermobecher klemmen. Aller guten Dinge sind drei! Jetzt gibt es wieder gratis Kaffee und Kakao, jedesmal wenn wir in Norwegen eine solche Tankstelle finden!

Wir müssen uns von der Fahrt erholen und so besetzen wir den großen Ecktisch. Wir holen Hotdogs, warme Mehlspeisen, Schokolade und ein zusätzliches Paar Socken für Angelika. Dann reparieren wir ihre Regenüberschuhe grob mit Gaffa und schweigen hinaus in den Regen.

Eine fröhliche Frauengruppe in blauroten Wollsachen betritt kichernd den Raum. Mit diesen bunten Gewändern und ihren Gesichtszügen sind sie unschwer als Sami zu erkennen. Wir erinnern uns, wo wir gerade sind: in der Hauptstadt der Samen.

Grad vorhin fuhren wir am Sametinget vorbei, dem autonomen Parlament, das seit 1989 etwa 14.000 norwegische Samen repräsentiert. Wir schauen hinüber aufs Sami-Kulturmuseum und neben der Tankstelle erstreckt sich der Komplex des Sami-Gesundheitszentrums. Hier gäbe es viel zu sehen, das uns interessiert, aber das ist etwas für eine andere Reise!

Wir haben noch 240 km vor uns und der Regen wird immer stärker! Wir machen alles wasserdicht und raus! Bei 6°C verlassen wir die kleine Stadt auf der schmalen E6 und befinden uns sofort wieder in der Wildnis und Einsamkeit der Finnmark. Die Straße steigt nun stetig an und Angelika guckt immer wieder besorgt auf das Thermometer am Armaturenbrett.

Die Temperatur fällt jetzt alle paar hundert Meter um 0.5°C! Das ist gar nicht gut! Der Heidenau K60 Scout kann zwar M+S aber von Glatteis war nicht die Rede! Wenn das so weitergeht, haben wir bei Starkregen Minusgrade auf dem Asphalt! Das kleine Eiswarner-Lämpchen blinkt mittlerweile hysterisch. Wir fahren so vorsichtig wie nötig und so schnell wie möglich. Jetzt nur nicht aufgeben!

Bei 1,5°C kommt der Temperaturabfall endlich zum Stehen. Wir sind erleichtert! Nun cruisen wir über die Hochebene am Rande des Stabbursdalen Nationalparks. Wir sehen durch die regennassen Visiere leider nur wenig von der Schönheit dieser Landschaft.

Leider sehen wir auch die Rentiere kaum, die viel zu oft sinnlos vor uns über die Straße stolpern. Ihr grau-weißes Fell lässt sich von der Landschaft kaum unterscheiden. Memo to self: Wenn ein Felsen am Straßenrand aufspringt und mit Kulleraugen auf dich zuläuft, dann ist es ein Rentier.

Wir halten die Transalps stramm auf Kurs und lassen uns durch die Sintflut rund um uns nicht beirren. Spaß macht das keinen aber das Fluchen im Helm hört niemand und es erleichtert die Seele. Wir treffen bis Lakselv keine Menschenseele! Seit Tagen trafen wir keine Motorradfahrer.

Wir stranden in dem kleinen Ort namens "Lachsfluß" und vertäuen die Transalps mittels Vor- und Achterspring am Ufer. Schnell entern wir die kleine CirkleK-Tankstelle. Bei Kakao, Hotdogs und Wienerbrød stellen wir lakonisch fest, dass die schrecklichste Fahrt bisher nur Kinderkram ist gegen das, was uns von hier in Erinnerung bleiben wird!

Wir schwanken zwischen Wut und Verzweiflung. Wir haben richtig üble Laune.

Aus unerfindlichen Gründen spinnt Angelikas Kreditkarte hier beim Zahlen und sie muss trotz Barzahlung ihren Reisepass kopieren und kompliziert ihre Daten aufnehmen lassen. Für ein Hotdog!?! Die hilflose Angestellte weiß nicht, dass sie jetzt mit ihrem Leben spielt. Wir haben soeben die "Schlacht von Lakselv" überstanden! Wir haben wenig zu verlieren!

Am Boden des zweiten Kakaos hilft Didi einem erschöpften und deshalb ziemlich genervten französischen Harleyfahrer, den Tankautomaten zu bedienen. Seine zwei Kumpel haben sich bereits zuvor ins Trockene gerettet. In Lederkluft. Ohne Regengewand. Ihre Hilfsbereitschaft ist wohl irgendwann abgesoffen.

Noch 60 km bis zur nächsten Pause in Olderfjord. Mittlerweile regnet es wieder stärker und wir kurven den Porsangerfjord entlang. Wir können die dramatische Schönheit dieser Strecke nur erahnen! Langsam und vorsichtig zirkeln wir die Transalps um jede nasse Kurve. Die Rentiere zeigen sich auch hier weder vom Regen noch von heranbollernden Zweizylindern beeindruckt.

Wir brauchen eine gute Stunde bis Olderfjord und diesmal wissen wir schon, wo es hier Wärme und Waffeln gibt! Ohne weitere Verzögerung - nachdem wir eine weitere Rentierherde über die Straße gelassen haben - bremsen wir vor dem Russenes Kro. Schnell noch ein paar Fotos und schon stiefeln wir hinein.

Wir platzieren uns vor dem Heizkörper am Fenster, der hier auf Volllast läuft und ziehen die Stiefel aus. Während wir die leckeren Waffeln mampfen und uns mehrfach beim gratis Refill vom Kaffee bedienen, wärmen wir unsere Füße an der Heizung. Meine Güte, das tut gut!

Zwei bullige Norweger sprechen uns an. Sie warnen uns vor dem Sarnestunnelen, denn gestern kam ein Franzose bei der Einfahrt böse zu Sturz. Eine Baustelle macht den Boden rutschig und die Tunnelbeleuchtung ist norwegisch. Also dürftig.

Die beiden erzählen auch von Schneesperren auf einigen Straßen und zur Bekräftigung zeigt uns der eine ein Foto vom Sennalandet bei Alta. Gestern brachte er seine Frau zum Flughafen und die Straße war eine böse Schneefahrbahn. Um Himmels willen! Übermorgen müssen wir dort lang fahren! Wir lassen uns das Entsetzen natürlich nicht anmerken und setzen eine extra coole Miene auf.

Zum Abschied zeigt uns einer der beiden die offizielle norwegische Wetter-App "Yr", an die wir uns ab jetzt halten sollen. Gilt als extrem vertrauenswürdig. Sie klopfen uns zum Abschied aufmunternd auf die Schultern. Danke schön für die Tipps! Wir probieren die App: sie zeigt so wie unser Armaturen-Thermometer genau 3°C und Unwettergefahr.

Noch 100 km bis zum Campingplatz. Wir kennen die Strecke seit 2017 und heute bietet sie exakt das gleiche Bild: Starker Regen von oben, rechts das Polarmeer, links Felsen und kein Unterstand. In allen Buchten starker Sturm landeinwärts. Heuer wissen wir schon, was uns erwartet.

Die wilde Fahrt durchs Unwetter wird nur durch einige Rentiere unterbrochen. Wir halten die Transalps stur auf Kurs. Den Sarnestunnelen nehmen wir besonders vorsichtig - wir freuen uns über die kurze trockene Fahrt! Wir brauchen etwa eineinhalb Stunden bis zur Einfahrt in den Nordkapptunnelen. Da ist links eine Telefonzelle und wir bremsen hart herunter. Wie schon vor zwei Jahren auf der anderen Seite des Tunnes stiefelt Angelika hinein ins Trockene.

Die Akkus unserer Heizhandschuhe haben schon bei Olderfjord den Dienst quittiert und wir müssen trotz Griffheizung unsere Hände aufwärmen. Wir wandern einige Zeit im Niesel herum und machen viele Fotos vom drittlängsten Unterwassertunnel Europas. Kurz später fahren wir in die fast 7 km lange Röhre und genießen die trockene Fahrt unter dem Meer. Wir lassen uns Zeit.

Die letzten 22 km zum Campingplatz schauen wir kaum links und rechts. Wir sind müde und langsam reicht es uns. Wir verlassen uns nun auf die Routine. Es regnet beständig, als wir am Vandrerhjem vorbeikommen und auf die bunten Häuser von Honningsvåg hinüberschauen. Der wohlbekannte Kreisverkehr auf die E69, rechter Hand der winzige Flughafen und um 18:15 stehen wir vor der Rezeption des Nordkapp Camping!

Es ist zugesperrt und es regnet immer noch! Sollen wir lachen oder weinen? Aber nur eine Schrecksekunde später werden wir bemerkt und der Chef eilt herbei. Wir upgraden auf eine größere Hütte mit Badezimmer, denn wir bleiben hier zwei Nächte und wir wollen heute nicht mehr raus. Wir bekommen ein Quartier mit freiem Blick auf die Serpentinenstraße zum Kapp!

Wir drehen die Heizung auf Höchststufe und fühlen uns sofort wie zuhause. Der Abend vergeht mit Travellunch (wir gönnen uns unser Lieblingsessen Pasta Asciutta) und Fotos und Filmen aus der Helmkamera. Wir haben auch noch Lakritz und Kekse und jede Menge Kakao! Es regnet den ganzen Abend bei 3°C. Durch das große Hüttenfenster beobachten wir Rentiere und süße grau-weiße Polarhasen, die das Areal als Spielplatz erkoren haben.

Wir gehen heute früh schlafen denn wir sind ziemlich erledigt. Es ist so düster, dass wir in der Nacht keine Schlafmasken brauchen. Trotzdem freuen wir uns auf morgen! "Yr" ist äußerst optimistisch...

Tageskilometer: 370 km

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zuletzt aktualisiert am 22.3.2024